[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2005/11 | Seite 6-7
54. Jahrgang | November
Magazin
Nach der Wahl und dem Wechsel
Kulturpolitik in Nordrhein-Westfalen zwischen Kirchturmspolitik
und Eifersucht
So scharf auch die Verteilungskämpfe in der Kultur- und Kunstszene
sind, so großsprecherisch oder aufjaulend die ästhetischen
und ideologischen Schlachten, in der Kultur- und Kunstpolitik unterscheiden
sich die Positionen kaum. Mauerblümchen ohnehin in den Programmen
aller Parteien, sind sie auch bei allen bürgerlich –
und sollen bloß bürgerlich sein. Selbst die Grünen
schwenken da längst ein. Was bei ihnen aber noch immer die
Akzente der Erweiterung des Kulturbegriffs und der Förderung
von Laienkunst sind, ist bei den Sozialdemokraten die Hervorhebung
von Bildung, Aufklärung, Information. Während den Christdemokraten
der Respekt vor den Künstlern und ihren Kreationen wohl noch
immer am stärksten aus Tradition und Geschichte wächst.
Gegen den zeitgemäßen Populismus gefeit ist sowieso niemand;
was immer er schreibt oder sagt.
Das alles gilt im Großen wie im Kleinen, für den Bund
wie für die Länder – und für das Bundesland
Nordrhein- Westfalen auch. Eine Wahl und ein Wechsel der Regierung
wirken sich dementsprechend nicht gravierend aus. Obwohl sich die
Strukturen mindestens an der Spitze doch jedesmal gewaltig ändern
– und sie mit den Verschiebungen der Führungsverhältnisse
gleich auch einen Aufbruch zu signalisieren scheinen.
Rückte beim vorletzten Mal einer rotgrünen NRW-Regierung
die Kultur mit der Arbeit und dem Sozialen in einem Ministerium
zusammen, so fiel sie beim letzten Mal über Nacht dem Bauminister
zu; die Ressorts für den Sport und die Stadtentwicklung musste
er außerdem in seinem Ministerium zusammenhalten.
Wer in solchen Sammelsurien, oft mehr oder minder zufallsgeborenen,
irgendeinen Sinn erkennen will, wird nur zu gern auf den ökonomischen
Effekt dieser Machtballungen verwiesen, auf die milden Gaben der
finanzstärkeren Abteilungen an die armen Idealisten mit den
kulturellen Leistungen, den so genannten freiwilligen. Für
die Kuriositäten dabei liefert allemal Österreich das
Vorbild, wo vor Jahren die Kultur schon mal mit dem Verkehr, und
umgekehrt, zusammen war.
Rufe nach einer Autonomie der Kultur in einem eigenen Ministerium
oder nach einer nahe liegenden Zusammenführung mit Unterricht
und Bildung haben hier seit langem so gut wie keine reelle Chance;
im Gegenteil. Nach dem jüngsten Regierungswechsel mit einer
schwarzgelben Koalition zog die Kultur trotz aller Beschwörungen
als Anhängsel ins Düsseldorfer Stadttor ein, wo der Ministerpräsident
sein Domizil und in einem Staatssekretär seinen Kulturverantwortlichen
nun nahe bei sich hat. Eine Konstruktion, die der großen Koalition
in Schleswig- Holstein immerhin den Rang abläuft; ist dort
doch jüngst sinnigerweise die Kultur der ehrenamtlichen Minderheitsbeauftragten
beim Regierungschef beigegeben worden.
Besser sieht es freilich in Nordrhein- Westfalen aus, wenn man
sich jeweils nicht das Amt, sondern die Person ansieht. Nach Ilse
Brusis, die den Schock der Sozialdemokraten über die Abgabe
der Kultur an die Grünen im dafür neu geschaffenen Präsidium
in einer regierungsnahen, doch vergleichsweise unabhängigen
Kunststiftung zu kompensieren suchte, brachte es Michael Vesper
binnen kurzem fertig, durch ein sehr persönlich wirkendes Interesse
der unterbemittelten nordrhein-westfälischen Kunst und Kultur
viel Achtung und Beachtung zu verschaffen. Für Rat wie Kritik
stets empfänglich, was durchaus ungewöhnlich ist bei führenden
Politikern, glich er neben den geschickten Mitnahmeeffekten aus
anderen Abteilungen seines Vierfachministeriums das eingeschränkte
Ausgabenvolumen für die Kultur doch oft ziemlich erstaunlich
aus.
Dabei waren Krisen, etwa bei der Landesausstattung der Theater
oder im Bibliothekswesen, keineswegs selten. Vespers Engagement
half, oder tröstete, meistens darüber hinweg. Am auffallendsten
allerdings war und ist eine Erfindung, die ihm wie keinem Zweiten
zu verdanken ist: die Einrichtung eines Festivals der ungewöhnlichsten
Art, die Gründung der RuhrTriennale, deren Originalität
und Erfolg auch den noch so berechtigten Zweifel still gemacht hat.
In einem Bundesland, in dem im Unterschied zu allen anderen die
Städte über neunzig Prozent des Aufkommens die Kulturträger
sind, hat sich mit der RuhrTriennale – zunächst unter
der Leitung Gérard Mortiers, inzwischen Jürgen Flimms
– das Land einem künstlerischen Großevent verschrieben.
Mit der Gefahr einer sozu- sagen pervertierten Vorbildlichkeit für
die Kommunen, langfristig auch ihrerseits den immensen Dauereinsatz
für die Theater, Orchester, Museen zu reduzieren und auf kurzlebige,
öffentlich wirksamere Ereignisse zu setzen.
Dass dies, soweit schon absehbar, bisher nicht geschehen ist, auch
dass die Gelder für das Festival nicht den Landeskulturetat
belastet haben, sondern zusätzlich – überwiegend
von der Europäischen Union – bereitgestellt wurden, hat
die grundsätzlichen Befürchtungen aus der Perspektive
der notleidenden Städte doch beruhigen können. Kommt hinzu,
dass diese RuhrTriennale, in nachgerüsteten Fabrikationshallen
eingerichtet, nachhaltig dem Strukturwandel im Ruhrgebiet von einer
Industrie- in eine Kulturlandschaft dient – und deswegen mit
den Salzburger oder Bayreuther Höhenflügen nicht zu vergleichen
ist. Wert legt inzwischen auch die neue Regierung auf die Feststellung,
dass dieses Festival Zukunft hat.
Beispielhaft über Nordrhein-Westfalen hinaus war und bleibt
aber auch, dass sich Minister Vesper zu einem „Fonds Neues
Musiktheater“ überreden ließ: zur Bereitschaft,
Sondermittel anzulegen als Risikozulagen bei der Erweiterung des
Repertoires in den immer noch dreizehn Opernhäusern des Landes,
genauer, der kostbar-kostspieligen Kunstgroßbetriebe in der
Trägerschaft nordrhein-westfälischer Städte. Risikozulagen
dank der Risikobereitschaft eines Politikers, ungewöhnlich
genug.
Für eine Wahl bringt dergleichen nichts. Diese aber brachte
im Frühsommer einen Mann an die Macht, der mit seinen Ankündigungen
viel Hoffnung weckt: Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, bis dahin erst
Kulturdezernent und Stadtdirektor im linksrheinischen Neuss, dann
gegenüber in der Landeshauptstadt Düsseldorf. Ein Kenner
der Szene und der Bedürfnisse von Kunst und Kultur. Und ein
Verfechter des von ihm beim Museumsbau und Museumsbetrieb erfolgreich
bereits ausprobierten Public-Private-Partnership, das so zeitgemäß
wie heikel ist. Kann es doch auch dazu verführen, die Hoheit
öffentlicher Kulturträgerschaft tiefer zu hängen
und die Kulturfinanzierung der öffentlichen Hand partiell in
Frage zu stellen. Äußerungen des Kulturstaatssekretärs
beim Jubiläum der Wilhelm-Lehmbruck-Stiftung in Duisburg, die
eine Drittelparität der Wirtschaft, des Staates und der Bürgerschaft
beim Einsatz für Kunst und Kultur ausgemalt haben, beschreiben,
wenn auch noch nebulös, durchaus die Gefahr.
Erhöhen will Grosse-Brockhoff, der auch als Fachmann für
den Zusammenhang von Schule und Kultur, Kultur und Bildung bestens
ausgewiesen ist, den staatlichen Anteil an den nordrhein-westfälischen
Kulturausgaben, ihn verdoppeln sogar in einer Legislaturperiode.
Wer weiß, dass der gesamte Kulturhaushalt des Landes –
mit nicht mehr als 0,27 Prozent des Gesamthaushalts – nicht
höher ist als der Kulturhaushalt beispielsweise nur der Stadt
Essen, rund 150 Millionen Euro im Jahr, wird darum den Ruin des
Landes Nordrhein-Westfalen nicht gleich befürchten müssen.
Doch immerhin, eine deutliche Anhebung der Kulturausgaben hat seit
Jahrzehnten keine Regierung mehr ins Auge gefasst.
Übrigens: Potentiell weitere staatliche Kulturmillionen stecken
in NRW – das auf der Rangliste der Kulturausgaben der Länder
weit hinten steht – im so genannten kommunalen Finanzausgleich.
Doch ist dieses Geld in die Hand der Städte und ihrer kommunalen
Selbstverwaltung gegeben; also frei von der Garantie, dass es für
die Kultur tatsächlich aufgebracht wird.
Interessant und vernünftig wirkt auch die Vision, die Grosse-Brockhoff
zum Saisonbeginn in Gütersloh beim Jubiläum des dortigen
Kultursekretariats bekannt gemacht hat. Die Eventkultur empfahl
er der Wirtschaft, die kulturellen Institutionen dem Land und den
Kommunen; und ihnen als Partner auch den Einsatz für die weniger
lauten, übersetzt ausgedrückt, für die weniger marktgängigen
und publikumsträchtigen Kultur- und Kunstschöpfungen.
Unter Politikern sind solche Gedanken nachgerade selten.
Bleibt das für den von starken Stadtlandschaften geprägten
Flächenstaat Nordrhein-Westfalen größte Problem:
der von der Landesverfassung geforderte gemeinsame Einsatz von Stadt
und Staat für die Kunst und Kultur. Stattdessen ist die Kirchturmspolitik
hier und die Eifersucht da an der Tagesordnung. Rivalitäten
weit und breit, die seit langem vergeblich die faire Balance wie
die ordnende Kraft bitter nötig haben.
Ob die neue nordrhein-westfälische Landesregierung an diesen
Verhältnissen mit all ihrem Wildwuchs im Förderdschungel
wirklich viel wird ändern können, bleibt skeptisch abzuwarten.
Ist doch der Kulturchef des Landes neuerdings zugleich auch der
Chef der Staatskanzlei und damit betraut mit dem zeit- und kraftraubendsten
Regierungsamt wohl überhaupt. Der Anwalt der Künste als
Politjongleur. Ein Konstruktionsfehler zum Nachteil der kulturellen
Moderation, für die Grosse-Brockhoff eigentlich die besten
Voraussetzungen mitgebracht hat. Nur eine zwangsläufig nicht:
die jederzeit offene Gesprächsbereitschaft seines Vorgängers.
Wochenlanger Trost mit einem guten Platz auf der Telefonliste ist
in der Not dafür kein Ersatz.