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nmz-archiv
nmz 2005/11 | Seite 41
54. Jahrgang | November
Bücher
Hofnarr, König Drosselbart und Stadtmusikanten
Eine Neuerscheinung soll ins szenische Spiel mit Musik einführen
Manuela Widmer: Spring ins Spiel. Elementares Musiktheater
mit schulischen und außerschulischen Gruppen. Ein
Handbuch, Fidula, Boppard am Rhein 2004, 264 S., CD, € 34,80,
ISBN 3-8722-6925-9
Die Veröffentlichung „Spring ins Spiel“ von Manuela
Widmer „möchte allen Pädagoginnen und Pädagogen
Mut machen, (…) den Sprung ins szenische Spiel mit Musik,
Bewegung, Sprache sowie Bühnen- und Kostümherstellung
zu wagen.“ (Vorwort)
Um dafür umfassende Ideen, Hilfestellungen und Anleitungen
zu geben, gliedert sich das Buch in fünf große Kapitel:
I. Die Wegbeschreibung ins Spiel, II. Die Spielelemente, III. Der
Entwicklungsprozess, IV. Spielskizzen und V. der Blick hinter die
Kulissen.
Im I. Kapitel wird die Stoffauswahl anhand allgemeiner Vorüberlegungen
zu Spielformen, der Gruppe und der Arbeitssituation, zur Rollenbesetzung
und zur Ausstattung, sowie die äußeren und inneren Rahmenbedingungen
kurz vorgestellt. Im II. Kapitel werden die Spielelemente: Bewegungs-
und Tanzgestaltung, instrumentale Gestaltung, Singen und Sprachgestaltung,
Bühnengestaltung sowie Kostüm- und Requisitenherstellung
erörtert. Das III. Kapitel stellt den Entwicklungsprozess von
einer Geschichte oder Bilderbuchvorlage zu einer konkreten Aufführung
anhand der Aktionen Erspielung (Darstellung kleiner Theatersequenzen,
Übungen zur Darstellung, Umsetzung von Kurzgeschichten), Erarbeitung
(Textanalyse, Rollen finden, Ideen sammeln), Erprobung (Entwicklung
von Szenen, Wiederholen/Üben) und Aufführung dar. Im IV.
Kapitel werden vier konkrete Spielbeschreibungen vorgestellt: Der
beste Hofnarr, König Drosselbart, Ferdinand (eine Geschichte
von einem ungewöhnlichen Stier), Bremer Stadtmusikanten. Diese
Spielskizzen stellen ausgearbeitete Spielabläufe zum Nachspielen
dar, inklusive Liedern und Instrumentalsätzen, Tipps zur Ausstattung
und einer differenzierten Szenenabfolge mit wörtlicher Rede.
Den Abschluss bildet Kapitel V, in welchem theoretische Hintergründe
zur Gruppenzusammensetzung, der Gruppenleitung, dem Individuum,
und zum EMT als „kreativem Feld“ unter Zuhilfenahme
von Erklärungsmodellen aus der TZI, der Gestaltpädagogik
und dem Konstruktivismus skizzenhaft dargelegt werden.
Insgesamt können die vorgestellten Spielideen, Klang- und
Musikvorschläge, Bewegungs- und Tanzanregungen als sehr konventionell
und in weiten Teilen als klischeehaft bezeichnet werden. Die Gestaltungsvorschläge
sind häufig sehr einfach und konkret, eine Möglichkeit
der Variation, Weiterentwicklung oder Hinterfragung wird kaum angeregt.
So wird zum Beispiel für die Darstellung des Gefühls Trauer
aufgeführt: „Trauer-Motiv mit den Bewegungen und Lauten:
• beide Arme zur Seite strecken und dann das Gesicht bedecken
• Oberkörper nach vorne beugen
• Jammer-, Klage-, Seufzerlaute“
Auch die Tier- und die Menschendarstellungen bieten wenig interessante,
geschweige denn kritische oder tiefgründige Auseinandersetzungsmöglichkeiten.
Unter der Überschrift „Menschen und ihre Charakterisierung
durch Bewegung“ findet sich folgende Beschreibung, die als
beispielhaft gelten kann: „Der Minister/die Hofdame: Haltung/Fortbewegung:
gerade aufgerichtet, stolzieren, marschieren, Gesten: bestimmend,
sich unterwürfig verbeugend, Mimik: ernst, hochmütig“
(S. 37) Der Zusatz, dass diese Charaktere je nach Geschichte sehr
unterschiedlich sein können, hilft nicht darüber hinweg,
dass diese Beschreibungen äußerst dürftig und oberflächlich
sind. Wie sieht es aus mit nervösen, frechen intelligenten
Hofdamen, die den Verlauf einer Geschichte erfrischend unkonventionell
beeinflussen könnten? Die Tierdarstellungen sind ähnlich
einfach. Zum Beispiel wird die Haltung/Fortbewegung von Stieren
beschrieben mit: „gebeugt auf zwei Beinen; stampfen (eher
am Platz), galoppieren (im Raum)“.
Auch die Ideen und Vorschläge zur instrumentalen Gestaltung
bleiben sehr oberflächlich und provozieren keine Auseinandersetzung
mit Klängen und Instrumenten, die aufgeführten Lieder
und Begleitsätze sind extrem simpel und beschränken sich
auf teilweise kindertümelnde Melodien und Texte sowie instrumentale
Begleitsätze von größter Einfachheit. Hinweise,
wie Kinder selber zum Musizieren, Komponieren und Texten angeregt
werden könnten, finden keine Erwähnung. Die ab Seite 51
aufgeführten Schallspiele werden etwa nicht produktorientiert
fortgeführt, sondern stagnieren als Übungen im Prozesshaften.
Die Kostümvorschläge beschränken sich auf Tücher,
Kleidungsstücke und Basteleien, die nicht wirklich die Bezeichnung
Kostüm im Sinne einer Theateraufführung verdienen.
Das Buch ist eher unübersichtlich aufgebaut und eine Fülle
von Ideen werden lediglich angerissen. Das Nachspielen der Spielskizzen
erfordert ständiges Blättern und Suchen, Querverweise
zu anderen Kapiteln lassen sich teilweise weder im Inhaltsverzeichnis
noch in den einzelnen Kapiteln wiederfinden. Vergeblich sucht man
die auf der Seite 195 angegeben „Kampf-Schau-Tänze“
der Stiere im Materialangebot. Die „Erspielung“ ist
eine Aneinanderreihung von Elementen ohne seriöse didaktisch-methodische
Aufarbeitung.
Auch wenn sich die Veröffentlichung an Laien richtet, welche
wiederum Laien im elementaren Musiktheater unterrichten (eine per
se fragwürdige Situation) so sollten gewisse Qualitätsstandards
berücksichtigt bleiben, zumal die Autorin im Vorwort darauf
hinweist, dass das Buch Hinter- und Beweggründe bietet, was
allerdings nicht eingelöst wird.
Die wenig sachliche Sprache ist der Sache nicht dienlich, oftmals
sind die Beschreibungen wenig fokussiert und die immer wieder geäußerte
Theoriefeindlichkeit der Autorin mutet merkwürdig an. Tatsächlich
würde es der Veröffentlichung gut tun, neben dem ganzen
Angebot zum Tun, die Lernziele, die Vorgehensweise und auch die
verantwortungsvolle Integration von Ideen der Kinder zu analysieren
und zu hinterfragen. So ist das Buch eine Anleitung zum (lehrergeleiteten)
Aktionismus, der auch durch die (unangemessen anspruchsvollen) theoretischen
Zusammenhänge in Kapitel V nicht nivelliert wird. Die dem Buch
beiliegende CD entspricht zu großen Teilen dem kindertümelnden
Gestus des Buches, insbesondere die Passagen des „singenden
Erzählens“ und einige der „Instrumentalstücke“
lassen die üblichen musikalischen Qualitätsstandards vermissen.
Abschließend kann festgestellt werden, dass die Veröffentlichung
keinen erkennbaren ästhetisch-künstlerischen Anspruch
in der Gestaltung von Musiktheaterstücken erkennen lässt,
welcher die künstlerisch-kreativen Potentiale der Kinder, der
Teilnehmer insgesamt zu fördern bestrebt ist. Ein Aspekt, der
auch im elementaren Musiktheater mit Kindern und Laien seriös
zu berücksichtigen ist.