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nmz-archiv
nmz 2005/11 | Seite 40
54. Jahrgang | November
Rezensionen
Kurz vorgestellt
CDs
Heinrich Schütz/György Kurtág: Die sieben
Worte; Olivier Messiaen: Visions de l’Amen; Andreas
Grau, Götz Schumacher, Klavier
col legno WWE 1CD 20105
Wieder eine dieser wunderbar tiefen und einfühlenden Bearbeitungen
von György Kurtág, in denen alte Musik, ohne dass
große Veränderungen vorgenommen würden, auf einmal
völlig neuartig, wie von einem Licht aus anderer Welt beleuchtet,
aufscheint. Die Kurtágs spielen das hinreißend! Aber
unter den heutigen Klavierduos sind es Grau/Schumacher, die den
kompositorischen Intentionen am nächsten kommen. Neben diesen
schlichten Gebilden dann die exorbitante Leuchtkraft der „Visions
de l’Amen“ von Messiaen. Großartig!
Vergleicht man mit Silvestrov, Terterjan oder auch Kantscheli,
dann wirken Tigran Mansurians (geb. 1939) Kompositionen um einiges
traditioneller oder eingebundener in den Kanon der europäischen
Tradition. Die Quartette sind karg und streng linear geführt,
sie suchen immer wieder das melodische Espressivo. Die Abgeklärtheit
des Loslassens wird man eher vermissen. Schlichter als Bartók
oder Schostakowitsch, gehen sie kaum über deren kompositionstechnischen
Stand hinaus. Alles in allem ein wenig enttäuschend.
Tobias PM Schneid: Prelude I; weird scenes inside the mirror
cage; Vertical Horizon I; umbrellas & sewing machines; I’m
dancing on the edge of time II; the lonely monk’s reflections
musikFabrik, Peter Rundel
Die irgendwo glatt wirkende, gleichwohl immer nervig aufgeriebene
und technisch grandios durchgestaltete Musik von Tobias PM Schneid
führt den Hörer immer wieder in Räume, in denen
Lichteinfall, Spiegel und elegant gewähltes Interieur für
einen ins Surreale schweifenden Hyperrealismus sorgen. Alle Gestalten
sind klar, wie hervorgemeißelt, aber ihre Beziehungen zueinander,
ihr Verhältnis zur vergehenden Zeit bleiben rätselhaft.
Es ist, als sei eine Linse mit Überschärfe vorgespannt.
Das so Gesehene, beziehungsweise Gehörte schlägt in
Bann.
Das Percussions Ensemble Stuttgart (maßgeblich in allen
drei Kompositionen) entwickelt die vielschichtig verzweigte, durch
Ängste, Spukgestalten, flüsternde Geister und irrlichternde
Drohungen schweifende Musik von Adriana Hölszky ganz direkt
aus der Spannung der schlagtechnischen Gestaltung heraus. Diese
Unmittelbarkeit steht der Musik gut an, ist sie doch selbst Nachzeichnung
einer dringlichen Botschaftsübermittlung, die den Hörer
ganz unmittelbar umfängt und in Beschlag nimmt. Vergessen
sind struktureller Überbau und klangtheoretische Erwägungen.
Wir stehen mitten im Leben, umlagert von fremden Kräften.
Der Finne Aulis Sallinen, 1935 geboren, pflegt einen neotonal
expressiven Stil mit klarer Kontur und sprechender Diktion. Ein
Kammeroratorium – so wäre dieses knapp einstündige
Stück wohl am treffendsten zu bezeichnen – mit einem
außergewöhnlichen Sujet: die Gestalt von Barabbas,
die erste, der der Kreuztod Jesu Christi das Leben rettete. Eine
innige Musik.