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nmz-archiv
nmz 2005/11 | Seite 40
54. Jahrgang | November
Rezensionen
Liebe auf den ersten Ton
Drei große Jazz-Filme jetzt auf DVD: „Um Mitternacht“,
„Bird“ & „Thelonious Monk“
Fast zwei Jahrzehnte sind inzwischen vergangen, als diese drei
Jazz-Filme, die inzwischen zu Klassikern geworden sind, ins Kino
kamen. Alle drei Filme wurden seinerzeit von den bürgerlichen
Feuilletons eher ignoriert. Provinzredakteure, die sich Schreibsklaven
hielten, die sie manchmal nicht einmal für ihre Arbeit bezahlten,
zuckten nur mit den Schultern, wenn man ihnen von Eastwoods Film
über Charlie „Bird“ Parker oder von Dexter Gordon
vorschwärmte. Jazz galt dort vielen noch als „Negermusik“.
Nebenbei bemerkt, den damals gerade eingeführten Begriff HipHop
glaubte ein besonders gewissenhafter Redakteur in Hop-Hop-Musik
umwandeln zu müssen. Fachidioten, die sich selbst „Cineasten“
nannten, waren zwar gerade noch geduldet, aber die nächste
Shakespeare-Inszenierung war natürlich tausendmal wichtiger
als der neueste Film von Clint Eastwood. Eastwood. Nein, damals
hatten nur die Cineasten gewusst, dass Eastwood seit Anfang der
siebziger Jahre auch zu den bedeutendsten Hollywood-Regisseuren
gehörte. Die, die damals mit ihrer Ignoranz über das Kulturgut
wachten, quatschen heutzutage ständig von der „Wissensgesellschaft“
und vom „lebenslangen Lernen“. Das alles geht einem
Zeilensklaven wie mir durch den Kopf, wenn er diese drei Warner
Home Video-DVDs vor sich liegen sieht: „Um Mitternacht“,
„Bird“ und „Thelonious Monk“.
Inzwischen plappert jeder Provinzredakteur nach, dass Clint Eastwood
ein großer Jazzfan ist und ein großer Regisseur sowieso.
So, so, ist die Message jetzt angekommen. Lange hat es gedauert.
Als Dave Kehr damals Eastwoods sehr persönliches Biopic über
„Bird“ (mit Forest Whitaker in der Titelrolle) besprach,
verglich er die Jazzmusik mit der Art von Volkssprache, die er sonst
in seinen Filmen praktizierte. Beide, schrieb er, „arbeiteten
in der Grauzone zwischen populär und persönlich beziehungsweise
zwischen grobem Kommerz und reinem Idealismus“, und daher
sei es „sowohl ein Film über Jazz als auch ein Film über
die Art des Filmemachens, die Clint Eastwood praktizierte und die
schon die Generation vor ihm gezeigt hatte“. Zwei große
Kunstformen hat Amerika hervorgebracht: den Jazz und den Film. Wie
„jazzig“ Filme sein können, zeigen große
Regisseure wie Otto Preminger, der mit Jazzern wie Duke Ellington
oder Shelley Manne zusammengearbeitet hat, oder eben auch Clint
Eastwood, der ab und zu in seinen Filmen sogar am Klavier herumklimpert.
Clint Eastwood war es im Übrigen auch, der im „Bird“-Jahr
1988 den besten Film über ein anderes Jazz-Genie produzierte:
„Thelonious Monk: Straight No Chaser“ von Charlotte
Zwerin.
„Round Midnight“ heißt eine der schönsten
Kompositionen Thelonious Monks, die Bertrand Taverniers Film den
Titel gab. Bei uns hieß der Film „Um Mitternacht“,
denn der deutsche Verleih wollte die hiesigen Jazzfans mit einem
englischen Titel nicht verschrecken. Daran, dass „Round Midnight“
längst zum Begriff und zum Standard geworden ist, hatte dort
wohl niemand gedacht. Bertrand Tavernier jedenfalls dürfte
mit dem deutschen Filmverleih seiner Hommage an Bud Powell, dem
er diese „labor of love“ gewidmet hat, wenig zufrieden
gewesen sein.
Paris 1959. Miles Davis hat gerade seine erste Filmmusik für
den Debütfilm von Louis Malle komponiert, „Fahrstuhl
zum Schafott“. Und jetzt ist Dale Turner im Blue Note eingetroffen,
das große Idol von Francis. Wenn es Nacht wird in Paris, bekommt
„Lady“ Francis, wie er später von Turner liebevoll
genannt werden wird, den Blues. Jede Nacht hockt Francis vor der
Kellerluke des Blue Note und lauscht den Klängen des Tenorsaxophonisten.
Von Liebe auf den ersten Ton erzählt nun Tavernier. Dale Turner
und „Lady Francis“, das ist ein besonderes Liebespaar:
Ihre Liebe geht durch die Ohren. Mehr noch als Dexter Gordons wunderbares
Saxophonspiel bleibt dann auch die dunkle melancholische Stimme
dieses Amerikaners in Paris im Ohr: „Aimez-vous basket-ball?“,
fragt Dale Turner die kleine Tochter von Francis immer wieder. Und
in seiner Stimme liegt dabei die Sehnsucht nach seiner Heimat und
nach seiner Tochter Chan, der er eine bittersüße Ballade
gewidmet hat – die Herbie Hancock für den Film komponierte.
Am Ende stirbt Dale, und Francis bleiben nur die alten Filmstreifen,
die er sich immer und immer wieder ansieht. 1990, nur ein paar Jahre
nachdem Dexter Gordon für seine Rolle in „Round Midnight“
für den Oscar nominiert wurde, starb er. Zwei Jahre vorher
war bereits Chet Baker aus dem Fenster gefallen, dessen Geist über
„Round Midnight“ ebenfalls zu schweben scheint und dessen
Stimme hier zum letzten Mal aus dem „Jenseits“ erklang:
„Fair Weather“. Neben Clint Eastwoods „Bird“
und Bruce Webers „Let’s Get Lost“ ist „Round
Midnight“ einer der schönsten Jazzfilme überhaupt:
das „Bonjour Tristesse“ der achtziger Jahre –
wie von Truffaut inszeniert. Alle Lieben in einem Film: die Musik,
das Kino und die Frauen. Was will das Herz noch mehr?