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nmz-archiv
nmz 2005/11 | Seite 25
54. Jahrgang | November
Verbandspolitik
Positives Klima
Rolf Bolwin, Deutscher Bühnenverein
Seit dem 1. Januar 1992 ist Rolf Bolwin Geschäftsführender
Direktor des Deutschen Bühnenvereins. Ferner ist Bolwin Mitherausgeber
des im Decker-Verlag erschienenen Kommentars zum Bühnen- und
Tarifrecht. Mit zahlreichen Publikationen hat er sich zudem in den
letzten Jahren an der öffentlichen Debatte um die zukünftige
Struktur der Staats- und Stadttheater beteiligt. Die Ziele des Deutschen
Bühnenvereins sind griffig formuliert: „Der Deutsche
Bühnenverein hat das Ziel, die einzigartige Vielfalt unserer
Theater- und Orchesterlandschaft und deren kulturelles Angebot zu
erhalten, zu fördern und zu pflegen. In diesem Sinne versteht
sich der Bühnenverein als ein Theatererhalterverband, aber
auch als ein Zusammenschluss, der Kunst und Kultur als unverzichtbaren
Bestandteil städtischen Lebens in das Zentrum seines Bemühens
stellt.” Die Redaktion der nmz sprach mit Rolf Bolwin darüber,
wie weit Ziel und Realität übereinstimmen.
nmz: Viele deutsche Theater leiden bittere Not.
Kulturhaushalte werden überproportional gekürzt, man denke
an das aktuelle Beispiel Halle an der Saale. Wie hält der Deutsche
Bühnenverein gegen diesen Trend? Rolf Bolwin: Zunächst durch Überzeugungsarbeit
vor Ort. Wir versuchen, die Politik davon zu überzeugen, dass
Sparen an der Kunst der Stadt und ihrem Ansehen in der Öffentlichkeit
schadet. Kunst steht für Kreativität und Phantasie, für
Reflexion und Diskurs. Will eine Stadt im öffentlichen Raum
auf all dies nicht verzichten, muss sie ihre Kultureinrichtungen
erhalten, also auch weitgehend finanzieren. An einigen Standorten
ist die Lage so schwierig, dass nur durch lokale Bündnisse
für Arbeit und Kultur, das heißt durch Haustarifverträge
mit Gehaltsverzicht gegen Arbeitsplatzsicherung die Probleme zu
lösen sind.
Rolf
Bolwin. Foto: Bühnenverein
nmz: Sind Haustarifverträge und betriebliche
Vereinbarungen wirklich das einzige Mittel, „die einzigartige
Vielfalt unserer Theater- und Orchesterlandschaft und deren kulturelles
Angebot zu erhalten?“ Bolwin: Ernsthaft sparen kann man bei Theatern
und Orchestern – wie in anderen Unternehmen – nur bei
den Personalkosten. Lohnkürzungen sind jedoch nur in Grenzen
eine Lösung. Man kann die Löhne nicht immer weiter herunterfahren,
sie sind ja meist ohnehin nicht sehr hoch. Letztlich muss es darum
gehen, überall einen Stand zu erreichen, dass Eigeneinnahmen
und öffentliche Finanzierung den Erhalt des Theaters und des
Orchesters sicherstellen. Das wird mancherorts nur durch Bündelung
der Ressourcen, also durch mehr Kooperation bis hin zum Zusammenschluss
von Betrieben, zu erreichen sein. Manches Theater oder Orchester
in den neuen Bundesländern hätte ohne eine Fusion nicht
überlebt.
nmz: Bei unseren Lesern ist das nicht so im Bewusstsein,
aber der DBV ist auch ein Musikverband. Würden Sie dem zustimmen? Bolwin: Sicher, dem Bühnenverein gehören
79 Opernhäuser und 97 Orchester an. Zusätzlich sind die
Rundfunkorchester durch eine Mitgliedschaft der meisten ARD-Anstalten
an den Bühnenverein angeschlossen. Die hohe Anzahl der Mitglieder
aus dem Bereich der Musik hat letztlich dazu geführt, dass
die Alltagsprobleme des Musiklebens, vor allem in organisatorischen,
rechtlichen und tariflichen, aber auch politischen Fragen uns am
meisten beschäftigen. Wir haben ja gerade deshalb in der letzten
Hauptversammlung in Dresden unseren Namen geändert in „Deutscher
Bühnenverein – Bundesverband der Theater und Orchester“.
Außerdem wurde ein Ausschuss eingerichtet, der sich vor allem
mit Orchesterfragen beschäftigt.
nmz: Welche Hoffnungen weckt eine Große
Koalition bei Ihnen? Bolwin: Dass man sich endlich der zahlreichen gesetzlichen
Probleme annimmt, die von den Theatern und Orchestern seit Jahren
beklagt werden. Um gesetzlichen Auflagen zu genügen, betreiben
wir einen administrativen, besser gesagt einen bürokratischen
Aufwand ohnegleichen. Dieselben politischen Parteien, die uns in
den Kommunen und Ländern die Gelder streichen, verursachen
als Bundesgesetzgeber täglich neue Kosten. Das kann so nicht
weitergehen. Außerdem sollte der Bund sicherstellen, dass
Ländern und Städten die Gelder zur Verfügung stehen,
die sie benötigen, um ihre Kultureinrichtungen zu finanzieren.
nmz: Welche neuen Impulse erhoffen Sie sich von
einem neuen/einer neuen Staatsminister/-in für Kultur? Bolwin: Er (oder sie) sollte für ein kulturpolitisch
positives Klima sorgen, sollte klar machen, welche Bedeutung Kunst
und Kultur hierzulande haben. Und er sollte denen entgegentreten,
die mit den absurdesten Behauptungen unsere öffentlichen Kultureinrichtungen
in Grund und Boden quasseln. Gerade vom Bundeskulturbeauftragten
muss man hohe Sachkompetenz erwarten dürfen. Er muss der oberste
Sachwalter in kulturellen Angelegenheiten sein. Und er muss die
kulturellen Interessen der Bundesrepublik Deutschland sowie die
Interessen ihrer Kultureinrichtungen effektiv im Ausland vertreten.
nmz: Hauptaufgabe des DBV ist die Tarifpartnerschaft.
Doch die Zusammenarbeit mit ver.di scheint ein Problem. Warum? Bolwin: Der Bühnenverein ist ja zunächst
einmal ein Kulturverband, der sich für den Bestand und die
Fortentwicklung seiner Theater und Orchester einsetzt. Erst in zweiter
Linie ist er Tarifpartner. In dieser Funktion handeln wir für
die Arbeitgeberseite die Tarifverträge aus, in denen die Arbeitsbedingungen
des künstlerischen Personals, also der Schauspieler, Sänger,
Tänzer, Musiker und künstlerischen Bühnentechniker
festgelegt werden. Unsere Partner sind die Künstlergewerkschaften,
die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA),
die Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer
(VdO) und die Deutsche Orchestervereinigung (DOV). Das Theaterbetriebspersonal
hingegen arbeitet nach den Tarifverträgen des öffentlichen
Dienstes, die mit ver.di vereinbart sind. Wir halten das nicht mehr
für zeitgemäß, was auf den scharfen Widerspruch
von ver.di stößt. Das ist der Konflikt, um den es geht.
nmz: Wer sind außer ver.di noch weitere
„Bundesgenossen“ im Kampf um den Erhalt von Theater-
und Orchesterkultur? Bolwin: Natürlich die Künstlergewerkschaften,
aber zugleich alle, die wissen, dass es ohne Kunst und Kultur nicht
geht.
nmz: Früher waren es die Bürgermeister,
die die Präsidenten stellten. Heute sind es die Intendanten:
August Everding (1989–1999), Jürgen Flimm (1999–2003),
Klaus Zehelein (ab 2003). Wären die Stadtoberen nicht näher
an dem, was allen heute fehlt, nämlich dem Geld. Bolwin: Am Tisch des Bühnenvereins sitzen
nicht nur die Theater und Orchester, sondern auch die Kommunen und
die Länder, deshalb könnten sie selbstverständlich
genauso gut den Präsidenten stellen. In diesen schwierigen
Zeiten hat man sich jedoch immer wieder darauf verständigt,
eine Künstlerpersönlichkeit an die Spitze des Bühnenvereins
zu berufen, weil sie bedingungsloser für Kunst und Kultur streiten
kann. Und ich glaube, dass dies eine richtige Entscheidung war.
nmz: Sie sind Mitglied des Ausschusses der Bundesvereinigung
der Arbeitgeberverbände für Sozialpolitik in der Europäischen
Union. Von 2002 bis zu diesem Jahr Präsident der Performing
Arts Employers Associations League Europe (PEARLE*), dem Dachverband
der europäischen Arbeitgeberverbände für Theater
und Orchester.
Was bedeutet Europa für die deutschen Theater und Orchester? Bolwin: Europa wird im Gesetzgebungsbereich immer
wichtiger, deswegen haben wir uns mit den Theater- und Orchesterverbänden
zu Beginn der 90er-Jahre zu PEARLE* zusammengeschlossen. So können
wir auf europäischer Ebene effektive Lobbyarbeit leisten.
Darüber hinaus verbinden Kunst und Kultur, unsere großen
kulturellen Gemeinsamkeiten, die europäischen Länder zu
einem vereinigten Europa, darauf müssen wir uns immer neu besinnen.