[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2005/12 | Seite 8
54. Jahrgang | Dez./Jan.
www.beckmesser.de
Humor
Ein Männerwitzchen gefällig? A sagt zu B: Von weitem
sieht sie ja ganz gut aus, wenn man sie so reden sieht. Antwortet
B: Da solltest du sie aber mal aus der Nähe sehen. So ähnlich
klingen die Kostproben aus den Büttenreden des kommenden Karnevals,
die von einigen führenden Witzbolden in einer Kölner Boulevardzeitung
zum Besten gegeben worden sind. Es geht um Angela Merkel, die erste
Bundeskanzlerin Deutschlands. Weitere Themen der kölschen Humorkanonen
sind unter anderem die Kleidung und die Frisur von Frau Merkel.
Gewiss war man bisher von der Erscheinung des Kanzlers Schröder
verwöhnt. Mit seinen perfekt sitzenden Maßanzügen
und seiner Mallorca-Bräunung sah er stets aus wie ein Dressman
aus dem Lifestile-Magazin. Und dann die sonore Stimme, die so überzeugend
klang! In Sachen Performance hat die neue Kanzlerin zweifellos noch
einen Rückstand aufzuholen.
Politiker und Politikerinnen als Zielscheibe des Spotts sind ein
alltägliches Phänomen. Es ist aber schon erstaunlich,
auf welche Aspekte man sich da eingeschossen hat. Wann wäre
bei einem Mann das Aussehen je so stark ins Zentrum gerückt
worden? Selbst bei Helmut Kohl, der sich dazu ja angeboten hätte,
hielt sich das Persönliche in Grenzen, und wenn, dann standen
die Anspielungen in einem politischen Kontext. Etwa die Birnen-Metapher
der „Titanic“: Sie bezog sich auf ein genaues historisches
Modell, den ebenso korpulenten Bürgerkönig Louis-Philippe.
Oder die bizarre Trachten-Montur, mit der Edmund Stoiber im „Spiegel“
bevorzugt abgebildet wird: Sie stutzt den bayerischen Politiker
ohne Worte auf seine regionale Bedeutung zurecht.
Dass das pure Aussehen der Kanzlerin, losgelöst von politischen
Verweisen, zum Thema des Humors werden kann, verrät, dass es
den karnevalistischen Büttenrednern nicht um politische Inhalte
geht, sondern ganz banal und direkt um die Geschlechterrolle. Sie
kommen nicht klar mit der Tatsache, dass plötzlich eine Frau
die mächtigste Position im Land einnehmen soll. Und damit sind
sie zweifellos nicht allein.
Ihr massentauglicher Humor sagt auch etwas über kollektive
Mentalitäten aus. Diese artikulierten sich in den letzten Wochen
mit großer Symbolkraft in den öffentlichen Handlungen
mancher Politiker, und zwar parteiübergreifend. Dazu gehörten
etwa die Herablassung, die der noch amtierende Bundeskanzler seiner
Nachfolgerin zunächst entgegenbrachte, die demonstrativen Versuche
der Bevormundung vor den Kameras durch Stoiber oder die Äußerungen
von Spitzenleuten aus CSU und SPD, eine Kanzlerin Merkel hätte
selbstverständlich kein Weisungsrecht im Kabinett. Hätten
dieselben Leute auch gegenüber einem Kohl oder Schröder
so aufzutrumpfen gewagt?
Angesichts solcher Reaktionen konnte man den Eindruck gewinnen,
dass die Tatsache, von einer Frau regiert zu werden, manchen Meinungsträgern
mindest ebenso viel Kopfzerbrechen bereitet wie die Frage der Staatsverschuldung.
Interessanterweise spielen sich diese Reaktionen auf zwei verschiedenen
Ebenen ab. Über Finanzen und alle andern politischen Sachthemen
wird bis zum Umfallen geredet und wenig gehandelt. Über Fragen
zur Geschlechterrolle wird dagegen wenig geredet, dafür umso
mehr auf der symbolischen Ebene agiert.
Nur die kölschen Karnevalisten sind so frei, zu sagen, was
viele denken und aus Gründen der politischen Correctness nicht
auszusprechen wagen. Eine Frau im Bundeskanzleramt ist insofern
auch ein Lackmustest für die versteckten Vorurteile in der
Gesellschaft. Und zugleich eine zivilisatorische Chance.