Definitives Überleben eines Klassikers – zum 36. Deutschen
Jazz Festival Frankfurt 2005
Lange sah es nicht eben rosig aus für die Zukunft des ältesten
regelmäßig stattfindenden Jazzfestivals der Welt. Kurz
vor der 36. Ausgabe des Deutschen Jazz Festivals Frankfurt aber
durften die Veranstalter so stolz wie erleichtert verkünden,
dass es im nächsten Jahr definitiv eine 37. geben wird. Vielleicht
hat auch der öffentliche Protest, haben die vielen Presseberichte
und die Überredungskünste der Programmgestalter dazu geführt,
dass die Verantwortlichen den drohenden Imageverlust nicht riskieren
wollten und deshalb grünes Licht gaben.
Seit Jahren bindet der Hessische Rundfunk, der das Deutsche Jazz
Festival Frankfurt veranstaltet, die HR Big Band fest ins Programm
mit ein. Diesen Oktober standen die Mannen des Orchesters gleich
dreimal auf der Bühne. Das vom aufgekratzten Ed Partyka geleitete
Ensemble machte sich zunächst mit dem Gastsolisten Markus Stockhausen
(Trompete) über Don Ellis her. Obwohl Original-Arrangements
des 1978 verstorbenen Musikers aufgeführt wurden, wollte sich
der wilde Geist, von dem seine Big- Band-Stücke einst durchdrungen
waren, nicht vermitteln, was vermutlich weder an den HR-Recken noch
an Stockhausen, sondern womöglich daran lag, dass sich der
Spirit von damals im Lauf der Zeit verflüchtigt hat. Sehr viel
mehr Eindruck machte die HR Big Band mit einem Projekt, das „Bigbandtronics“
überschrieben war und das Orchester mit NuBox und DJ Illvibe
zusammen führte. Äußerst präzise wurden da
die Samples zugespielt, zogen enorme Bläserflächen auf,
wirbelten wilde Scratchings und elektronische Patterns durch die
Arrangements. Eine Bläsersektion der HR Big Band stand schließlich
noch mit den „Young Friends“, die aus dem „German
Songbook“ zitierten, auf der Bühne. Die zusätzlichen
Klangfarben erstickten das Geschehen aber eher als dass sie es belebt
hätten.
Die „jungen Freunde“ Michael Wollny und Eric Schaefer
waren auch noch in „Electric Bundle“, dem Ensemble des
Bassisten Stephan Schmolck aktiv und spielten dort richtig befreit
auf. Eine schöne Balance aus Notiertem und Improvisiertem war
da zu hören, gelegentlich von sanfter elektronischer Zusatztönung
begleitet. „Jazz- und Rockklassiker – geschüttelt,
nicht gerührt“ war das Deutsche Jazz Festival Frankfurt
2005 überschrieben und spielte damit auf den Lieblingsdrink
von James Bond an. „Sex Mob“ um den Trompeter Steven
Bernstein kredenzten in Frankfurt die Musik, die 007 bei seinen
Abenteuern begleitet. Doch vieles von dem, was Bernstein und seine
Mannen zitierten und aufarbeiteten schien in geheimer Mission stattzufinden.
So richtig drang er nicht zum Publikum vor, obwohl es in seinem
Konzert viele reizvolle Momente gab. Erstaunlich gut kam dagegen
das Rolling Stones-Projekt des Kölner Saxofonisten Wollie Kaiser
an. Der hatte sich zwar bei manchem steinernen Klassiker richtig
viel Mühe mit dem Arrangement gegeben, gab aber mehrfach belustigt
zu, dass er gescheitert sei. Es wirkte schon oft sehr statisch,
was da von der Bühne drang, und an der exaltierten Sängerin/Performerin
Elodie Brochier schieden sich die Geister. Rockgruppen sind auch
im Repertoire von „The Bad Plus“ zu finden. Umwerfend
macht sich das Piano Trio über Blondie und Nirwana her und
entwickelt dabei eine ungeheure Dynamik, die in einem furiosen Unisono-Morsealphabet
gipfelt. Sonst in Frankfurt: Gitarrist Marc Ribot und seine „Spiritual
Unity“ riefen den Geist von Albert Ayler und Henri Texiers
„Strada Quintet“ spielte mitreißende Musik, die
vom heißen Wüstensand des Mahgreb entzündet worden
war.