Stabile Brücken: Junge und alte Cellisten aus aller Welt
zu Gast in Kronberg
Die Augenbrauen zusammengezogen, der Gesichtsausdruck hochkonzentriert:
So sitzt die Kanadierin Kaori Yamagami im Altarraum der Johanniskirche,
um ihrem Cello leidenschaftlich vibrierende Kantilenen oder spritzige
Tonleiter-Läufe zu entlocken. Um sie herum geben Techniker
letzte Anweisungen, wo Mikrofone platziert, Schein-werfer aufgestellt
werden sollen – und sind dabei nicht eben leise. Kaori Yamagami
wirft das Rumpeln, Wummern und Zischeln ebenso wenig aus ihrer Celloklangwelt
im fernen Irgendwo wie die Tatsache, dass sich nebenan in der Sakristei
Natalia Gutman warm spielt, mit ebenfalls rasanten Läufen:
letzte Vorbereitungen zu dem Konzert, das die renommierte Cellistin
mit dem Nachwuchstalent Kaori Yamagami am Abend geben wird.
Denn bei diesem 7. Cello-Festival in Kronberg, das unter dem Motto
„Bridging The Generations“ steht, bauen die Profis Brücken
zu den über 200 Nachwuchs-Künstlern, die dieses Mal aus
40 Nationen nach Kronberg angereist sind. Und die Brücken sind
so stabil, dass sich einige Profis mit dem ganz besonderen Nachwuchs
sogar die Konzertprogramme teilen. Kaori Yamagami genießt
dieses Privileg, weil sie in diesem Jahr den Ingrid-zu-Solms-Kulturpreis
gewonnen hat, der alle zwei Jahre nur an Cellistinnen vergeben wird.
In den Jahren dazwischen haben dafür die Männer das Spielen
– beim Landgraf-von-Hessen-Preis.
Sind solche Frauenpreise heute wirklich noch notwendig? Ingrid
zu Solms, die seit 1994 mit ihrer Stiftung begabte Medizinerinnen,
seit 2001 auch Cellistinnen, Dirigentinnen und Komponistinnen fördert,
meint ja: Gerade Frauen, die auf dem besten Wege in die Elite sind,
haben sehr zu kämpfen – gegen die Widerstände der
Männer ebenso wie gegen die der Frauen, die selbst nicht berufstätig
sind und kein Verständnis zeigen für die weiblichen Überflieger.
Oft verhindert zudem die Familiengründung den Eintritt in die
Künstler-Elite. Das muss auch der Cellist Ralph Kirschbaum
einräumen, der für eine Meisterklasse und ein Konzert
nach Kronberg gekommen ist. Zwar hält er Cellistinnen heute
nicht mehr unbedingt für benachteiligt – zumal der Anteil
seiner Studentinnen am Northern College of Music in Manchester,
aber auch in den zahlreichen Kursen, die er weltweit gibt, inzwischen
60 Prozent ausmacht. Doch die Babypause hält auch er für
einen der Gründe, weshalb die meisten der hochbegabten Cellistinnen
es letztlich doch nicht nach ganz oben schaffen.
Neben Kirschbaum und Natalia Gutman sind zum Festival, das der
Cellist Raimund Trenkler vor zwölf Jahren zusammen mit der
Kronberg-Academy und der Kammermusik-Akademie aus der Taufe gehoben
hat, und das seither unter der Schirmherrschaft von Marta Casals
Istomin und Mstislaw Rostropowitsch alle zwei Jahre stattfindet,
weitere namhafte Cellisten angereist: David Geringas, Heinrich Schiff
und Mischa Maisky etwa, die bei einem der insgesamt 16 Konzerte
des Festivals in der Alten Oper Frankfurt auftreten, den hochbegabten
Nachwuchs wieder an der Seite. So wandert Geringas gemeinsam mit
den mehrfach ausgezeichneten jungen Cellisten László
Fenyö und Boris Andrianov und dem Beethoven Orchester Bonn
durch die tonalen Klanglandschaften, die Krzysztof Penderecki in
seinem Concerto grosso für drei Violoncelli und Orchester vor
ihnen ausgebreitet hat – und werden dabei von allerlei Schlagwerk
wie Stabglocken und Xylophon begleitet. Mischa Maisky tritt in Strauss’
Sinfonischer Dichtung als „Don Quixote“ dann den Kampf
gegen die flatterzüngelnd blökende Blechbläser-Schafherde
oder gegen die von der Windmaschine angetriebenen Orchester-Windmühlenflügel
an.
Der Nachwuchs schaut ihm im Publikum begeistert zu – darunter
auch einige der ganz Kleinen, für die in der Kronberger Stadthalle
ein paar Tage zuvor ein Kinderkonzert mit neuem Musikmärchen
stattfand: Von den Abenteuern, die der kleine Cellist Pauli in der
„Verzauberten Bibliothek“ erlebt – eigens fürs
Festival geschrieben von dem Autor Leon Ives und unterlegt mit Musikzitaten
und Geräuschen, die das Cello-Quintett „Cellissimo“
beisteuert –, erzählt Moderator Michael Schanze, mit
fernseh-bewährtem Lächeln in der sanften Märchenonkel-Stimme.
Schanze ist froh, dass es nach Prokofieffs „Peter und der
Wolf“ und Saint-Saëns „Karneval der Tiere“
endlich mal ein neues Musikmärchen gibt. Seit Jahren setzt
er sich dafür ein, Kinder an die klassische Musik heranzuführen
– auch in der Initiative des Verbandes deutscher Musikschulen.
Denn das „miteinander Musizieren, das Rücksicht nehmen,
das Respekt vor jemandem bekommen, das Zuhören“ hält
er für lebenswichtig.
Fürs Stadtleben wichtig ist inzwischen das Cello-Festival:
240 Gastfamilien haben sich in diesem Jahr in Kronberg gefunden,
um den Cello-Nachwuchs aus der ganzen Welt aufzunehmen. Von den
Gästen und den zahlreichen Besuchern, die sich außerdem
zu diesem etwas anderen Familientreffen einfinden, profitieren nicht
zuletzt Restaurants, Bars und Geschäfte. Auch Ausstellungen
laden zum Verweilen ein: In der Stadthalle Kronberg dreht sich auf
Japan-Papier ähnlichen großen Fahnen alles ums Leben
des Cello-Virtuosen und Komponisten Luigi Boccherini, dessen 200.
Todestag in diesem Jahr begangen wird. In der Streitkirche haben
währenddessen 14 zeitgenössische Künstler ihre auch
erotischen Fantasien zum Thema Cello in Ölbildern festgehalten,
während Fotograf Sasha Gusov atmosphärische, schwarz-weiße
Momentaufnahmen zeigt von sämtlichen Künstlern, die in
Kronberg schon zu Gast waren. In diesem Jahr wird sich Gusovs Künstler-Galerie
weiter füllen – mit Bildern vor teils atemberaubender
Kulisse, denn einige der zahlreichen Meisterkurse finden hoch über
den Dächern Frankfurts statt, in einigen Wolkenkratzern in
der Nähe der Alten Oper. Ein weiterer Höhenflug für
den Cello-Nachwuchs – im wahrsten Sinne des Wortes.