Matthus-Uraufführung I: Konzert für vier Saxophone
und Orchester mit dem Raschèr Quartet
Das ist die Bilanz des mehr als halbstündigen Werkes: Ein
„Wilder Besenritt gegen die geistreichen Trottel, die arroganten
Schönredner und die gefährlichen Dummköpfe“.
Rezensenten-Schelte eines Komponisten, der sich zuweilen der Apostel
der musikalischen Fortschrittsgläubigkeit und des seriellen
Dogmatismus im Darmstadt oder Donaueschingen von einst zu erwehren
hatte? Die Frage bleibt absichtsvoll offen – auch andere Professionen,
vorzugsweise in der Politik, könnten in diesen Hexensabbat
geraten sein, der freilich, wie tröstlich, sich weniger infernalisch
und grimassierend als bei Berlioz gibt und wohlgelaunt und gut dressiert
vom Hexenmeister endet.
Die Rede ist von Siegfried Matthus und seinen „Phantastischen
Zauberträumen“, uraufgeführt vom Raschèr
Saxophone Quartet und dem Kieler Philharmonischen Orchester unter
Georg Fritzsch – Teil eines umfangreichen vierjährigen,
von dem neuen Kieler Generalmusikdirektor initiierten Programms,
in dem die Raschèrs dem Orchester als „Soloists in
Residence“ und dem Landesmusikrat Schleswig-Holstein wie dem
Kieler Verein der Musikfreunde für andere Aktivitäten
verbunden sind.
Ähnlich wie Harry Potter nimmt uns Matthus in seinem neuen
Stück an die Hand in ein Zauberreich, in dem geheime Träume
und auch Albträume musikalische Wirklichkeit werden. Einer
geheimnisvollen Schönen wird ein graziöses Ständchen
gebracht; Raufbolde werden gezüchtigt, bis sie jämmerlich
aufseufzen; in einem Schloss gruselt es nächtens von nah und
fern; ein wiegendes Schlafliedchen lockt auch einmal zum Ausruhen,
und zwischendurch wird ein Ausflug in jenes Land Phantásien
unternommen, das wir aus der Matthus-Oper der „Unendlichen
Geschichte“ nach Michael Ende kennen. Das ist, gewiss, ein
hübsch illustrierender, prall charakterisierender und zugleich
ironisch distanzierender ausladender Bilderbogen von manchmal stark
theatralischem Gestus. Doch es ist mehr: ein sehr konzises, formbewusstes
Konzert für vier Saxophone und Orchester, klanglich vielfältig
schattiert, konzentriert in den Mitteln, von allem überflüssigen
Zierrat befreit. Matthus macht, mehr noch als in vielen früheren
Werken, spielerisch souverän und mit höchster Kennerschaft
Instrumente zu fest umrissenen Charakteren – die Solostimmen
der Saxophone vorab, die oft für sich allein oder gemeinsam
im Dialog ausgeprägte Persönlichkeiten entfalten und in
den zwischen die Sätze geschobenen Zaubersprüchen ohne
das Orchester magisch raunen oder aufgeregt parlieren dürfen.
Die stets durchhörbaren Tutti, in denen bis auf die Flöten
die Holzbläser fehlen und außerdem die Hörner, dafür
aber das Schlagwerk reich besetzt ist, werden zu ebenbürtigen
Partnern der vier Solisten, Kombattanten eher als Gegner.
Für das Raschèr Quartet war diese Uraufführung,
die bis jetzt dritte in ihrer Kieler „Residence“-Funktion,
sicherlich die dankbarste, handfesteste, was die Demonstration der
instrumentalen Möglichkeiten der Saxophon-Familie und was die
sichere weitere Verbreitung des Stückes betrifft. Mit dem Kieler
Orchester und Georg Fritzsch haben sie einen vertrauten Partner
von hohem Anspruch zur Seite, und Fritzsch verdanken sie auch den
Teppich, den er ihnen über die alljährlichen Uraufführungen
hinaus in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt ausgebreitet
hat.
Neben diesen Auftritten nämlich stehen solistische Konzerte
des Quartetts, Konzerte des großen Raschèr Saxophon
Orchesters sowie, das Wichtigste sicherlich, ein alljährlicher
viertägiger Workshop der Rachèrs, der einen unerwarteten
Zulauf gefunden hat. Um die vierzig Interessenten zwischen 14 und
70 haben jedesmal teilgenommen, Professionals wie Amateure. Viele
kamen aus der Jazz- und Popszene, und die Rachèrs haben in
den Kursen und Proben, die zu öffentlichen Konzerten führten,
die Grenzschranken zwischen E- und U-Musik weit geöffnet.
Wenn hier von diesen Workshops im Imperfekt gesprochen wird, dann
deshalb, weil die geplante Weiterführung im kommenden Sommer
augenblicklich noch in Frage zu stehen scheint. Finanzierungskosten
könnten den Landesmusikrat zur Absage zwingen.
Ein Magier allein, wie ihn Siegfried Matthus mit seinem neuen, parallel
zu dem für die Dresdner Frauenkirche entstandenen Te Deum auf
die Konzertbühne des Kieler Schlosses zauberte, wird kaum Sponsoren
oder öffentliche Mittel herbeischaufeln. Hier tut Hilfe not,
um diesen Baustein in den Unternehmungen von Georg Fritzsch, die
sich mit breitem positivem Echo um die Öffnung des üblichen
Konzert- und Orchesterlebens in neue Kreise hineinbemühen.
Wie auch immer, die Liaison zwischen dem Raschèr Saxophone
Quartet und dem Kieler Philharmonischen Orchester jedenfalls bleibt
auch für die Spielzeit 2006/2007 bestehen.