Das „open systems“-Festival vom 17. bis 20. November
2005
Offen für Neues war man bei der sechsten Ausgabe des nunmehr
alle zwei Jahre stattfindenden Festivals „open systems”
in doppelter Hinsicht. Zum einen wurden Grenzbereiche zwischen Musik,
Performance und Klangkunst abgesteckt. Zum anderen setzte der Künstlerische
Leiter Karl-Heinz Blomann, dem diesjährigen Motto „Dialog
und Innovation” entsprechend, auf überraschende Begegnungen
zwischen den Künstlern verschiedenster Genres und Sparten.
Wer sich ein launiges Crossover versprach, musste enttäuscht
werden. Worldmusic, Pop, Klangkunst und elektronische Musik standen
nicht nur bunt nebeneinander, sondern verschmolzen zu interessanten
und unvorhersehbaren Dialogen. Noch recht konventionell eröffnete
das Festival mit einem Konzert in den Bochumer Kammerspielen. In
Kooperation mit den Partnern von „November Music“ wurden
Werke von Komponisten aus dem Dreiländereck Deutschland, Belgien
und den Niederlanden, darunter Georg Gräwe, Anthony Fiumara,
Robin de Raaff und Luc Brewaeys, ausgewählt.
Neben der „Luxembourg Sinfonietta“ war es vor allem
das famose Arditti Quartett, das mit gewohnter Prägnanz und
Leichtigkeit den nicht gerade überraschenden Neukompositionen
zu Glanz verhalf. Dann aber öffnete sich die Plattform für
neue Denkansätze und kreative Ideenfindung. Äußert
gelungen war das Zusammentreffen des Free-Style-Vokalisten und Schlagzeugers
David Moss mit dem Gitarristen Michael Rodach in den Flottmann-Hallen
in Herne. Moss schnaufte, raunte, und krächzte mit seiner tiefen
Bassstimme und schien die Inkarnation dessen zu sein, was alle Kategorisierung
per se verbietet. Seine Lust an Geräusch und Rhythmus ging
mit den eigenwilligen Bluesklängen Rodachs eine bizarre und
teils auch humorvolle Synthese ein. Bis an die Grenze des Hörbaren
ging die Formation „48nord“ mit E-Gitarre, Live-Elektronik
und Kontrabass. Sie trafen auf Jeff Parker, Gitarrist der Band „Tortoise.“
Eine Begegnung, die nicht nur die Musiker, sondern auch die Zuhörer
auf die Probe stellte. Doch schnell war klar: Experiment geglückt.
Hier wurde der Hörraum in ein akustisches Labor umfunktioniert.
Eine Stecknadel hätte man fallen hören können, so
ruhig und konzentriert lauschte das Publikum – völlig
gefangen im Sog der Klänge. Wie wunderbar geschmeidig die Oud,
eine arabische Laute mit einer Trompete harmonieren kann, bewiesen
Dhafer Youssef und der italienische Jazztrompeter Paolo Fresu.
An profilierten Orten konnte man auch mit weiteren renommierten
Gästen aufwarten. In die Essener Philharmonie (neben dem renovierten
Domicil in Dortmund neu gewonnener Veranstaltungsort) strömten
viele Besucher um Arto Lindsay mit seinen eleganten Bossa Nova Rhythmen
im distinguiert modernen Gewand zu hören. Das Berliner Ensemble
„zeitkratzer“ begann mit minimalistisch anmutenden Tönen
Reinhold Friedls, ging dann aber mit den aggressiven Klangeskapaden
Masami Akitas, alias „Merzbow“ bis an die akustische
Schmerzgrenze mit einer seltsam läuternden Wirkung. Die Text-Bild-Musik-Collage
des Kroaten Marko Ciciliani mit eindringlichen Walzer- und Orientrhythmen
übertrumpfte bei weitem die Komposition, die Lindsay für
die Musiker geschrieben hatte. Etwas hilflos wirkte er, als er sich
stumm zu den Musikern auf die Bühne gesellte. Sicherlich nicht
das, was die Veranstalter sich unter einem „dynamischen Prozess“
vorgestellt hatten. Aber nicht jedes Experiment muss und kann zu
aufregenden Ergebnissen führen.
Neben international gefragten Künstlern wurde – sicherlich
auch im Hinblick auf die Bewerbung der Stadt Essen zur Kulturhauptstadt
2010 – auch die lokale Szene fokussiert. Das „Ensemble
Bracelli“, zusammengesetzt aus Musikern der Sinfonieorchester
Bochum und Dortmund, konzentrierte sich mit anrührender Spielfreude
auf bislang ungehörte Kompositionen Moondogs. Beim „Composers
Club Local“ präsentierten Studenten der Folkwang-Hochschule
neueste Werke. Zusätzlich wurde mit „Stadt, Land, Fluss
– Neue Klänge aus dem Lebensumfeld Emscher“ erstmals
auch ein Schulprojekt mit Komponisten der Region und Schülern
aus den beteiligten Festivalstädten initiiert. Ein wunderbares
Beispiel für die Ästhetik technischer Konfigurationen
bot Yasunao Tone, der japanische Schriftzeichen mit seinen „verwundeten“
manipulierten CD-Klängen verknüpfte.
Ein weiterer Höhepunkt war die Wiedervereinigung der fünf
Softwarespezialisten der legendären Formation „The Hub“,
die mit ihrem Netzwerk aus sternförmig verbundenen Computern
Klang-Reaktionen hör- und sichtbar machten.
Ein besonderes Bonmot war der australische Soundpoet Chris Mann.
Er führte als Emcee und Conferencier durch alle Abende und
schuf geistreiche und humoristische Brücken zwischen den vielfältigen
Begegnungen, die sich innovativ und mutig von jeglichem Schubladen-Denken
verabschiedeten.