„Das europäische Streichquartett: vier Männer
in Schwarz schuften sich mit ihren Bögen aus Holz ab, mit Rosshaaren
und Schafsgedärmen“. Das Zitat entstammt einem Buch des
Schriftstellers Pascal Quignard mit dem Titel „Der Hass auf
die Musik“. Zwar entspricht das Bild längst nicht mehr
der Wirklichkeit, doch als Karikatur habe es ihn „amüsiert“
und inspiriert, meinte der Komponist Alexandros Markeas während
einer Gesprächsrunde bei der „Langen Quartettnacht“
im Kunstmuseum.
Die Lektüre regte ihn zur Komposition seines Quartetts „Obsessions“
an, das als Auftragswerk des Beethovenfestes bei der „Langen
Quartettnacht“ uraufgeführt wurde. Das Streichquartett
wird darin als Schauplatz wechselnder Vorlieben und Abneigungen
unter den Musikern behandelt. „Faux départ“ (Falscher
Start) heißt der erste Satz. Der zweite Geiger und der Cellist
treten kurz auf, verschwinden aber sofort in Nebenräumen, um
erstem Geiger und Bratschist die Bühne zu überlassen.
Die unsichtbaren Musiker spielen ein wehmütiges Duett, die
anderen beiden halten mit einer scharf akzentuierten Musik in Bartók-Manier
dagegen. Im dritten Satz „Une chance à saisir“
(Die Chance anzukommen) wird der Cellist dann vom verbleibenden
Trio mit Verachtung gestraft, doch er weiß sich mit gebieterisch
klingenden Motiven zur Wehr zu setzen. Das humorige und ideenreiche
Stück wurde vom „Quatuor Danel“ mit entsprechendem
Spielwitz in Szene gesetzt. Nach der „Langen Nacht der Klaviere“
im vergangenen Jahr stand auch beim diesjährigen Beethovenfest
wieder Musik im XXL-Format auf dem Programm. Fünf Streichquartettformationen
verwandelten mit hochklassigen Darbietungen das Kunstmuseum in eine
Konzerthalle. In drei Ausstellungsräumen wurde simultan „geschuftet“,
um das Bild aufzugreifen, aber auch äußerst filigran
gewerkelt. Zu hören war Musik von George Onslow bis Maurice
Ravel, von Guillaume Lekeu bis Igor Strawinsky. Und natürlich
waren auch Quartette von Beethoven bis hin zu op. 133 und 135 vertreten.
Vielfach reichten die Stühle nicht aus, etwa bei den mit packender
Intensität vorgetragenen „Trois pièces“
von Igor Strawinsky und dem ebenso furios dargebotenen Quartett
op.18 Nr.1 von Beethoven durch das Auryn-Quartett. Tiefen Eindruck
hinterließen auch die Auftritte des „Quatuor Danel“
mit „Ainsi la nuit“ von Henri Dutilleux, des „Quatuor
Manfred“ mit Maurice Ravels Quartett F-Dur und des „Quatuor
Debussy“ mit dem g-moll-Opus seines Namenspatrons. Fünf
Auftragswerke hatten die Beethovenfeste vergeben, nur vier davon
konnten im Rahmen der „Langen Quartettnacht“ aufgeführt
werden.
Da das Diotima-Quartett wegen Erkrankung eines Geigers seinen Auftritt
absagen musste, entfiel die Uraufführung des Quartetts von
Joel-Francois Durand. Als Ersatz sprang das Auryn-Quartett mit einem
bereits vollendeten ersten Satz („Lumière plissée“)
eines neuen Quartetts von Ivan Bellocq ein. Eine überaus reiche
Klangphantasie entfaltet sich in dem Quartett von Christophe Bertrand.
Die sieben kurzen Sätze sind letztlich Studien über spezifische
Klangideen, verknüpft mit diversen Bezügen zu Beethovenschen
Streichquartetten. Der erste Satz überfällt den Zuhörer
geradezu mit „molto vivo“ gespielten Pizzicatoschwärmen,
der zweite Satz, ein „Presto elettrico“ kreist um einen
fluktuierenden Klang. Das fabelhaft agierende Mandelring-Quartett
vertiefte sich mit Hingabe in die Finessen des Stückes, das
ein bisschen akademisch wirkte.
Ein tiefsinniges und aufwühlendes Werk schuf Thierry Escaich
mit seiner Komposition „Après l’Aurore“.
Escaich versteht das Stück als „fernen Nachruf“
der C-Dur-Sonate op.53 von Beethoven und spürt vor allem der
Energie des thematischen Materials nach, was in der eindringlichen
Wiedergabe des „Quatuor Manfred“ glänzend zum Ausdruck
kam. Philippe Fénelon kontrastiert in seinem mittlerweile
fünften Streichquartett, uraufgeführt vom „Quatuor
Debussy“, nach eigener Aussage „Ausgeglichenheit und
Chaos“.