Unser Titelbild auf Seite 1 dieser Ausgabe zeigt in einer leicht
gekurvten Anordnung sieben große Konzertflügel mitsamt
den zugehörigen Pianisten. Die schwarz-weiß-bläulich
getönte Druckfärbung mindert etwas den realen Eindruck:
Die Eingeweide der Instrumente leuchten in der Wirklichkeit wunderbar
goldenfarben. Die Farben signalisieren optisch: Ein Schatz wird
hier gehoben. Das kann man ohne weiteres auf das Auditive übertragen:
Aus den sieben Flügeln erklingt die neueste Komposition des
Komponisten Mathias Spahlinger. Die Uraufführung im Theaterhaus
Stuttgart hinterließ einen überwältigenden Eindruck.
Exkurs
mit sieben Flügeln: Mathias Spahlingers „farben
der frühe“ im Theaterhaus Stuttgart.
Foto: Charlotte Oswald
Vor acht Jahren erhielt Mathias Spahlinger vom damals noch Süddeutscher
Rundfunk genannten Rundfunksender den Auftrag, sein zu der Zeit
noch in der Imagination befindliches Werk „farben der frühe“
für sieben Klaviere zu komponieren. Mehrfach musste der Konzerttermin
verschoben werden. Spahlinger ist kein Schnellschreiber, das Nachdenken
über das, was entstehen soll, unterbricht immer wieder den
Entstehungsprozess. Spahlingers kompositorischer Ansatz lässt
sich vielleicht so beschreiben: Wie kann man aus den gegebenen Klang-
und Spielmöglichkeiten des tradierten Klaviers etwas heraustreiben,
was einerseits nicht retrospektiv daherkommt, andererseits aber
auch alle gefälligen postmodernen Gesten ebenso vermeidet wie
die Verselbständigung des Geräuschhaften, mit der sich
die Avantgarde gern schmückt. Fragen nach Atonalität oder
Tonalität rückten an den Rand, spielen letzthin keine
Rolle. Für Spahlinger war die Tonalität, wie er in einem
Gespräch einmal betonte, „nie weg“. Im Zentrum
seines Interesses steht die Frage, wie sich aus den vorgegebenen
Klangdimensionen und Bespielmöglichkeiten des Klaviers durch
entsprechende Anordnungen, Strukturierungen und Tongebungen etwas
Neues, Verändertes, Hochreflektiertes gewinnen lässt.
Das Klavier gewinnt eine eigene, quasi autonome Sprache, und, um
zur Abwechslung einmal etwas Leichtes ins Spiel zu bringen, sei
hier an die zweite Strophe eines bekannten älteren Schlagers,
der vom Glück des Klavierspielers bei den Frauen erzählt,
erinnert, wo das Instrument quasi zum einzig wahren Akteur erhoben
wird: „Der Klang des gespielten Klavieres“ heißt
es da, der dann erregend wie prickelnder Sekt sein soll. Spahlingers
versiebenfachtes Klavier emanzipiert sich quasi, entfaltet einen
eigenen Klang-Raum, in dem sich die unterschiedlichsten Gestaltungs-
und Ausdruckselemente wie in einem Brennglas verdichten, sich wieder
ausbreiten, erneut bündeln.
Feinabstimmung:
Mathias Spahlinger (li.) und der Dirigent James Avery bei
der Probe zu „farben der frühe“ in Stuttgart.
Foto Charlotte Oswald
Es ist eine ständige Bewegung in dieser Musik von den „farben
der frühe“, die ihre Farben eben auch aus der steten,
äußerst gelenkigen und differenzierten Beweglichkeit
der komponierten Formeln, Rhythmen und Anspielungen gewinnt. Spahlinger
jongliert dabei förmlich mit tradierten kompositorischen Mustern,
mit Reprise oder Orgelpunkt, streut gleichsam als Zitat Walzer-
oder swingende Passagen ein, aber immer nur blitzschnell und ebenso
rasch wieder ausblendend. Was den ersten Abschnitten der sechsteiligen
Komposition an metrischen Verschiebungen, oft winzig nur und kaum
bemerkbar, einkomponiert ist, stellt die Interpreten vor enorme
Herausforderungen in puncto metrische Präzision und exakte
Koordination. An dieser Stelle seien deshalb deren Namen bei der
Uraufführung im Theaterhaus Stuttgart genannt: James Avery
als Dirigent, dessen überwältigendes Zeit- und Tempogefühl
die sieben Pianisten und deren Aktionen gleichsam bruch- und nahtlos
miteinander verschweißte. Die Pianisten Axel Gremmelspacher,
Peter Hoffmann, Sven Thomas Kiebler, Eun Ju Kim, Hansjörg Koch,
Irmela Roelcke und Elmar Schrammel agierten atemberaubend perfekt,
sie waren von James Avery aus seiner Klavierklasse ausgewählt
worden.
Spahlingers „farben der frühe“ ist deshalb ein
wichtiges Werk gerade in diesem Augenblick, weil es beweist, dass
man auch ohne instrumentale Präparierungen oder live-elektronische
Raumklangwirkungen etwas komponieren kann, was sich als aktuell
bezeichnen lässt. Dass Spahlinger für sein Konzept sieben
Instrumente einsetzt, darf man nicht als Effekthascherei nehmen,
wie etwa bei Georges Antheils „Ballet Mécanique“
aus den Zwanziger Jahren, wo sogar acht und mehr Klaviere Dienst
tun. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Antheils Komposition,
vor einiger Zeit erst beeindruckend in einem „Musik der Zeit“-Konzert
des WDR aufgeführt, macht unverändert gewaltig Furore.
Spahlingers Klavier-Septett will dagegen nicht äußerlich
für Furore sorgen, sondern ist die Voraussetzung dafür,
dass sich alle dem Klavierspiel und dem Klavierklang innewohnenden
technischen, klanglich-kombinatorischen, tonfarblichen und rhythmisch-metrisch
organisierten Gestaltungselemente in einer Partitur bündeln
lassen. In ein Bild übertragen könnte man sagen: Spahlinger
hat kein Stück für sieben Klaviere komponiert, gestenreich
und ausdrucksgesättigt, sondern die sieben Klaviere haben ihm
mit Hilfe der Pianisten ein gewaltiges Angebot der ihnen innewohnenden
Möglichkeiten unterbreitet, das er nur aufzuschreiben brauchte:
Der Klang des gespielten Klavieres! So einfach ist das natürlich
nicht. Spahlingers „farben der frühe“, ein Werk
auch der großen Zeitdimension – es dauert ein volle
Stunde, gehören in ihrer Komplexität, der Dichte ihrer
Struktur, ihrer Imaginationskraft, ihrem Klangfarbenreichtum, auch
ihrem versteckten Zitat-Witz und der vitalen Energie zum Aufregendsten
und Wegweisendsten gegenwärtiger Musikerfindungen.
Für die Musik unserer Zeit ist die Rückkehr Mathias Spahlingers
an die vorderste „Komponistenfront“ ein einziger Glücksfall.