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Ausgabe 2005/12
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nmz 2005/12 | Seite 13-14
54. Jahrgang | Dez./Jan.
Kulturpolitik

Eine Gesellschaft ohne Utopie ist keine mehr

Der Berufsmusiker in Ausbildung und Arbeitswelt · Von Manfred Trojahn

Am 24. September hielt der Komponist und Präsident des Deutschen Komponistenverbandes, Manfred Trojahn, anlässlich der Mitgliederversammlung des Landesmusikrates Nordrhein-Westfalen eine Rede unter dem Titel „Der Berufsmusiker in Ausbildung und Arbeitswelt“. Die neue musikzeitung druckt sie im Folgenden mit kleinen Kürzungen ab.

„Ich bin, aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.“

Das Nachdenken über Utopien und deren Verlust in einer Gesellschaft, die sich einem Effizienzstrukturalismus verschrieben hat, mag anachronistisch anmuten. Wenn darüber hinaus noch einer der komplexesten und widersprüchlichsten linken Denker zitiert wird, Ernst Bloch nämlich, dann mag es so scheinen, als begäbe ich mich zurück in die längst vergangenen Zeiten engagierter politischer Debatten, die wir heute, wo kaum noch der eine dem anderen wagen würde argumentativ auf die Füße zu treten, nicht mehr führen mögen; einerseits weil wir der Argumente und Gegenargumente müde geworden sind, andererseits weil man uns lange genug erzählt hat, Vehemenz sei Radikalität und mit der wolle man in unseren zivilisierten Zeiten nichts mehr zu tun haben.

Über das Verschwinden der Werte: Manfred Trojan in Köln. Foto: Charlotte Oswald

Bild vergrößernÜber das Verschwinden der Werte: Manfred Trojan in Köln. Foto: Charlotte Oswald

Aber zunächst noch einmal zu dem zitierten Satz, der sich in der Einleitung in die Tübinger Philosophie von Ernst Bloch findet. „Ich bin“, gemeint ist die reine Existenz an sich, „aber ich habe mich nicht“. Bin also nichts als reine Existenz. „Darum werden wir erst.“ Das heißt, die reine Existenz füllt sich mit Bewusstsein, mit Erfahrung, mit Zielen, mit Utopien, die wir erreichen wollen, vielleicht nicht erreichen werden, aber auf keinen Fall erreichen können ohne durch neue, ferne Ziele, Utopien eben, daran gehindert zu werden, zu sein.

Diese Lebenserkenntnis steht im Gegensatz zu dem, was ich hier einmal kleinbürgerliches „Abgeschlossenheitsdenken“ nennen möchte. Warum kleinbürgerlich? Nun, nach vielleicht etwas angejahrten soziologischen Analysen befinden wir uns, nach dem endgültigen Niedergang der bürgerlichen Kultur mit dem Beginn des Dritten Reiches, in einer kleinbürgerlichen Epoche, in einer Epoche mithin, die zwar versucht, die bürgerlichen Ideale für sich zu reklamieren; indes ist sie nicht in der Lage, diese Ideale mit Inhalten zu füllen.
So ist zum Beispiel die bürgerliche Standes- und Besitzstandswahrung durchaus auch im Kleinbürgertum zu finden, nur dass es hier an Stand – wie auch an Besitz, der sich zu wahren lohnte – zumeist gebricht. Das Bürgertum war in der Lage, aus seiner gesicherten sozialen Struktur heraus ein Denken „darüber hinaus“ zuzulassen. Die großen philosophischen Entwürfe des 19. Jahrhunderts, die großen künstlerischen Entwürfe – zumeist gegen den Geist ihrer eigenen Zeit gerichtet – verdanken sich einem Klima gefährdeter Tolerierung, was heißen soll, dass trotz institutioneller Verbote, in Form zum Beispiel von Zensur, Platz blieb, mit einer an der Auseinandersetzung interessierten Gesellschaft in Beziehung zu treten, zu deren Wertecodex es gehörte, sich im gesellschaftlichen Spiel mit der eigenen Infragestellung zu konfrontieren.

Im Gegensatz dazu verfügt die kleinbürgerliche Gesellschaft nicht mehr über Mechanismen, die ihre Selbstauflösung von innen heraus in Gang bringen könnten. Vielmehr wird der kritische Ansatz weniger toleriert als vereinnahmt und so zum Bestandteil des Systems degeneriert. Wir finden im Kleinbürgertum daher eine Fülle einander im Prinzip ausschließender politischer und kultureller Konzepte, die vor allem eines nicht mehr vermögen: zu einer Gefährdung des selbstzufriedenen gesellschaftlichen Arrangements beizutragen, in dem wir uns zu leben abmühen. Das Kleinbürgertum sieht sich als Endpunkt der Entwicklung, ähnlich wie die Moderne sich begreift, deren Struktur jener des Kleinbürgerlichen verblüffend ähnlich sieht.

Die der Aufklärung entsprossene Moderne versteht sich als Kontrast zum Vergangenen und sieht ihr Fortschreiten von diesem als einzig mögliche Richtung einer Entwicklung an. Dabei wird das Fortschreiten als unveränderbare Größe begriffen und alles, was sich dieser Bewegungsverabredung widersetzt, als reaktionär gebrandmarkt. Auch das Kleinbürgertum, und hierin ist es dem Bürgertum ähnlich, erwartet von den in ihm Lebenden das „Werden“ wie es Ernst Bloch nennt, das heißt, das Auffüllen der reinen Existenz mit Erfahrungen, mit Zielen, mit Utopien; nur so bildet sich die Persönlichkeit, die in diesen Systemen ihre Chance bekommt. Das, was aber vorausgesetzt wird, ist, dass dieser Prozess des Werdens sich möglichst früh durch das „Sein“ beenden lässt.

Das „Sein“ ist in seinen Koordinaten dann vorgegeben, man stellt etwas dar im gesellschaftlichen Umfeld und man wird versuchen, diesen Status nicht wieder zu verlieren. Im Bürgertum war die Zugehörigkeit zur bürgerlichen Klasse, auf die es einzig ankam, gebunden an einen Wertekanon, der allen gemeinsam war. Das Kleinbürgertum kennt einen solchen Wertekanon nicht, vielmehr wird das Freiheitliche derart aufgesogen, dass ihm heutzutage nur der Grad von Freiheit anhaftet, den sich die kleinbürgerliche Gesellschaft selbst zugesteht.

Das Umwandeln kritischer Ansätze zu systemimmanenten Bewegungen, die vielleicht einen Fortschritt suggerieren, aber nichts eigentlich verändern, ich sagte es bereits, ist eines der hervorragendsten Kennzeichen einer kleinbürgerlichen Gesellschaft. Die Möglichkeit, Einflüsse derartig aufzusaugen, ist daran gebunden, dass eine solche Gesellschaft über einen gemeinschaftlichen Wertekanon nicht verfügt. So wie neue Einflüsse also relativ widerstandslos aufgesogen werden, werden bestehende Zusammenhänge völlig emotionslos abgestoßen. Als Begründung mögen da Fakten herhalten, die bei näherer Draufsicht vielleicht eher einer Tagesmode entspringen, als dass sie wirklicher Analyse standhalten.
Das Beispiel der Veränderung der Rundfunklandschaft im Rahmen der letzten Jahre mag dazu dienen, meine Thesen ein wenig zu beleuchten.

Mit dem Auftritt privater Sendestationen hat ein allgemeiner Umbau der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten begonnen. Ton und Stil von Moderationen haben sich einem modischen Mainstream angeglichen, bis in den Stimmklang hinein sind Moderatoren geschult worden, sich den vom Publikum angeblich geforderten Standards anzupassen. Obskure Umfragen begründen Verschlankungen der Programme, die in geradezu unerträglicher Weise Teile von Werkzusammenhängen ohne jeden dramaturgischen Sinn aneinander hängen. Ganze Sendeblöcke sind – begründet mit zu geringer Hörerakzeptanz – völlig aus den Programmen verschwunden. Die 3. Programme, ursprünglich als Gegengewicht zum Unterhaltungsradio eingerichtet, sind weitreichend von Unterhaltungsstrukturen unterwandert, so dass es zu tiefergehenden Betrachtungen komplexer Sachverhalte schon aus zeitlichen Gründen nicht kommen kann.

Anstelle der fundierten Kunstkritik ist ein nöliger oder flapsiger morgendlicher Schnellverriss getreten, zu dem der vom ahnungslosen Moderator befragte Kritiker wenig mehr benötigt als das Programmheft und ein wenig schlecht aufgenommenen O-Ton. Eines der bestürzendsten Kapitel der Rundfunkentwicklung ist das der Neuen Musik, und damit wende ich mich, als Komponist natürlich in besonderem Maße engagiert, der Arbeitswelt – oder einem Teil der Arbeitswelt – einer Sparte der Berufsmusiker zu. Nach dem zweiten Weltkrieg haben die Rundfunkanstalten eine Kultur der neuen Musik geschaffen, die ohne sie in dieser Weise nicht hätte bestehen können.

Konzert- und Sendereihen mit Neuer Musik, zu prominenten oder auch weniger prominenten Sendezeiten, eigene Festivals mit ausschließlich uraufgeführten Stücken, umfängliche Auftragsvergaben und eine Fülle weiterer Betätigungsfelder für Komponisten sorgten dafür, dass eine unübersehbare Menge von Werken entstand, die außerhalb der Rundfunkwelt nicht in Erscheinung trat. Gerade dieses Faktum aber rechnete sich der Rundfunk hoch an, er sah sich als Mäzen einer Kunst, die nur durch seinen Einsatz überhaupt Bestand hatte.

Der erste Weg des jungen Komponisten nach der Ausbildung und oft schon während der Ausbildung war der zum Rundfunkredakteur, und im überwiegenden Fall war es ein glücklicher Weg. Die Förderung junger Komponisten, aber auch die allgemeine Pflege der Neuen Musik war ein zentrales Anliegen der Rundfunkanstalten. Ich kann hier auf eine detaillierte Darstellung verzichten, wir alle wissen, dass heute lediglich ein Bruchteil der Sendeplätze und Engagements für Neue Musik übrig geblieben ist. Das, was man seitens der Intendanten an Erklärungen dafür liefert, ist wenig mehr als das Eingeständnis, dass die Rundfunkanstalten jahrzehntelang Gelder für einen Bereich eingesetzt haben, der aus heutiger Sicht überhaupt nicht zu vertreten ist. Man könnte so weit gehen zu vermuten, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten hätten seit den 50er-Jahren Unsummen öffentlicher Mittel vergeudet. Was hier deutlich wird, ist, dass ein Wertewandel stattgefunden hat. Der Kulturauftrag, den der Gesetzgeber den öffentlich-rechtlichen Sendern auferlegt, wurde Jahrzehnte lang auch im Sinne eines Kunst-Auftrages interpretiert und war der Anlass, einer zahlenmäßig übersichtlichen Klientel von gebildeten Rundfunkhörern ein anspruchsvolles Programm zu bieten.

Ich halte die Argumente, in denen behauptet wird, eben jene Hörer gäbe es nicht mehr, für völlig an den Haaren herbeigezogen. Es geht bei den so genannten Reformen im Rundfunk nicht um Einsparungen, es geht nicht um ein Zurechtrücken von überproportionalen Sendezeiten für viel zu kleine Hörergruppen. Es geht um die Verhinderung der Ansprüche von Hochkultur durch Personen, deren eigene kulturelle Bedürfnisse sich mit Events sportlicher Natur blendend abdecken lassen. Das, was sich entwickelt hat, seit Beginn der 80er-Jahre, ist die Verfestigung der kleinbürgerlichen Gesellschaft durch Strukturen eines entfesselten Neo-Liberalismus und ein daraus entstehender Versuch, kritische oder utopische Potentiale, ein Denken „darüber hinaus“ in der eingangs beschriebenen Weise zu vereinnahmen. Vereinnahmen, indem man seine Verbreitung beschneidet und so versucht, es auf das Niveau der Ungefährlichkeit herabzuziehen.

Selbstverständlich braucht das Kleinbürgertum seine unverstandene Neue Musik und sein ungeliebtes modernes Theater – aber doch nur in einem Maße, das dazu geeignet ist, die allgemeine Toleranz ins rechte Licht zu setzen, das Tolerierte aber nicht zu wichtig scheinen zu lassen.

Strenges Reglement

Die Tatsache, dass Werte, die vor 25 Jahren von der Gesellschaft noch allgemein akzeptiert werden konnten, heute als inkommensurabel mit dem bezeichnet werden, was den Menschen zumutbar ist, zeigt beeindruckend die Richtigkeit der Thesen von einer Neutralität den Werten gegenüber, die wir in unserer Gesellschaft feststellen müssen. Selbstverständlich verschwinden ja Wertvorstellungen nicht vom einen auf den anderen Tag, vielmehr werden sie – wie Modeströmungen – zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich gewichtet. So finden sich im Moment starke Bestrebungen, an den Ausbildungsstätten für musikalische Berufe die verschiedenen Facetten populärer Musik zu etablieren.

Eine Musik, meine Damen und Herren, die vor ihrer totalen Kommerzialisierung der Ausdruck des Unakademischen, des Freien, Unregulierten gewesen ist, wird hineingezogen in durchgeplante Lehrabläufe, in sensibel strukturierte Prüfungsvorgänge, in Bewertungen und Reglements. Und wer reglementiert hier: die graue oder buntpulloverte Professorenschaft, die es sich angelegentlich sein lässt, das, was einige mit großer Risikobereitschaft erfunden haben, nun in kleinen verdaulichen Bröckchen weiterzuvermitteln, so wie sie’s eben verstehen in all ihrer jämmerlichen Vorsicht und ihrem Ordnungszwang.

Nicht, dass es reichen würde, dass die Hochschulen das längst akademisch gewordene Repertoire verkleinerten in seiner Großartigkeit, nein, es muss der Bereich der Musik, der aus dem gesellschaftlichen Gegenentwurf kam, der sich der Selbstgefährdung im sexuellen Exzess oder Drogenrausch verdankte, zurechtgestutzt werden auf ein vermittlungsfähiges, laues Geklimpere, für das am Ende die Examensnote bereitsteht.

Die Lehre dient sich also dem Kommerz an, der es ganz zuerst ist, der die Kunst sich gefügig macht. Und als wäre es nicht die Aufgabe der Akademien, die etablierte Kunst zu pflegen und auf das „Wert“ gewordene Acht zu geben, sucht man den Moden hinterher zu eilen, ohne zu begreifen, dass man soeben an der Utopieunfähigkeit der Gesellschaft schuldig wird.

Kunst ist immer das „Werden“ im Sinne des Zitates von Ernst Bloch, zum „Sein“ verkümmert die Kunst erst als historische, aber dafür kann sie nichts, denn es ist unsere Ansicht von ihr, die im Rückblick ihren Charakter verkennt. Auch alte Kunst ist das „Werden“, ist ein Stück Weg hin zu einer Utopie, die sich immer entfernt. Und so ist jedes musikalische Werk ein Wegstück zum nächsten. Es ist der Zustand des Unabgeschlossenen, der den musikalischen Berufen adäquat ist und der sich im scharfen Gegensatz dazu befindet, wie wir diese Berufe und die Ausbildung zu ihnen organisiert haben.

Wie die Gesellschaft allgemein ist der Musikerberuf auf den Zustand des „Abgeschlossenen“ hin gerichtet. Der Abschluss, das Fertigsein, ist die Voraussetzung für die Positionierung und die Einbindung in die gesellschaftlichen Sicherheitssysteme.

Möglichst früh ist dieser Abschluss gewünscht, möglichst wenig Offenheit also, möglichst wenig „Werden“. Und so verändern wir in dieser Zeit die Studiengänge an unseren Hochschulen zu noch schlankerer, noch effizienterer Funktion. Dabei wird inzwischen ein Scheitern, das der Markt der Überfüllung wahrscheinlich macht, gleich mitstudiert, automatisch wird der Künstler auch Pädagoge, nebenbei wird er seine Selbstvermarktung erlernen, fakultativ gar wird ihm geboten, neben dem Beruf dessen Organisationsmechanik zuwenigst rudimentär zu verinnerlichen. Und so werden sie unsere Arbeitsämter bevölkern, jene Event-Manager, die eigentlich Geiger haben werden wollen und die musikalischen Früherzieher, die sich als große Dirigenten oder Komponisten geträumt haben. Denn geträumt haben sie ja alle dereinst, damals, bevor man ihnen die Utopien aus den Köpfen erzogen hat. Nicht, dass man es sinnvoll fände, auf den verkleinerten Markt durch Verringerung der Studentenzahlen zu reagieren und die Zugänge zu den Ausbildungsstätten zu erschweren. Die Finanzierung der Hochschulen durch die Länder lässt ein solches Modell nicht wirklich zu, weil weniger auf die Qualität als auf die Quantität der Examinanten geschaut wird. Vielmehr verschiebt man die Verantwortung, indem man scheinhafte Ausweichmöglichkeiten in die Studiengänge integriert. Dabei ist die Reform von Studiengängen, wie wir sie betreiben, wenig mehr als eine kosmetische Korrektur. Es wird ja an der Tatsache nichts geändert, dass die Struktur der angestrebten Berufe auf der Vorstellung des Fertigen gründet. Nicht für Fantasie, für Kreativität wird einer bezahlt, sondern für das Erfüllen von Voraussetzungen, von verschrifteten Voraussetzungen, die vor Überraschungen schützen.

Unkündbar, unverrückbar

Sicherheiten, klare Perspektiven – so denkt die kleinbürgerliche Gesellschaft sich die ideale Ausgangsposition für den Künstler. Und so sitzt er dann mit 35 Jahren seit 10 Jahren im gleichen Orchester, ist unkündbar und unverrückbar, wird sich nicht bewegen können in der Zeit seiner größten menschlichen – und künstlerischen – Kraft. Verdammt dazu, ohne Perspektive und ohne Utopie in einem sozialen goldenen Käfig zu verdorren.

Seit mir eine ministeriale Größe angeraten hat, die Studienplanung für Komponisten am Arbeitsmarkt zu orientieren, meine ich zu wissen, auf welches Desaster wir uns zubewegen. Durch Überregulierung unbeweglich gemacht, wird diese Gesellschaft an ihrer Utopieunfähigkeit zugrunde gehen. In den Bereich der Utopien würde auch etwas gehören, das ja auch immer noch denkbar wäre, als Reaktion auf das von uns bemerkte Schwinden der Akzeptanz dessen, das wir dereinst Hochkultur nannten.

Vielleicht könnte unsere Kunst ganz anders aussehen, vielleicht ließe sich alles abtun, vielleicht könnten wir uns ganz anderen Zielen zuwenden.Vielleicht wäre gerade der Bereich, den wir als kommerziellen argwöhnisch beäugen, die Kunst der Zukunft. Es fehlt mir darüber die Debatte.

Ich sehe die Verödung der Rundfunkanstalten, ich sehe die Kürzung der Mittel für Theater und Orchester, ich sehe die Umstrukturierung der Ausbildungsstätten, ich sehe die Pädagogisierung der Gesellschaft: ohne ein gemeinsames Ziel.

Ich kenne niemanden in den Hochschulen, der bei der Modularisierung andere als organisatorische Gründe anführt, ich sehe niemanden, der den Theatern die Mittel kürzt, um inhaltliche Veränderungen herbeizuführen.

Es scheint mir ganz entschieden an der Diskussion der Inhalte zu fehlen. Wenn ich an meiner Hochschule in die Debatten um Studienveränderungen die Frage nach dem Begriff von Kunst einzubringen versuche, nach dem Kunstbegriff, der ja einem pädagogischen Konzept an einer Kunsthochschule zugrunde liegen sollte, dann stellt sich schnell das Gefühl ein, ein Michael Kohlhaas zu sein.

Wir haben in dieser Gesellschaft sehr unterschiedliche Sprachen und es fehlt allenthalben an Verständigung und wirklicher Kommunikation. Ich war vor einigen Wochen Gast einer Veranstaltung in Dresden, bei der über Zukunft nachgedacht werden sollte. Dort war auch ein Informatiker geladen, jemand, der in relativ großem Stil Computerprogramme verkauft. Er beklagte das Fehlen einer gemeinsamen Sprache der Programme untereinander und erzählte von Strategien, eine solche zu entwickeln und zur Anwendung zu bringen.
Mich hat das deshalb fasziniert, weil in meinem eigenen Beitrag die Frage der Sprachdiversifizierung in der Neuen Musik eine Rolle spielte und ich die mangelnden Möglichkeiten, individuelle Gestaltung zu erkennen, mit der Tatsache der allgemeinen Individualisierung in Verbindung brachte. In der Wirtschaft also, lernte ich, ist man dabei, aus Effizienzgründen Strukturen zu vereinheitlichen.

Auch ein Kunstbegriff ließe sich sicher einfacher diskutieren oder auch überhaupt nur wieder bestimmen, wenn gemeinsame Sprachstrukturen zu etablieren wären, nur sind wir in der Kunst weit davon entfernt, uns der Effizienz unterwerfen zu wollen. Wie aber, wenn wir feststellen würden, dass die verändernde Utopie nur dort leuchtete, wo sie in ihrem Anderssein vernehmlich wäre und sich abhöbe vom Etablierten? Das Etablierte zuzulassen scheint mir das Sich-davon-Entfernen erst möglich zu machen. Eine Vorstellung zu entwickeln von dem, was wir als Ziel verfolgen, lässt die Möglichkeit, darüber hinauszugehen, erst zu. Es scheint mir also nötig, sich aus der Nivellierung des Kleinbürgertums zu befreien, uns zu Werten zu bekennen und Utopien zuzulassen, die diese Werte zu neuen Freiheiten hin zu verändern vermögen.

Manfred Trojahn

 

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