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nmz-archiv
nmz 2005/12 | Seite 1-2
54. Jahrgang | Dez./Jan.
Leitartikel
Dealer statt Denker
Synchron – asynchron: Während diese nmz-Ausgabe samt
ihrer reichhaltigen Beilage zum interkulturellen Dialog Abonnenten
und Handel erreicht, findet in Warschau ein Expertengespräch
statt. Der Deutsch-Französische Kulturrat untersucht die Bedingungen
künstlerischen Schaffens in der erweiterten Europäischen
Union. „Künstler zwischen Glanz und Elend, Gesellschaft
und Staat“ lautet der ambitionierte Titel. (Wir werden berichten).
Er macht deutlich, dass elementare interkulturelle Dialog-Notwendigkeiten
nicht nur zwischen unterschiedlich ideologisierten und/oder sozialisierten
Regionen in mittlerer oder größerer geografischer Ferne
bestehen, sondern direkt vor unserer eigenen Haustür oder im
örtlichen Orchestergraben.
Seit in Frankreich die Vorstädte brannten, herrscht auch
hierzulande eine – von Beschwichtigungs-Versuchen freilich
immer noch überlagerte Unruhe. Die Analysten der in den Brunnen
gefallenen Kinder zerreden die Ursachen der Verwüstung zum
gallischen Sonderfall.
Tun wir doch nicht so, als hätten wir die kulturellen Konsequenzen
der von überwiegend wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen
Überlegungen gelenkten europäischen „Vereinigung“
auch nur annähernd bedacht. Was auf den ersten Blick Handel
und Wandel erleichtert, Außengrenzen abpuffert und stabilisiert,
grenzt gleichzeitig aus und presst die unterschiedlichsten Zutaten
staatlich oder regional vorhandener Realitäten in einen Druckkessel,
dessen Wand-Stabilität vom ökonomischen Erfolg definiert
wird. Ein Sicherheitsventil fehlt. Der Reaktor wird die zahllosen
Ingredienzien schon zum Eintopf zusammenköcheln.
Tja, da hilft keine „Philharmonie der Nationen“, eher
verschmiert sie frei von Haftkraft die Bruchstellen im hingepfuschten
Euro-Gebäude. Aber: schnell musste es gehen.
Solchem Geschwindigkeitsrausch steht der lange Atem, den kulturelle
Bildung, Erfahrung oder gar Annäherung brauchen, im Weg. Deshalb
werden Kultur-Menschen, die bei derartigen Prozessen mehr Bedächtigkeit
im besten Sinn des Wortes, mehr Nachdenken einfordern, gern als
Bremser und Jammerlappen abgetan.
Was wir Feinsinnigen, immer noch gut Geschulten als Reichtum der
Vielfalt rühmen, als große europäische Blütenwiese
der Künste, ist kulturwirtschaftlich betrachtet längst
ein zu vernachlässigender Faktor fernab vom leichter steuerbaren
Mainstream.
Und weil wir Europäer im Nachahmen erfolgreicher Konzepte
demnächst zu China aufschließen wollen, schleifen wir
freiwillig letzte mondial inkompatible Regelwerke wie das euröpäische
Urherberrechts-Verständnis. Durch die Hintertür ferner
Business-Zentralen importieren die großen Medienkonzerne –
und neuerdings zunehmend auch unsere Anstalten des öffentlichen
Rechtes – den amerikanischen „Buy-Out“ –
dem Komplettaufkauf geistigen Eigentums als finale Ökonomisierung
der Kreativität.
Da trifft es sich gut, dass mit Bernd Neumann ein echter Medienexperte
aus Bremen das Amt des Kulturstaatsministers im Kanzleramt erklommen
hat. Er wird die deutsche Haltung zu dieser Entwicklung schon kompetent
in die Welt tragen, leicht gehandicapt durch die Tatsache, dass
sein Amt von den wesentlichen außenpolitischen Zuständigkeiten
erst mal entlastet wurde.
Synchron – asynchron: Willkommen in der globalen Banlieue,
Herr Neumann – und: Bonne Chance.