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nmz-archiv
nmz 2005/12 | Seite 6
54. Jahrgang | Dez./Jan.
Magazin
Von der Archäologie der „Zauberflöte“
Jan Assmann dechiffriert Schikaneders „Machwerk“
und Mozarts Musik
Jan Assmann: Die Zauberflöte. Oper und Mysterium,
Carl Hanser Verlag, München, Wien 2005, 384 S., Abb., Notenbsp.,
€ 24,90, ISBN 3-446-20673-6
Die Bedeutung der „Zauberflöte“ ist so rätselhaft,
dass nicht einmal eindeutig zu sagen ist, worin das Rätsel
eigentlich besteht. Dieser Rätselspruch des Literaturkritikers
Peter von Matt steht am Anfang von Jan Assmanns Analyse der „Zauberflöte“
als „Oper und Mysterium“. Als Ägyptologe und Cheftheoretiker
des „kulturellen Gedächtnisses“ ist der Heidelberger
Professor geradezu berufen, den Sinn dieser Menschheits-Oper auszugraben,
deren Libretto Hegel sowohl als „Machwerk“ als auch
als „lobenswertes Opernbuch“ bezeichnet hat.
Der Rätsel sind viele: Warum ist die Königin der Nacht
plötzlich böse? Verschleiert der weise Sarastro ein totalitäres
Regime? Ist Papageno ein Mensch? Ist Tamino ein Held? Wenn ja, warum
braucht er dann die Zauberflöte, die nur dreimal erwähnt
wird, und warum heißt die Oper dann so?
Bisher konnten solche und andere Fragen mit der „Bruchtheorie“
erklärt werden, wonach das Konzept aufgrund eines Konkurrenzunternehmens
habe geändert werden müssen. Dagegen wird jedoch auch
auf die Einheit von Mozarts Musik verwiesen. Schritt für Schritt
bringt Assmann nun Licht ins Dunkel und zeigt die klassische „Einheit
in der Vielheit“. Worüber uns dieser vielleicht profilierteste
Buch-Beitrag zum Mozart-Jahr aufklärt, scheint zunächst
altbekannt: Die „Zauberflöte“ ist im Großen
und Ganzen in der Symbolsprache der Wiener Freimaurer geschrieben.
Der Text des „Theatergenies Schikaneder“ und Mozarts
Musik zielten darauf, eine neue „Weltreligion“ darzustellen,
in der Menschenliebe als Tugend herrscht.
Das wirklich Neue daran ist Assmanns These, dass die Oper selbst
ein dramatisiertes Ritual sei, das den Zuschauer zur Läuterung
führen und ins Geheimnis einweihen soll. Das darf man wohl
frei nach Adorno „Dialektik der Aufklärung“ nennen:
Mit dieser Märchenoper habe die vernunftbetonte Aufklärung
einen neuen Mythos und ein neues Mysterium hervorgebracht. Der ägyptische
Pomp illustriert quasi ein Bühnenweihfestspiel für Noch-nicht-Erleuchtete.
Basisdemokraten dürfte Sarastros hierarchische „Aufklärung
von oben“ dennoch ein Graus bleiben. Und: Spielt die Oper
nicht zwei Gewalten, Kirche und Staat, Vernunft und Wunder bis zuletzt
gegeneinander aus?
Assmann sieht die Einheit des Werks auf anderer Ebene: „An
oberster Stelle stehen die Musik und die Liebe“ – dieser
schöne Satz deutet darauf hin, inwiefern die „Zauberflöte“
über die freimaurerische Aufklärung hinausgeht: Die Musik
selbst wird zum Mysterium. Die „Zauberflöte“ sei
zwar kein magisches Mittel, aber ein Symbol für die Macht der
Liebe. So gesehen grenzt die Einheit von Mozarts virtuoser Formenvielfalt
an absolute Musik, ans „Undarstellbare“. Seine alles
verwandelnde Kunst zeuge von orphischem Zauber. Von daher ist die
Musik der „Zauberflöte“ mehr als nur ein Instrument
aufgeklärter Erwachsenenbildung. Darin liegt das Geheimnis
der Oper.