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nmz-archiv
nmz 2005/12 | Seite 3
54. Jahrgang | Dez./Jan.
Magazin
Null Punkte ist grottenschlecht
Medienpreis Leopold 2005/2006: über die Arbeit einer Kinderjury
12. September 2005, der kleine Sendesaal im Funkhaus des Westdeutschen
Rundfunks in Köln. Im Foyer stehen gut gekleidete Menschen,
nippen an ihren Gläsern und machen Small Talk. Es handelt sich
um Vertreter der Tonträgerindustrie: Produzenten, Verleger,
Komponisten und Musiker. Sie sind nach Köln gereist und hoffen
darauf, eine Trophäe zu bekommen: den Leopold. Dieser Medienpreis
wird alle zwei Jahre durch den Verband deutscher Musikschulen vergeben
und prämiert Musik für Kinder. Rund hundertfünfzig
Verlage reichten für die diesjährige Verleihung eine CD
ein, fünfzehn Produktionen sind in die engere Wahl gekommen
und dürfen sich mit dem Qualitätssiegel Leopold schmücken.
Ein Signet prangt nun auf allen fünfzehn CDs: ein kleines Männchen,
das triumphierend eine Note in die Höhe streckt und per Schriftzug
verrät „Gute Musik für Kinder“. Der Sieger
erhält freilich den besonderen Aufdruck „Leopold-Preisträger
2005“.
Stolze
Gewinner: Jörg Hilbert (li.) und Felix Janosa mit Mitgliedern
der Jury. Fotos: WDR/Oliver Heisch
Die Besucher warten auf den Beginn der Veranstaltung. Doch plötzlich
geht ein leises Raunen durch die Menge, man reckt die Köpfe
und einige der Gäste spenden spontan Beifall: Die umworbene
Zielgruppe betritt, leibhaftig und in Farbe, den Raum. Echte Kinder,
die bei derartigen Preisverleihungen ansonsten nie gesichtet werden.
Die Klasse 6c des Kölner Humboldt Gymnasiums hat die Führung
durch das WDR Funkhaus beendet und ist bereit zur Tat zu schreiten.
Denn diese Klasse vergibt heute den Poldi, den kleinen Bruder des
Leopolds. Hier wird ganz allein aus Kindersicht entschieden, welche
CD das Zeug zum Poldi hat.
Bereits zum dritten Mal machte sich eine Kinderjury an die Arbeit.
Eingeführt im Jahre 1999 durch die Kinder-Musiksendung Papageno
des WDR (1995 bis 2001), fand diese Idee bei den Veranstaltern,
Organisatoren und Preisträgern so großen Anklang, dass
bei jedem Leopold neben der Erwachsenenjury auch eine Kinderkommission
ihr knallhartes Urteil fällen darf. Schließlich sind
die Kinder nicht das oft herbei zitierte Publikum von morgen sondern
die Käufer und Zuhörer von heute.
Dieser Verantwortung sind sich die zehn- und elfjährigen Mädchen
und Jungen auch bewusst. Aufmerksam verfolgen sie die Ansprachen,
in denen sie jedes Mal als Ehrengäste begrüßt werden,
beobachten die Vorstellung der zur Wahl stehenden Produktionen und
warten geduldig auf ihren großen Auftritt. Nach einer guten
Stunde ist es so weit. Viktor, Louisa und Janos kommen auf die Bühne,
um stellvertretend für ihre Klasse den Poldi zu überreichen.
Mehrere Wochen intensiver Vorbereitung liegen hinter ihnen. Zusammen
mit der Musiklehrerin Brigitte Jünemann-Stark hat sich die
Klasse 6c durch die unterschiedlichsten musikalischen Stilrichtungen
gehört und Kriterien zur Bewertung der Tonträger entwickelt.
Wie passt die Musik zur Geschichte, wie einfallsreich und phantasievoll
ist die Idee, wie ist die Klangqualität bis hin zur Gestaltung
der Cover und der beiliegenden CD-Hefte – all das galt es
zu bewerten, erläutert Viktor dem Saalpublikum:
„Wir hatten einen Expertenbogen bekommen, das sind so Blätter,
da stehen Überschriften drauf, wie man die Musik fand. Gab
es Text oder Geschichte, war es eine gute Idee, war es originell,
und dann mussten zwei Schüler oder Schülerinnen eine Produktion
mit nach Hause nehmen. Und zwei Personen mussten das ausfüllen
und bewerten, die höchste Punktzahl war halt zehn, das war
spitzenmäßig, null Punkte war so grottenschlecht und
fünf Punkte war ganz normal.“
Die Expertenteams mussten die abgehörte CD in zehnminütigen
Präsentationen mit Musikbeispielen der Klasse vorstellen. Anschließend
wurde diese Einschätzung von zwei weiteren Klassenmitgliedern
geprüft, es wurde in der Klasse diskutiert und dann mussten
alle Schülerinnen und Schüler wieder einen Bogen ausfüllen.
Richtig heftige Auseinandersetzungen gab es allerdings nicht, erzählt
Janos: „Wir haben uns nicht wirklich gestritten, wer gewinnt.
Wir haben in den Pausen schon diskutiert und wollten rausfinden,
wer relativ weit oben ist.“
Am Ende der komplizierten Auswertungsreihe wanderten über 500
Bögen zum Verband deutscher Musikschulen. Hier begann die Auszählung
mit Hilfe eines Computerprogramms. Und nach den Sommerferien –
aus der Klasse 5c war mittlerweile die 6c geworden – stand
das Ergebnis fest. In einer besonders aufregenden Musikstunde am
Humboldt Gymnasium verkündete Henrike Rossel vom VdM die Hitparade
der Kinderjury.
Während der Preisverleihung in Köln werden die ersten
drei Plätze bekannt gegeben. Den dritten Platz erobern sich
zwei berüchtigte Lausbuben: Max und Moritz – diese beiden
wurden durch den Komponisten Gisbert Näther (geb. 1948) musikalisch
zum Leben erweckt. Das Deutsche Filmorchester Babelsberg, in dem
auch Gisbert Näther als Hornist beteiligt ist, lässt in
anschaulichen Themen und Motiven die Käfer los, die Brücke
vor dem Haus des Meister Böck ansägen und unter schaurigen
Klängen Max und Moritz in den Sack befördern. Die Schauspielerin
Katja Riemann spricht dazu den bekannten Text von Wilhelm Busch
(erschienen bei NCA – New Classical Adventure). Warum diese
Geschichte auf den dritten Platz kommt, erklärt Viktor:
„Max und Moritz ist sehr abwechslungsreich. Es gibt manchmal
Text, manchmal aber auch Musik. Das ist spannend, lustig und obwohl
man die Handlung kennt, hört man es gerne noch mal.“
Das war also der erste Streich und der zweite Poldi folgt sogleich.
Es ist das Buch und die CD „Zahlen bitte – eine musikalische
Reise in die Welt der Zahlen“ (erschienen bei Terzio, Möller,
Bellinghausen). Zwölf rockige, jazzige oder folkloristische
Lieder zu den Zahlen von eins bis zwölf, die von Robert Metcalf
im jeweils entsprechenden Metrum bis zum Zwölf-Achtel-Takt
präsentiert werden. Louisa liefert die Begründung der
Jury.
„Die Lieder und der Refrain sind immer ganz unterschiedlich.
Und es ist sehr gut, dass es da ein Buch zu gibt, dann kann man
sich die lustigen Bilder anschauen und mitsingen. Die Altersangabe
ab vier Jahren passt auch gut, denn die Zahlen gehen nur bis zwölf
und Vierjährige können eben noch nicht bis fünfzig
zählen.“
Die Altersangaben – so Musiklehrerin Brigitte Jüneman-Stark
– stießen allerdings manchmal auf Kritik bei den Testhörern,
die zum Beispiel eine Spanne zwischen fünf und neun Jahren
für zu groß hielten. Kein Neunjähriger würde
sich noch den „Babykram eines Fünfjährigen anhören“
hieß es aus den Reihen der Jury.
Dann wird es spannend, denn die Plätze drei und zwei sind
nunmehr belegt, es fehlt noch der Preisträger des Poldi. Hier
tritt ein guter Kumpel in Erscheinung, der noch längst keine
Patina angesetzt hat, obwohl sein Name alles andere als Hochglanz
verspricht. Applaus für Ritter Rost. Von der Kinderjury bekommt
der bereits wiederholt prämierte Blechmann die meisten Punkte
für sein aktuelles Abenteuer aus der Feder von Jörg Hilbert
und Felix Janosa (erschienen bei Terzio, Möllers und Belinghausen).
Diesmal feiern der Ritter, das Burgfräulein Bö und Koks
der Drache auf der Eisernen Burg Weihnachten. Dass es da alles andere
als besinnlich zugeht, versteht sich von selbst. Der Baum fällt
um, ein Alleinunterhalter bringt schmalzige Schlager zu Gehör
und das Essen wird bei Paolo‘s Pizza-Blitz („rutscht
die Pizza in den Ritz vom Sitze, macht ja nixe“) bestellt.
„Unterhaltsam, witzige Texte und Lieder zum Mitsingen“
– so die Meinung der Jury über den Preisträger.
Bleibt nur noch anzumerken, welcher Tonträger den Leopold
bekommt. In diesem Jahr erhalten gleich sieben CDs eine so hohe
Wertung, dass die Erwachsenenjury sich entschließt, die begehrte
Auszeichnung auch sieben Mal zu verleihen. Und die „Großen“
stimmen da in ihrem Urteil vollkommen mit den „Kleinen“
überein. Die drei Favoriten der Kinderjury ergattern auch einen
Leopold. Für die Produzenten, die sich nicht in die Herzen
der Kinder gespielt und gesungen haben, bleibt nur ein Trost: Richtig
grottenschlecht ist keine CD. Alle Produkte erzielen mehr als null
Punkte.
Barbara Overbeck
Der Medienpreis LEOPOLD wird unterstützt vom Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Kulturpartner
WDR3.
Rezensionen der übrigen Gewinner des Medienpreises LEOPOLD
2005/2006 finden Sie auf Seite 5!