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nmz-archiv
nmz 2005/12 | Seite 44
54. Jahrgang | Dez./Jan.
Rezensionen
Mozart und wieder Bach im Swinggewand
Mit Jacques Loussier und seinem neuen Trio
Vor etwa einem halben Jahrhundert war es mehr als aufmüpfig,
was Jacques Loussier und sein Trio mit klassischen Vorlagen anstellte,
es war sogar – durchaus zu meiner Jugendfreude – so
etwas wie musikalische Blasphemie: „Play Bach“ verjazzte
Heiliges und Hehres des gottähnlichen Johann Sebastian.
Loussier begann damit eine Welle, die sich in vielerlei Gestalt
bis heute fortsetzte, vor allem gesungen – etwa von den Swingle
Singers – oder blechgeblasen: Ein Damm war gebrochen und die
echten Klassikadepten entdeckten plötzlich im neuen Kleid der
bekannten Ohrwürmer auch musikalisch Neues zwischen den Noten,
welch ein Gewinn auch für den Hörgenuss.
Jetzt hat er sich mit Mozart versucht und auch gleich mit zwei dicken
Brocken: mit den Klavierkonzerten KV 466 und KV 488, beides Schlachtrösser,
die jeder Mozartfreund fast auswendig kennt. Neugierig legt man
die Telarc-Silberscheibe auf und man wird nicht froh darüber:
Natürlich versteht Loussier es mit seinen Mannen, der Musik
einen herrlich swingenden, oft synkopierten Drive zu verleihen,
und so oft er sich kunstvoll in die Gefilde des Jazz-Swings auf
den Weg macht, er kehrt immer wieder brav zu dem von Wolfgang Amadé
notierten Verlauf zurück. Auch vermisst man die Bläser
in seinen Bearbeitungen mit reiner Streicherbegleitung nicht unbedingt.
Aber trotz aller anerkennenswerten Bemühung erhält die
Musik im Swinggewand eigentlich nur neue Rhythmusfarben, keine wirklich
zusätzliche Klanginformation, die dieser wunderbaren Musik
auf neuem Wege die Seele näher brächte. Es gibt eine Aufnahme
– auch auf CD (Preiser 90021) –, in der Friedrich Gulda
im Klavierkonzert KV 467 in den Tuttiteilen der Außensätze
Klavierimprovisationen „à la Mozart“ einstreut
und im Mittelsatz das herrliche Einfinger-Thema – seit langem
in der Muzak-Welt der Backgroundberieselung von Kaufhäusern,
Eisenbahnhallen und Restaurants (vor allem gehobenen Genres) zu
Tode gespielt – durch gewagtes Synkopieren neu erfinden wollte,
ein vergebliches Unterfangen, dem Gulda auch keinen zweiten Versuch
folgen ließ.
Der inzwischen auch älter gewordene Loussier hätte daraus
lernen können, dass man mit Mozart nicht ohne weiteres machen
kann, was bei Bach erstaunlicherweise und bei anderen Komponisten
erwartungsgemäß funktioniert: durch ein Arrangement in
klassischer Swingmanier neue Sichtweisen zu erschließen. Mozarts
Musik ist – wie es Gerhard Wimberger einmal treffend formulierte
– in ihrem genialen Ausgleich von ratio und emotio auf eine
so unbegreifliche Art vollendet, dass man mehr nicht aus ihr „herausholen“
kann.
Da legt man sich doch lieber ganz schnell Loussiers neues EuroArts-DVD-Video
auf mit dem Live-Mitschnitt eines Konzerts zum 254. Todestag J.S.
Bachs in der Leipziger Thomaskirche am 28. Juli 2004. Dieselbe Triomannschaft
wie auf der CD widmet sich einem halben Dutzend Bach-Werken, daneben
auch Modernerem wie Saties 1. „Gymnopédie“, Ravels
„Bolero“, schließlich Debussys „Arabesque“
und „L‘Isle joyeuse“. Hier ist nun wieder der
„alte“ Loussier zu erleben, wie wir ihn schon lange
kennen, der in unverändert unnachahmlicher Weise mit einer
stupenden Technik – vom fast steinern unbeweglichen, seine
Miene kaum verändernden Interpreten bewegen sich nur die flinken
Finger – seine klassischen Vorlagen als Grundmuster nimmt
für Ausflüge in alle Richtungen des meist ganz sparsamen
und schlichten, oft sehr leisen, gelegentlich aber auch wieder mächtig
auftrumpfenden Swinging Jazz, wie man ihn sich mitreißender
nicht vorstellen kann. Dass man den Trio-Spielern nicht nur bei
ihren prächtigen Soli auf die Finger und ins Gesicht sehen
kann, ist ein zusätzlicher Reiz, weil man ihnen live so nahe
nicht kommt – die Kamera kann’s.
Wie Loussier in einem Bonus-Track bescheiden erzählt, war
Bach schon von Kindheit an sein Idol und ist es heute noch. Die
überraschenden Struktur-Parallelen der „Choruse“
im 8er-, 16er- oder 32er-Pack mancher Bach-Werke verführte
ihn schnell dazu, in sparsamer Triobesetzung seinen Partnern Improvisationsräume
zu öffnen, wie man sie vor allem aus den klassischen Jam Sessions
der Swinggrößen kennt. Dass und wie das funktioniert,
lässt sich im begeisternden Live-Mitschnitt so packend miterleben,
dass man kaum mehr stillsitzen kann – die Zuhörer in
der ehrwürdigen Leipziger Michaelskirche reißt es dann
auch nach dem Schlussakkord zu einer anhaltenden Ovation endlich
von den Sitzen.
Dieter Steppuhn
Jacques Loussier Trio: Mozart Piano Concertos Nr. 20 (KV 466)/Nr.
23 (KV 488); Jacques Loussier (p), Benoit Dunoyer de Segonzac
(b), André Arpino (dr), Anne Gravoiin (v) & String
Orchestra (2005)
Telarc/in-Akustik CD 83268
Jacques Loussier Trio: Play Bach And More; Jacques Loussier (p),
Benoit Dunoyer de Segonzac (b), André Arpino (dr); 98 min
+ 14 min Bonus
EuroArts DVD-V 2054068 Stereo/Dolby Digital 5.1