[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2005/12 | Seite 12
54. Jahrgang | Dez./Jan.
Semmelmann
Agitprop
Schon wieder neigt sich ein Jahr seinem Ende zu. Turbulent war
es. Obwohl die Turbulenzen nichts genutzt haben. Denn bewegt hat
sich eigentlich gar nichts. Im Gegenteil. Politisch „geführt“
werden wir in Zukunft von der Interessengemeinschaft Macht, dem
Zusammenschluss dreier Vereine, die sich gemeinsam das Wohl unseres
Landes und seiner Bevölkerung auf die Fahnen geschrieben haben.
Das Gedrängel auf dem politischen, contentlosen Mittelstreifen
ist inzwischen kaum mehr übersehbar und die IG Macht wird in
Zukunft mehr damit beschäftigt sein, ihre Führung zu verteidigen
denn sich dem Wohl des Volks zu widmen. Uns, ihrem Arbeitgeber,
spielten sie zähes, wochenlanges Ringen vor, um am Ende für
uns alle das Optimum, nein, das Maximum rauszuholen. Total aufgeräumt
und mit Brechreiz erregend guter Laune präsentierten schließlich
die vier Grüßaugusts der IG Macht ihr Vertragswerk „Dem
Deutschen Volke“ dem deutschen Volk. Besonders hervorgetan
hat sich in dieser Zeit des Ringens der Anführer des regional
im Süden Deutschlands agierenden Vereins. Wochenlang war er
auf der Suche. Nach Lösungen. Aus dem deutschen Dilemma. Wochenlang
hat er sich verzehrt. Nur für uns. Man sagt, gefunden habe
er nichts.
Ein ganz großer Fehler unserer politischen Parteien ist
die Tatsache, dass sie nicht omnipräsent sind, dass sie ihr
Produkt nicht dauerbewerben. „Welches Produkt?“, fragt
hier einer in der ersten Reihe. Ich sage, das spielt überhaupt
keine Rolle. Das Produkt selbst, das was in der Schachtel drin ist,
ist völlig nebensächlich. Man könnte es eigentlich
weglassen, das Produkt. Genau das tun die Parteien schon seit Jahrzehnten
sehr diszipliniert und erfolgreich. Da sind sie allesamt richtig
gut. Selbst die Grünen haben das sehr sehr schnell gelernt.
Aber die Kampagnen? Das Werben um den politischen Auftrag? Um meine
Stimme? Da isses ganz ganz finster. Luftballons in der Fußgängerzone.
Ein wiederbefüllbares Feuerzeug habe ich mal von der SPD bekommen.
Das hat aber nicht einmal eine Kippenpackung lang funktioniert.
Was natürlich bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen hat.
So. Und jetzt kommt mein Brückenschlag zur Musik: Zu eben
dieser Omnipräsenz gehört natürlich auch ein allgegenwärtiges
Parteilied, ein Song – nein – besser eine Erkennungsmelodie,
ein Ohrwurm, den man sofort mit der jeweiligen Partei in Verbindung
bringt. Nix. Zappenduster. Nur mal angenommen, einer der Parteigeneräle
würde bei mir vorsprechen und sagen: „Herr Semmelmann,
machet Sie mir en knallige Parteisong. Eine Hymne sollt’s
sei, die I unter der Dusch’ trällre kann, im G’schäft,
beim Vesper, always änd evrywer. Sie wisset scho.“ Meine
Antwort würde heißen: „Herr Kauder: Knifflig, knifflig.“
Welche Musik für welche Partei? Also rein
imagemäßig. Die Linke/PDS ist noch relativ einfach. Ich
würd’ mir einfach was von den Toten Hosen schreiben lassen.
Ein Reunion von den Scherben? Oder was von Dittsche und Schildkröte?
Die Grünen? Bissle Umwelt, egomanisch, erfolgreich, aber trotzdem
sehr hohe Street Credibility bitte. Vielleicht einen Grönemeyer?
Oder Musik von Sting, Text von Claudia Roth: „Ein Stück
weit Grüne Betroffenheit!“ FDP: Kondomfreie Prostitution
für ein bisschen Macht, Ellbogen, Treten nach unten, Frohlocken
nach oben. Mmh. Schwierig. Modern muss es schon sein. Und rücksichtslos.
Sorry, ich kenn’ mich da nicht aus. Ich reich’s irgendwann
nach. Bei der FDP hat eh keiner Zeit zum Singen. Müssen alle
die Karriereleiter hoch. Koste es, was es wolle. Das ist der Liberalen
einziger Lebenszweck. SPD: Klarer Fall, auch wenn Schröder
weg ist: Westernhagen. Das reicht schon. Ideologisch wird sich in
der SPD in nächster Zeit nix bewegen. Da passt ein Westernhagen
ganz wunderbar. Den Arbeiterbewegten geben, aber leben wie ein Fürst.
CDU: Da muss viel rein. Christliche Volkspartei und so. Richard
Wagner, die Bergpredigt, die deutsche Mutter, die Polizei, bissle
Nazi zum Votepicking am rechten Rand, freie Managergehälter
und freie Fahrt für freie, deutsche Autofahrer. Vielleicht
André Rieu? Text: Thomas Gottschalk. Ich tu’ mich da
sehr schwer. Weil es halt auch nicht meine politische Heimat ist.
Gott(!) sei Dank. Die CSU ist einfach: Blasmusik, Hasstiraden auf
den politischen Gegner, Alkohol und Bierzelt. Hauptsächlich
Alkohol. Das heißt: Fülle eine Trachtengruppe aus dem
Allgäu bis zum Umfallen ab und lasse sie dann die Bayerische
Nationalhymne singen. Außerhalb Bayerns nehme man Sudetendeutsche
und die Deutsche Nationalhymne. Bis an die Memel. That’s it.
Die CSU ist total easy.
Klingt das nicht fürchterlich? Nicht auszudenken, wenn an
Heilig Abend jeder Parteivorsitzende eine Fernsehansprache zur Lage
der Nation halten würde. Mit dem Parteisong im Abspann. Herrje.