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nmz-archiv
nmz 2006/02 | Seite 8
55. Jahrgang | Februar
www.beckmesser.de
Kuschelkritik
„Es gibt Kollegen, die schreiben Politikern ihre Biografien,
tummeln sich auf deren Privatfeten und coachen sie für Wahlkampfauftritte.
Und am nächsten Tag tun sie dann in ihren Blättern so,
als wären sie unbestechliche Kritiker. Das sollten deutsche
Journalisten endlich mal diskutieren.“ Starke Sätze der
Fernsehmoderatorin Maybrit Illner über das „Kuscheln
mit Politikern“, zitiert nach der Frankfurter Allgemeinen.
Recht hat sie, sagt sich da jeder. Zu den journalistischen Grundsätzen
gehört doch die kritische Distanz zum Gegenstand, und die Presse
darf sich nicht von der Politik ins Schlepptau nehmen lassen!
Für den politischen Journalismus sind das zweifellos fundamentale
Fragen, und die Moderatorin berührt mit ihrer Bemerkung einen
wunden Punkt. Doch wie steht es eigentlich mit dem Musikjournalismus?
Hält der Kritiker die nötige Distanz zu den Interpreten,
Komponisten und Veranstaltern? Da wird’s heikel für unsereiner,
denn – zugegeben – damit ist es nicht so weit her.
Das kann zweierlei bedeuten: Entweder sind die erwähnten
Kuschelpraktiken auch hier an der Tagesordnung, oder es herrschen
andere Voraussetzungen und damit auch andere Regeln. Vielleicht
gilt auch beides. Die Sache ist kompliziert, und es scheint, dass
die Problemstellung nicht so einfach zu übertragen ist.
Ein Argument zählt nicht: dass solche Dinge im Kunstbereich
deswegen eher tolerierbar seien, weil im Gegensatz zur Politik hier
ohnehin alles erlaubt sei und es nicht so genau darauf ankomme.
Das hieße aber, dass der Kulturjournalist für sein Geschreibsel
keine Verantwortung zu übernehmen bräuchte. Doch damit
würde er auch nicht ernst genommen. Der Verleger wäre
nicht zu tadeln, der dieser Art von Journalismus die Spalten radikal
zusammenstreichen würde.
Die Unterschiede wären vielmehr in der Struktur der Sache
zu suchen, über die berichtet wird. Im Gegensatz zu dem die
Allgemeinheit verkörpernden Gefüge der politischen Institutionen
ist der Musikbetrieb eine begrenzte, nur teilweise öffentlich-rechtliche
Domäne, in der einzelne Personen und Institutionen durchaus
markt- und meinungsbestimmend sein können. Der Markt ist nicht
anonym und die Akteure kennen sich. Aus diesem Geflecht individueller
Beziehungen kann sich der Musikkritiker nicht heraushalten, ohne
die Bodenhaftung in der Szene zu verlieren.
Dies gilt zumal für die zeitgenössische Musik, die unter
der Käseglocke der Subventionspolitik ein weitgehend abgeschottetes
Dasein fristet. Bei aller individueller Konkurrenz fühlen sich
doch alle den gleichen Interessen – dem Erhalt der Aufführungsmöglichkeiten,
sprich: der Subventionen – verpflichtet. So unterstützt
man sich gegenseitig. Der Neue-Musik-Betrieb ist eine typische Klientelwirtschaft.
Der Kritiker, der sich darin bewegt und mit publizistischen Mitteln
um die Bestandssicherung kämpft, wird zu ihrem Fürsprecher
nach außen. Er ist geneigt, seine kritischen Gedanken dem
guten Zweck zu opfern und will nicht den Nestbeschmutzer spielen.
Es wäre aus seiner Sicht auch unlogisch, sich selbst und den
andern die Existenzgrundlage wegzurezensieren. Abgesehen davon gibt
es einen Unterschied zwischen einem Politiker oder Wirtschaftsführer
und einem Komponisten: Diesem muss der Journalist nicht kritisch
auf die Finger schauen, ob er krumme Dinge dreht. Das für die
Politik so typische Grundmisstrauen fehlt hier also. Es wäre
bestenfalls bei bestimmten Veranstaltern angebracht.
Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Anders als die weitgehend nach
anonymen Regeln funktionierende Wirtschaft beruht die Kunst auf
der Weitergabe von Wissen und Können zwischen Einzelpersonen:
Lehrer-Schüler, Komponist-Interpret. Auch Komponist-Kritiker.
Die Informationen, die zum tieferen Verständnis eines neuen
Werks nötig sind, kann sich der Kritiker nicht aus dem Internet
oder in der Pressekonferenz holen. Manches erschließt sich
zwar durch die Partiturlektüre. Doch meist ermöglicht
erst die einfühlsame Nähe zum Komponisten oder Interpreten
jene Einblicke in das künstlerische Denken, die beim Leser
dann den Eindruck einer intimen Sachkenntnis hervorrufen.
An einen Verriss ist unter diesen Voraussetzungen natürlich
nicht zu denken. Wer würde schon das Vertrauen eines Komponisten
missbrauchen, indem er die persönlichen Auskünfte, die
oft genug Bekenntnischarakter haben, in der Öffentlichkeit
ins Negative drehen würde? In die Abhängigkeit begibt
sich der Kritiker also gleichsam anstandshalber. Solange diese Freundschaftlichkeit
nicht zur Kumpanei ausartet, ist dagegen nicht viel zu sagen.
Problematischer als die Nähe zu den Künstlern ist allemal
die Nähe zu Wirtschaftsbetrieben wie Veranstaltern oder Plattenproduzenten.
Wo bei der Gratisbemusterung mit CDs, beim Kneipenbesuch mit dem
Veranstalter, bei der Übernahme der Hotelkosten durch ein einladendes
Festival die Kooperation in Käuflichkeit umschlägt, ist
oft nicht genau auszumachen. Ob er diese Annehmlichkeiten mit Kuschelkritik
und fadenscheiniger Empfehlung quittieren will, muss sich der Kritiker
genau überlegen. Das Publikum wird es ohnehin über kurz
oder lang merken.