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nmz-archiv
nmz 2006/02 | Seite 44
55. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Menschen, die wissen, worum es geht
Das Junge Klangforum Mitte Europa – ein trinationales Orchester
im musikalischen Dialog
Angefangen hat es mit Killy. Der wurde 75 Jahre alt, das war im
Jahre 2002. Man wollte ihm huldigen. Es wurden Musiker gesucht.
Killys Meisterschüler, Moritz Eggert, engagierte sich und machte
sich auf die Suche, gemeinsam mit seinem Freund Christoph Altstaedt,
der damals noch Klavier- und Dirigierstudent in Detmold war. Dieser
fand die Musiker vor allem unter seinen Freunden aus seiner Zeit
im Bundesjugendorchester. Es kamen sehr viele: ein ganzes Orchester.
Es waren junge Nachwuchsmusiker, die den Wunsch hatten, vor allem
zeitgenössische Musik „unverbraucht und ohne ideologische
Barrieren“ aufzuführen. Es wurde ein Forum daraus, ein
Forum, das Schaffenden und Ausübenden zu einem fruchtbaren
Dialog verhelfen sollte und „Junges Deutsches Klangforum“
getauft wurde – mit Christoph Altstaedt als seinem Dirigenten.
Ein Dirigent unter Freunden, eine ideale Voraussetzung.
Immer
im musikalischen Dialog: Probe des Jungen Klangforums in
Kreisau. Foto: Junges Klangforum
Am Anfang des Dialogs stand nun also Killy, so nannten ihn liebevoll
seine Kompositionsschüler an der Münchner Musikhochschule.
Killy steht für Wilhelm Killmayer, den „Grantler aus
München“ („Schönberg ist für mich ein
Rätsel. Warum ist er eigentlich nicht zum Patentamt gegangen?“).
Wilhelm Killmayer, in dessen Werken Wolfgang Rihm die eine Note,
die zu viel wäre, noch nie gehört hat. Und erst vor wenigen
Wochen hat das Klangforum sich mit einem Werk seines vorhin bereits
erwähnten Meisterschülers Moritz Eggert auseinander gesetzt,
einem Kontrabasskonzert. Darüber später mehr.
Killmayer wurde aufgeführt, in München, natürlich:
„Im Freien“, „La joie de vivre“, „Sonanzen“,
„Sinfonia 1“ und „Jugendzeit“. Viel Prominenz
war bei diesem Geburtstagskonzert zugegen. Die Öffentlichkeit
hatte Kenntnis vom Jungen Deutschen Klangforum genommen. Nun sollte
es weitergehen. In dem Kulturmanager Holger Simon fand das Orchester
einen kompetenten und engagierten Geschäftsführer, einen
Idealisten, der neben seiner Tätigkeit als Fagottist im Orchester
der Deutschen Oper Berlin ein Riesenarbeitspensum auf sich nahm
– ohne Honorar, wie im Übrigen auch der Dirigent und
die Musiker. An frühere Kontakte des Bundesjugendorchesters
nach Terezín (Theresienstadt) in Tschechien und Krzyzowa
(Kreisau) in Polen wurde angeknüpft. Vor allem entstand eine
überaus fruchtbare Zusammenarbeit mit der Gründerin der
„Hans Krása Stiftung – Terezín“,
Gaby Flatow, und später mit Freya von Moltke und ihrer „Freya
von Moltke-Stiftung für das Neue Kreisau“. Diese Kontakte
hatten Folgen. Aus dem Jungen Deutschen Klangforum wurde ein trinationales
Orchester, das nunmehr „Junges Klangforum Mitte Europa“
heißen sollte. Die ersten tschechischen Musiker aus Prag und
Brünn gesellten sich bei der Arbeitsphase in Terezín
im September 2003 dazu. Der völkerverbindende Charakter wurde
weitergeführt und verstärkt. Bereits zwei Monate später
wurden auch junge polnische Nachwuchsmusiker aus Krakau und Warschau
in das Orchester aufgenommen.
Ohne Auswirkung auf die Programmauswahl konnten diese Kontakte
nicht bleiben. Namen wie Viktor Ullmann, Pavel Haas, Gideon Klein
und Hans Krása zieren das Komponistenverzeichnis ebenso wie
die von Karl Amadeus Hartmann und Witold Lutoslawski. Erstere waren
Inhaftierte des Konzentrationslagers Theresienstadt und wurden von
den Nationalsozialisten ermordet. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges
unterbrach die Karrieren von Hartmann und Lutoslawski. So kam zu
dem musikalischen Dialog, den die Musiker sich auf ihre Fahnen geschrieben
hatten, der Austausch- und Versöhnungsgedanke dazu. Richard
von Weizsäcker, der schon bald die Schirmherrschaft des Orchesters
übernommen hatte, schrieb im Vorwort eines der Programmhefte:
„Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.“
Das Junge Klangforum Mitte Europa hofft, diesem Geheimnis durch
Konzerte in historisch bedeutsamen Orten mit entsprechenden Werken
auf die Spur zu kommen. So in Terezín (2003 „Konzert
für Terezín“ und 2005 „Tryzna“-Konzert
anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers),
in Berlin (2003 Konzert für Terezín in der Deutschen
Oper, 2004 Konzert in der Philharmonie mit Werken von Janacék
und Lutoslawski, 2005 Gedenkstunde im Deutschen Bundestag am 8.
Mai aus Anlass des Kriegsendes vor 60 Jahren und ein Benefizkonzert
zu Gunsten der „Freya von Moltke-Stiftung für das Neue
Kreisau“) und in Krzyzowa/Kreisau (September 2005). Eine besondere
Bedeutung bekam in diesem Zusammenhang die Aufführung eines
Kindermusicals im Juni 2004 in Rammallah. Dort wurde das Musical
„Al Fawanees“ des palästinensischen Komponisten
Suhail Khoury zusammen mit 30 Kindern aus Palästina mit dem
Klangforum zu Gehör gebracht.
Neben Richard von Weizsäcker nahmen auch Václav Havel
(„Ich kann nicht anders, als uns allen zu wünschen, dass
im zukünftigen Europa alles so gut gestimmt sein wird wie die
Musik dieser jungen Musiker.“) und Lech Walesa („Die
Musik ist eines der wundervollsten kulturellen Güter –
möge sie die Jugend in Europa vereinen und uns dabei gleichzeitig
erlauben, die oft tragischen Biographien wunderbarer Komponisten
besser zu verstehen.“) die Schirmherrschaft. Aufgrund des
völkerverbindenden Charakters und seiner musikalischen Qualität
wurde das Junge Klangforum Mitte Europa 2004 mit dem PraemiumImperiale-Nachwuchspreis
„Grant for Young Artists“ der Japan Art Association
ausgezeichnet, nachdem es bereits 2003 den Ehrenpreis des Landes
Nordrhein-Westfalen erhalten hatte. Die Auszeichnung mit dem „Grant
for Young Artists“ hatte eine Einladung nach Japan zufolge.
Im Rahmen des Jahres „EU in Japan 2005“ und dem „People-to-People
Exchange“ der Europäischen Union fanden im September
2005 Konzerte und Workshops in fünf verschiedenen Städten
Japans statt. Krönender Abschluss war ein viel beachtetes Konzert
in der Suntory Hall in Tokyo. Auf dem Programm stand neben Werken
von Schumann, Mahler und dem japanischen Komponisten Maki Ishii
(„Fu-shi“, ein Auftragswerk der Suntory Music Foundation)
das eigens für das Klangforum und seinen Dirigenten Christoph
Altstaedt komponierte Kontrabasskonzert „Primus“ (aus
dem ewig „Letzten“ oder „Untersten“ in einem
Sinfonieorchester wurde, wenn auch nur vorübergehend, ein Primus)
des Meisterschülers aus Killys Kompositionsklasse der 80er-Jahre
an der Musikhochschule in München: Moritz Eggert. Das Werk
ist dem Solisten Nabil Shehata gewidmet, der zu den Freunden des
Dirigenten aus dessen BJO-Zeit gehört, Gründungsmitglied
des Klangforums ist und sich seit gut einem Jahr Solobassist der
Berliner Philharmoniker nennen darf, nachdem er zuvor beim ARD-Wettbewerb
mit einem 1. Preis ausgezeichnet worden ist. Solche Karrieren soll
es geben. Zu den Förderern der bisherigen Projekte des Jungen
Klangforums Mitte Europa, das bis dato keinen festen Träger
hat, gehörten neben der Europäischen Union in der Hauptsache
Stiftungen und Fonds wie die Kulturstiftung des Bundes, die Ernst-von-Siemens-Musikstiftung,
die Allianz-Kulturstiftung, die GEMA-Stiftung, das Bundesjugendministerium,
das Deutsch-Polnische Jugendwerk, das Goethe-Institut, der Deutsch-Tschechische
Zukunftsfonds und der Versöhnungsfonds Renovabis der Katholischen
Kirche in Deutschland.
Die gemeinsamen Anstrengungen aller Beteiligten, dazu gehören
auch die Mitglieder des Beirates (Karin Gräfin Dönhoff,
Gaby Flatow, Angelika Fessmann, Hans Timm, Stanislav Riha, Bohuslav
Zoubek, Jan Horicék, Elzbieta Penderecki und Tomasz Tomaszewski),
führten erst jüngst zu einer weiteren Auszeichnung: dem
Förderpreis 2005 der Marion Dönhoff Stiftung. Denn der
vorbehaltlose Einsatz von Marion Dönhoff für eine Versöhnung
mit den Staaten Osteuropas ist den Gründern und Mitgliedern
des Klangforums zum Vorbild geworden. Sie gehören eben zu den
Menschen, die – wie Marion Dönhoff es schon 1976 formulierte
– „wissen, worum es geht“. Sie schrieb damals
über solche Menschen, die in ihren Augen etwas ganz Besonderes
waren: „Sie haben alle eins gemeinsam. Sie sind ganz echt
– sie lassen sich nicht vom Zeitgeist oder von Werbeagenturen
stilisieren. Sie machen keine Konzessionen an Publikum, Mode, Karriere.
Sie sind ganz ohne Furcht. Sie folgen ihren eigenen Maßstäben
und ihrer Intuition. Intuition hat mit Gefühl zu tun –
und nicht im Sinne von Emotionen, sondern im Sinne von Gewissheit.
Eben darum: Menschen, die wissen, worum es geht.“ Die festliche
Preisverleihung erfolgte in Hamburg am 27. November im Deutschen
Schauspielhaus durch Richard von Weizsäcker. Inzwischen zeigen
namhafte Dirigenten und Leiter bedeutender Festivals Interesse am
Jungen Klangforum Mitte Europa. Aber darum geht es ja eigentlich
gar nicht.