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nmz-archiv
nmz 2006/02 | Seite 43
55. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Die Scheu vor dem Wort
Rebecca Saunders in Weingarten
Nein: Eloquent, beredt, gar aufregend über die eigene Musik
zu sprechen, das ist ihre Sache nicht. Die Engländerin Rebecca
Saunders, 1967 in London geboren, wirkt da eher eingeschüchtert,
still und karg. Ein paar Hinweise an junge Klavierschülerinnen,
die zu einem öffentlichen Probengespräch mit ihr zusammengekommen
waren, das war fast schon alles. Und diese Hinweise blieben im Wesentlichen
auf der Ebene von Anmerkungen wie: „Diese Stelle hätte
ich mir etwas prägnanter, heftiger oder verhaltener gewünscht.“
Da erinnerte man sich fast wehmütig an György Kurtág
vom letzten Jahr, der es im Grunde auch wie der Teufel das Weihwasser
scheut, über seine Musik zu sprechen. Doch aus der Reserve
gelockt, hob er an über bloße Kraft im Verhältnis
zur Energie in der Musik zu sprechen. Das eine bewirkt leeres Dröhnen,
das andere spannt die Nerven wie die Sehne eines Bogens.
Die
Kraft in Saunders Musik spricht für sich. Foto: Charlotte
Oswald
Der Ort, wo sich solches alljährlich im späten Herbst
ereignet, ist Weingarten in der Nähe des Bodensees. Zum 19.
Mal wurden jetzt die Internationalen Weingartener Tage für
Neue Musik veranstaltet, die sich stets ausschließlich einem
Komponisten, einer Komponistin widmen. Und mit dem Schwenk über
Kurtág wurde sich dennoch nicht so weit von Saunders entfernt.
Sprechen über Musik ist ja bei Weitem nicht alles, ja es ist
Nebensache gegenüber ihrem Erklingen. Hier aber weiß
Saunders über energetische Fragen bestens Bescheid. Sie ist
1991 nach Deutschland gekommen, um bei Wolfgang Rihm Unterricht
zu nehmen. Auch damals scheint man ohne viele Worte, in gleichsam
nonverbalem Austausch, miteinander ausgekommen zu sein. Das jedenfalls
deutete Michael Struck-Schloen in seinem Eröffnungsvortrag,
der einen Überblick über Saunders Schaffen erstellte,
an. Etwas von Haydns Selbstvertrauen beim Antritt seiner ersten
London-Reise, dass man seine Sprache in der ganzen Welt verstehe,
mag hierbei noch fortwirken.
Und wirklich: Die Kraft in Saunders’ Musik spricht für
sich. Schon in den Titeln deutet sich eine merkwürdige Affinität
zu Farben, wie auch zum literarischen Werk von James Joyce oder
Samuel Beckett an. Saunders freilich schreibt keineswegs inhaltlich
geprägte, in Worten ungefähr anzugebende Musik. Auch daher
rührt wohl die Scheu vor dem erläuternden Wort. Was sie
den Farben, es sind vornehmlich glühend warme Rottöne
und antipodisch dazu das kalte Blau, und den Texten entnimmt und
auf ihre Musik überträgt, das sind Grade der Hitze, der
intensiven Leuchtkraft, ebenso der sprachlichen Dichte und Dringlichkeit.
Schon in ihrem ersten gültigen Werk, es ist „Behind
the Velvet Curtain“ (und hinter dem Samtvorhang leuchtet natürlich
das glühende Rot wie eine subkutane Kraft!), das sie 1991,
gerade zu Rihm gekommen, schrieb, sind alle diese Momente wie in
einem ersten großen Wurf da. Wie besessen arbeitet Saunders
an der Intensität des Klangs, für sie scheint es keinen
anderen Sinn musikalischen Tuns zu geben. Hierin ähnelt sie
Malern von Rembrandt bis Wassily Kandinsky oder Paul Klee, bei denen
auch die psychologische Leuchtkraft der Farben alles beherrschte.
Das hat etwas Manisches: „Beim Komponieren fasse ich die
Klänge und Geräusche mit den Händen an, wiege sie,
spüre ihre Potentiale zwischen den Handflächen. Die so
entwickelten skelettartigen Texturen und Klanggesten sind wie Bilder,
die in einem weißen Raum stehen, in die Stille eingesetzt,
nebeneinander, übereinander: auf der Suche nach einer intensiven
Musik.“ So erklärt Saunders ihr schöpferisches Wollen.
Klänge entstehen, die wie Kristalle, tief im Berg geborgen,
von Innen heraus leuchten. Und die Musik tut nichts weiter, als
diesem Schein nachzugehen und seine Kraft zu potenzieren. Es gibt
Tiere, deren Kiefer oder Fänge, haben sie ein Opfer ergriffen,
auch von ihnen nicht mehr zu lösen sind. Solches Verbeißen
ist wesentliches Charakteristikum ihrer Musik. Deren Zeitverlauf
hat für sie immer weniger Bedeutung, er dient einzig der spektralen
Auffächerung energetischer Erfahrungswerte.
Das ist das Schöne an Weingarten, hier sogar in ganz besonderem
Sinne. Bei anderen Konzerten mit zeitgenössischer Musik, in
die ein Stück von Saunders eingeschoben ist, mag dieses auch
aufgrund der relativen Kürze in seiner Eigenart nicht voll
wahrzunehmen sein. Wie aber diese Werke sich als ein Aufblättern
von Facetten erweisen, so ergänzen sie sich auch untereinander.
Denn alle verfolgen immer wieder die gleiche Idee: das initial Gesetzte
zur Ausprägung zu bringen.
Und hört man eine Folge ihrer Stücke, die stets wie Sisyphos
immer wieder den Stein (des Anstoßes) nach oben wuchten, dann
wird man von dieser unermüdlichen Anstrengung, diesem besessenen
Bemühen unmittelbar in den Bann geschlagen. Das Erklingende
lässt nicht los, lässt einen nicht los. Saunders geht
so weit, dass sie in einigen Stücken immer wieder Irritationen
einbaut, Stolpersteine, die die Intensität des Hörens
unterminieren oder ablenken. Musikalische Spieluhren sind eines
der bevorzugten Mittel.
Denn dieses Geklingel hat eine merkwürdige Affinität
zu ihrem musikalischen Wollen. Es nimmt unwillkürlich in Beschlag
– Mozart etwa verwies darauf im Glöckchen-Delirium der
Zauberflöte, vielleicht auch Mahler in der Posthornepisode
seiner Dritten. Hier aber ist es das Mechanistische, auch das Leere
des Tönens, das sich dem Hören wie eine unwiderstehliche
Macht aufschraubt.
Die Musik von Rebecca Saunders möchte dazu Pendant sein, deswegen
sucht sie diese fremde Konfrontation. Sie soll als stärkere
Energie dahinter hervorleuchten wie vielleicht das Rot hinter dem
Samtvorhang oder von der Unterseite des Grün (mit „the
under-side of green“ ist ein Stück von ihr betitelt).
Solche Musik bedarf höchster Konzentration bei der Ausführung.
Die musikFabrik NRW (das Klavier-Schluss-konzert bestritten dann
Tamara Stefanovich und Ulrich Löffler) erwies sich hierbei
als bestens vertraut mit der Musik von Saunders. So wie sie zum
Beispiel das höchst konzentrierte „Quartet“ von
1998 oder das mit besagten Irritationen arbeitende Stück „Molly’s
Song 3 – shades of crimson“ spielten, ließ an
tief sitzendem Nachdruck nichts vermissen.