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nmz-archiv
nmz 2006/02 | Seite 10
55. Jahrgang | Februar
Cluster
Mehr als Pisa
Am 4. Oktober 1957 startete die Sowjetunion den Erdsatelliten
Sputnik. Die eine Hälfte der Menschheit jubelte, die andere
verfiel in den Sputnikschock. Amerikas Bildungspolitiker bliesen
zur Aufholjagd. Ein Resultat dieser Anstrengungen war die Frühförderung
amerikanischer Kinder in der Schule und durchs Bildungsfernsehen.
Mit der Sesamstraße beschritt man neue Wege: Man glaubte,
mit dem Medium TV ein schichtenunabhängiges Mittel zur Erziehung
und Bildung in Händen zu halten. Heute sitzen unsere Kinder
im Schnitt 118 Minuten täglich vor dem Bildschirm, die zusätzliche
Zeit vor Computer und Spielekonsole ist da noch nicht mit eingerechnet.
Zwei Stunden täglich, die ausreichen, so Wissenschaftler der
University of Otago in Neuseeland, um spätere Gesundheitsrisiken
wie Übergewicht und einen zu hohen Cholesterinspiegel hervorzurufen.
Das Fernsehen ersetzt das Familienleben und der bildungspolitische
Bankrott ist Tatsache: Von 5 Millionen Arbeitslosen sind 500.000
unter 23. Davon haben 27 Prozent keinen Schulabschluss und 67 Prozent
keine Berufsausbildung. Das Ganze vor dem Szenario einer Ökonomie,
die noch keine Antwort auf die Herausforderungen durch die Globalisierung
gefunden hat.
In Europa hat man sich an die 35 Stunden gewöhnt. Aber wie
will man mit den Indern in Bangalore konkurrieren, die bereit sind
35 Stunden am Tag zu arbeiten? Will Deutschland in den internationalen
Rankings nicht abgehängt werden, gibt es nur eine Antwort.
Bildung, Bildung, Bildung. Die aber ist mehr als Pisa. Der frühere
Bundespräsident Johannes Rau drückte das so aus: „Wir
brauchen Bildung und Erziehung auch jenseits von Nützlichkeit
und Verwertbarkeit.“ Ein Appell vor allem an die Kultureinrichtungen.
Sie müssen sich noch stärker in der Pädagogik engagieren.
Positive Beispiele dafür gibt es von den Berliner Philharmonikern
bis hin zur Musikschule. Dass nun Anfang des Jahres auch die deutschen
Phonoverbände „ihren“ Bildungs-Schock erlebten
und daher ihr Engagement bei der Förderung der Musikerziehung
ausweiten wollen, wie dies der Vorsitzende Michael Haentjes beim
Neujahrsempfang der Verbände in Berlin sagte, ist grundsätzlich
zu begrüßen. Eine Anmerkung aber sei erlaubt: Ein Abonnement
der neuen musikzeitung hätte den Verantwortlichen des Verbandes
diese Einsicht allerdings schon vor einem Jahrzehnt vermitteln können.