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nmz-archiv
nmz 2006/02 | Seite 28
55. Jahrgang | Februar
Jeunesses Musicales Deutschland
Entdeckt, was in euch steckt
Mehr Attraktivität für Jugendorchester
Leiter und engagierte Mitglieder von Jugendorchestern hatte die
Jeunesses Musicales Deutschland zu einer Fachtagung nach Weikersheim
eingeladen. Viele waren gekommen. Die rund 50 Teilnehmenden, die
sich inmitten vorweihnachtlicher Muckenzeit die fortbildende Auszeit
in Weikersheim genommen hatten, repräsentierten die Jugendorchesterlandschaft
in Deutschland: jugendliche Mitglieder von Schul-, Musikschul- und
Universitätsorchestern waren ebenso vertreten wie Orchestervorstände,
Leitungsverantwortliche aus dem Bundesjugendorchester, der Deutschen
Streicherphilharmonie und den Landesjugendorchestern sowie Leitern
und Leiterinnen von Jugendorchestern zwischen der Waterkant und
dem Voralpenland.
Die bundesweit ausgeschriebene Tagung war zugleich der Schlussstein
und die ergebnisorientierte Öffnung eines regionalen Modellprojekts,
das die JMD unter dem runden Titel „Im Kreis dreht sich’s
um Musik“ mit sechs Jugendorchestern im Main-Tauber-Kreis
über zwei Jahre hinweg durchgeführt hatte. Es ging einerseits
um den Fragenkomplex, wie sich Jugendorchester heute sowohl für
ihre Mitwirkenden interessanter machen als auch für ihr Publikum
aktueller präsentieren können, andererseits spielte der
Grundsatz der verstärkten Mitverantwortung der jugendlichen
Musiker eine zentrale Rolle.
Praxisorientiert sollte die Tagung sein, ihre Inhalte gewonnen
aus dem realen Jugendorchesterleben, ihre Anregungen ganz auf die
Anwendbarkeit vor Ort zugeschnitten. Was lag da näher, als
mit einem orchestralen Auftakt des JSO Bad Mergentheim zu beginnen?
Als Initiatoren des Modellprojekts in Baden-Württemberg gaben
JMD-Generalsekretär Uli Wüster und Landesvorsitzender
Peter Ammer einen Überblick über das, was sich an der
Tauber von ersten Kontaktaufnahmen über gemeinsame Musikproben
mit dem von Akademieleiter Günter Müller-Rogalla geleiteten
„SinfonikPLUS“-Riesenorchester, über manchmal inspirierte,
manchmal bemühte Themenworkshops mit den Jugendlichen bis hin
zu zwei glänzenden Orchesterfesten mit großer Öffentlichkeitswirkung
ereignet hatte. Teilnehmer aus den beteiligten Orchestern präsentierten
ihre Einschätzungen über die Erfolge und Effekte der gemeinsamen
Arbeit: Vernetzung, Kooperationsmöglichkeiten, Zielstrebigkeit,
Motivation, Horizonterweiterung, Selbstbewusstsein wurden da genannt.
Ein tolles Erlebnis sei das gewesen, dieses so rund laufende Orchesterfest
auf verschiedenen Bühnen. Nach nur einem Jahr Vorlauf hatten
sie ihre Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu eigenen Moderationen
so perfekt hingedreht, dass das Publikum gar nicht anders konnte,
als sich mitreißen zu lassen von Qualität und jugendlicher
Musikbegeisterung. Eines der Orchester verdankte dem Projekt gar
seine Gründung und seinen Stellenwert am Ort.
Die Fragestellung der Fachtagung war durch und durch ein Marketingthema.
„Jugendorchester und ihr Markt“ war denn auch das Feld,
zu dem Professor Angela Koch vom Kulturmarketingstudiengang der
Reinhold-Würth-Hochschule Künzelsau eine gute Stunde Theorie
beisteuerte: Was da zu hören war von Perspektiven für
die Aufmerksamkeit auf Kultur in der heutigen Zeit, schien nicht
gerade ermutigend für Jugendorchester und ihre eher periphere
Rolle, wenn sich bei stetig wachsender Vielfalt auf dem Freizeitmarkt
Konkurrenzen ganz anderen Zuschnitts ergeben. Dennoch – der
Vortrag bot den Tagungsteilnehmern auch ein Handlungsschema von
Zielsetzung, Analyse der Gegebenheiten, Besinnung auf die eigenen
Stärken und strategischen Vorgehensweisen an, mit dem sich
auch Jugendorchester einen Weg durch das Dickicht moderner Alltagsverflechtungen
bahnen können.
Good-Practice-Beispiele einiger Jugendorchester schlossen sich
an, illustrierten die Theorie, regten das eigene Nachdenken an:
Eine ganz besondere Nische hat sich ORSO, das Offenburger Rock-Symphony-Orchestra,
erschlossen, das mit seinem visionären jungen Dirigenten Wolfgang
Roese und einem hoch motivierten ehrenamtlichen Team, einer knisternden
Arbeitsatmosphäre und spektakulären Konzerten zu jedem
Projekt fast 200 junge Musiker zusammentrommelt. Das Studentenorchester
Münster macht mit 80 Mitgliedern und originellen Themenkonzerten
seit 1976 Furore. Das höchst disziplinierte Ensemble probt
wöchentlich, zieht pro Konzert rund 650 Besucher an. Vier bis
fünf Konzerte jährlich zielen speziell auf Kinder und
Familien als Publikum. Nicht leistbar wäre das ohne die „Drumherum-Kommission“,
die sich ums spritzige Programmheft, um Sektbar, Bühnenbild
und Präsentation kümmert, Öffentlichkeitsarbeit und
persönliche VIP-Einladungen organisiert, auch mal ein Kombiticket
für Kino und Konzert möglich macht oder für einen
passenden Vortrag sorgt.
Auch im kleineren Rahmen kann das mit der Mitverantwortung im Orchester
funktionieren, hält das Jugendsinfonieorchester Bad Mergentheim
dagegen. Wenn sich einzelne Arbeitsgruppen spezieller Themen, etwa
der Moderation, der Bewirtung, der Präsentation, der erforderlichen
Auf-, Um- und Aufbauten annehmen, wenn eine AG die Werbung schultert
und eine sich intensiv auf die Suche nach Sponsoren macht, dann
ist sogar eine große Benefiz-Gala möglich. Welchen Grad
an Originalität und Qualität ein Jugendorchesterprojekt
gewinnen kann, wenn man die jungen Leute gewähren lässt,
bewiesen Mitglieder des Orchesters der Kreismusikschule Kusel, die
nicht nur mit „Musik im Blut“ bei der Sache waren, sondern
unter diesem Titel ein spannendes Konzertprojekt im Rahmen des Deutschen
Jugendorchesterpreises der JMD entwickelt hatten. Musikschul- und
Orchesterleiter Thomas Germain probte dabei als neue Rolle den Ermöglicher
im Hintergrund.
Was haben solche Erfolgsmodelle, was andere nicht so haben? Vielleicht
eine klare Corporate Identity, die zu erarbeiten ebenfalls bei der
Jugendorchester-Fachtagung auf dem Programm stand. Anhand eines
gestaffelten Fragenkatalogs führte JMD-Generalsekretär
Uli Wüster die Teilnehmer zu Selbstreflexion, Anregungen, Nachfragen
und Diskussionen. Am liebsten hätte man da weitergemacht, wo
man aus Zeitgründen aufhören musste. Mitnehmen konnte
man eine Bewegung hin auf sich selbst und von dort wieder zum Publikum,
zu Partnern, Förderern, Presse – und immer mit dem Blick
auf die eigenen Potenziale. Und hier, da war man sich einig, gilt
es, einen großen Schatz bei den jugendlichen Orchestermitgliedern
selbst zu heben.
Den Abschluss machte am Sonntagmorgen eine Präsentation einiger
Praxisbeispiele aus dem Education-Programm der Berliner Philharmoniker,
die – in Vertretung seiner erkrankten Leiterin Cathy Milliken
– Annika Schmitz aus dem „zukunft@BPhil“-Team
gab. Kooperationsmodelle wie das jährliche Schulorchestertreffen,
das auch eine hervorragende Anregung für die „tutti pro“-Initiative
der JMD für Orchesterpatenschaften mit Berufsorchestern darstellt,
Musikvermittlungsprojekte wie die Zusammenarbeit mit einem Komponisten
und Schulklassen oder ein „Fest der Sinne“ sind brauchbare
Anregungen auch für Jugendorchester, bieten Identifikationsmomente,
eröffnen neue Zugänge zur Musik und zum eigenen Musizieren
und machen nicht zuletzt einfach Spaß. Dass dies die eigentliche
Motivationskraft und der überragende Attraktivitätsfaktor
der Jugendorchester darstellt – dies konnten die Teilnehmenden
leibhaftig von dieser Tagung als wichtigstes Ergebnis mitnehmen.