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nmz-archiv
nmz 2006/02 | Seite 32
55. Jahrgang | Februar
Jugend musiziert
Ein Exportschlager mit Variationen
“Jugend musiziert“ an Deutschen Schulen im Ausland
Im Dezember war in der Süddeutschen Zeitung über das
Experiment einer Sprachwissenschaftlerin zu lesen, die Übersetzer
mehrerer europäischer Nationalitäten gebeten hatte, das
bekannte Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“
aus ihrer jeweiligen Landessprache ins Deutsche zu übersetzen.
Heraus kamen „Stille Nächte“, „Ruhige Tage“
oder „Heilige Zeiten“ – kleinster gemeinsamer
Nenner blieb die Melodie. Auf diesem Prinzip der gemeinsamen Melodie
bei gleichzeitiger Variation durch regionale Gegebenheiten fußt
auch der erfolgreichste und älteste Musikwettbewerb für
Schülerinnen und Schüler in Deutschland, “Jugend
musiziert“.
Denn das Modell des dreistufigen Wettbewerbs, in dem man um Punkte
spielt und nicht gegeneinander ist auch ein erfolgreiches Exportmodell
für andere Länder geworden: mit einem ersten eigenen Wettbewerb,
1981 in Madrid, wurde “Jugend musiziert“ auf die deutschen
Schulen im Ausland ausgedehnt. Bereits im Jahr 1978 hatten die auswärtigen
Beziehungen der Bundesrepublik im Bereich der Kulturarbeit eine
Umdeutung erfahren: an die Stelle von einseitigem Kulturexport sollte
partnerschaftliches Geben und Nehmen stehen. Der Musik wurde dabei
die Rolle zuteil, als nonverbales Medium den Zugang zur deutschen
Kultur herzustellen und dadurch womöglich den Zugang zur deutschen
Sprache zu ebnen. 1979 beschloss die Kultusministerkonferenz, die
pädagogische und kulturpolitische Wirksamkeit der Auslandsschulen
weiter zu erhöhen. Den Auslandsschulen kam damit besonders
in den kulturellen Fächern eine Sonderstellung zu.
Im Jahr 2005 betreute die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen
im Bundesverwaltungsamt weltweit 117 Deutsche Schulen. Die Schülerschaft
der häufig als Begegnungsschulen arbeitenden Institute setzt
sich zusammen aus deutschen Kindern, selbstverständlich können
aber auch Kinder anderer Staatsangehörigkeiten eingeschult
werden. Faktisch ist damit die Möglichkeit des Kulturaustausches
gegeben, denn die Begegnung der Kulturen steht im Vordergrund allen
pädagogischen Handelns.
35 Schulen in 18 Ländern Europas und des nördlichen
Afrika sind es inzwischen, die eigene Regionalwettbewerbe “Jugend
musiziert“ durchführen. Mitmachen können nicht nur
Schüler der Deutschen Schule, sondern auch externe Jugendliche
im Schüleralter mit deutscher Staatsangehörigkeit. Kooperiert
eine Deutsche Schule mit anderen Schulen vor Ort, so werden auch
deren Schülerinnen und Schüler zum Mitmachen eingeladen.
Die ersten Preisträger auf Regionalebene reisen anschließend
zu drei Zentren in Südwest-, Südost- und Nordeuropa zu
den Landeswettbewerben “Jugend musiziert“: Gastgeber
für die Schulen Griechenlands, der Türkei, Italiens und
Ägyptens ist im kommenden März die Deutsche Schule in
Istanbul. Der Landeswettbewerb für die deutschen Schulen in
Spanien, Portugal und Frankreich findet in Marbella statt und Schülerinnen
und Schüler aus den deutschen Schulen in Ungarn, Irland, Finnland,
Großbritannien, Estland, Polen, Russland, Norwegen, Tschechien,
Schweden und Rumänien reisen zum Landeswettbewerb an die Deutsche
Schule in Helsinki, die ihr 10. Jubiläumsjahr als Ausrichter
des Landeswettbewerbs feiert.
Das Regelwerk der Auslandsversion von “Jugend musiziert“
ist identisch mit dem der bundesdeutschen Fassung. Das ist notwendig,
denn nur gleiche Bedingungen in den Regional- und Landeswettbewerben
im Ausland bieten die Gewähr auf gleiche Chancen im Bundeswettbewerb:
So werden die Teilnehmer in Altersgruppen eingeteilt, sie müssen
Musik verschiedener Epochen als Wettbewerbsprogramm vorbereiten,
sie spielen einer Jury vor und erhalten dafür Punkte. Die Punktzahl
ermöglicht das Weiterkommen auf die nächst höhere
Wettbewerbsebene, also entweder dem Landeswettbewerb oder eben zum
Bundeswettbewerb “Jugend musiziert“. Teilnehmen können
prinzipiell alle Schüler einer Auslandsschule, unabhängig
von ihrer Nationalität. Beim Bundeswettbewerb treffen dann
schließlich alle zusammen: die ersten Preisträger der
sechzehn innerdeutschen Landeswettbewerbe und die ersten Preisträger
der drei Auslands-Landeswettbewerbe: Jugendliche aus Helsinki, Warschau,
Teneriffa, Moskau, Rom oder Alexandria, die sich mit sichtbarem
Vergnügen in das große Wettbewerbsgetümmel werfen,
(Brief)-Freundschaften knüpfen und in menschlicher wie musikalischer
Hinsicht eine große Bereicherung im Wettbewerbsgeschehen darstellen.
Aber ein bisschen Spielraum für regionale Spezialitäten
lässt das Reglement doch zu. So spielen im ägyptischen
Regionalwettbewerb die dort gebräuchlichen Perkussionsinstrumente
eine wichtige Rolle, in Griechenland wird als weiteres Zupfinstrument
die Bouzouki angeboten und in Finnland die Kantele. Die Literatur
des Vorspielprogramms orientiert sich ebenfalls an der Musikkultur
des Landes. Da jeder Teilnehmer zumindest ein zeitgenössisches
Stück in seinem Repertoire haben muss, finden in Folge dessen
finnische, spanische und ägyptische Kompositionen Eingang ins
Wertungsprogramm.
Es ist dem Engagement der Musiklehrer der Deutschen Auslandsschulen
zu verdanken, dass “Jugend musiziert“ auch außerhalb
Deutschlands eine bekannte Größe geworden ist. Sie betätigen
sich nicht nur als kreative Musikpädagogen, sie sind findige
Netzwerker, die auch externe Kontakte, beispielsweise zu den deutschen
Botschaften, den Goethe-Instituten, den Industrie- und Handelskammern
und den Repräsentanten der Auslandsniederlassung deutscher
Firmen pflegen. Erst diese umfassende Unterstützung macht die
Regional- und Landeswettbewerbe im Ausland überhaupt zu einem
Festival der Begegnung. Beständig hauchen die Musiklehrer dem
Wettbewerb mit all seinen kulturpolitischen Facetten Leben ein.
Roland Harken, seit 2002 Musiklehrer an der Deutschen Schule in
Athen sieht sich als kulturellen Außenposten seines Landes.
„Das Musikschulwesen ist in Griechenland nicht besonders ausgeprägt,
hier sind es die Schulmusiker, die den Kindern die Musik nahe bringen,
nicht die Musikschullehrer.“ Die Schule, an der Harken unterrichtet,
hat rund 1.000 Schüler aus 16 Nationen, davon sind etwa 40
Prozent deutsche Staatsbürger.
Der Zugang zu europäischer Kunstmusik ist an einigen Auslandsschulen
beschwerlich: Widerstände, kritische Distanziertheit der Eltern,
der Schulleitung, des Gastlandes müssen überwunden werden,
bevor Bach, Schubert oder Bernstein ins Spiel kommen. An der Deutschen
Schule in Lissabon hatte man insofern Glück, als die beiden
konkurrierenden internationalen Privatschulen der Stadt sich bereits
sportlich profilierten. So blieb nichts anderes übrig, als
das Thema Musik zu besetzen. Trotzdem zeichnet Peter Seidelmann,
der örtliche Musiklehrer, ein eher düsteres Bild. Seit
die Schule im Jahr 2004 aber Austragungsort für den Landeswettbewerb
Südwesteuropa war, beginnen sich die Widerstände aufzulösen.
Und die begeisterten Erzählungen derjenigen, die vom Bundeswettbewerb
2005 zurückkehrten, taten ein Übriges.
Die Werbung für “Jugend musiziert“, darin sind
sich die Lehrkräfte der Deutschen Auslandsschulen einig, funktioniert
auf zwei Wegen: da sind einmal die Erlebnisberichte derjenigen,
die am Bundeswettbewerb in Deutschland teilnehmen konnten. Zum anderen
führt der Weg über die Eltern. Durchaus hilfreich ist
da der Hinweis auf die Aneignung deutschen Kulturgutes. Zusammen
mit einem gut organisierten Wettbewerbsablauf repräsentiert
“Jugend musiziert“ Qualitäten „made in Germany“,
deren Vermittlung Teilnehmer-Eltern am Herzen liegt. Karl Kronthaler
ist seit einigen Jahren Musiklehrer an der Deutschen Schule in Alexandria.
In der Mädchenschule der Borromäerinnen, genießt
die europäische Kunstmusik hohes Ansehen. Der Anteil ägyptischer
Schülerinnen liegt hier bei 100%, es ist die deutsche Kultur,
weshalb sie hier zur Schule gehen. Trotzdem hatte Kronthaler mit
Widerständen zu kämpfen. „Die männlichen Familienmitglieder
waren strikt gegen die Teilnahme der Mädchen an “Jugend
musiziert“, es musste zunächst geklärt werden, ob
es im Islam Sünde ist, auf einer Bühne zu stehen.“
Kronthaler sieht sein Engagement sportlich: „Eine Musikschul-Tradition
wie in Deutschland gibt es hier nicht, die musikalische Ausbildung
findet unter dem Dach der allgemein bildenden Schule statt. Dadurch
bin ich viel mehr gefordert. Damit die Mädchen bei der Stange
bleiben, biete ich Ensemblegesang jedes Jahr an, auch wenn diese
Kategorie im Bundeswettbewerb nur alle drei Jahre angeboten wird.
Eine ähnliche Maßnahme zur Bindung der Jugendlichen an
den Wettbewerb führt auch Robert Bär, Musiklehrer an der
Deutschen Schule in Helsinki durch. „Für die Jüngsten
haben wir neben den üblichen, im Turnus ausgeschriebenen Kategorien
eine Sonderwertung eingeführt, die wir jedes Jahr anbieten.
Teilnehmen kann man mit jedem Instrument, als Solist oder in der
Gruppe. Das ist gleichermaßen Nachwuchsförderung und
Motivation.“
Weshalb machen sich die Lehrer die Mühe, im Schulalltag Zeitfenster
für “Jugend musiziert“ zu finden, Eltern zu überzeugen,
Jugendliche zu motivieren, mühsame Bestellwege für Noten
zu beschreiten, gar einen ganzen Wettbewerb zu organisieren? “Jugend
musiziert“, bereichert unser Schulleben“, so Robert
Bär. Der Wettbewerb als Motivationsfaktor. Dafür arbeiten
auch die Kollegen in den anderen Auslandsschulen. Selbst wenn das
bedeuten kann, dass dieser Einsatz im Lehrerkollegium mitunter Stirnrunzeln
hervorruft. Die Einsicht in den Nutzen für die gesamte Schule
ist sehr unterschiedlich ausgeprägt, am weitesten fortgeschritten
offenbar in Helsinki: „Wir bereiten gerade den zehnten Landeswettbewerb
vor, da sind die Kollegen schon viel gelassener und wissen auch,
dass dadurch die Schule belebt wird. Die meisten ihrer eigenen Kinder
sind übrigens selbst Teilnehmer.“
Nachdruck aus Musikforum 2/2005, Schott Music. Mit freundlicher
Genehmigung des Verlages