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nmz-archiv
nmz 2006/02 | Seite 14
55. Jahrgang | Februar
Kulturpolitik
Visionen für ein „Asiatisches Jahrhundert“
Ein Interview mit Frank Kämpfer, Deutschlandfunk, zum Festival
Forum Neuer Musik
Das Forum Neue Musik ist das Podium, bei dem sich der Deutschlandfunk
in seinem Sendesaal in Köln jedes Jahr im März öffentlich
als Förderer und Produzent zeitgenössischen Komponierens
präsentiert. Stellenwert und Wahrnehmung des Festivals sind
im Wachsen. Inhaltlich stand das Forum 2005 unter dem Motto „Identitäten“
und wurde von Iris ter Schiphorst, Sidney Corbett, Ralph van Raat
und der Frankfurter Künstlergruppe „Arbeit“ geprägt.
2006 lautet das Thema „Begegnungen FernMittelOst“: Der
Blick nach Asien sei heute zwingend, sagt Forums-Leiter Frank Kämpfer.
Im Vorfeld sprach Andreas Kolb (nmz) mit dem DLF-Redakteur.
nmz: Warum „FernMittelOst“? Was geschieht
dort an Neuem? Was macht die junge Generation dort anders als die
Älteren?
Frank
Kämpfer. Foto: Gregor
Frank Kämpfer: In mehreren Regionen Asiens
gehen derzeit Veränderungen vor sich, die immense Auswirkungen
auch für uns nach sich ziehen. Ich denke da an Umbrüche
in Mittelasien, wo sich ehemalige Sowjetrepubliken zu Nationalstaaten
formen und wo im Zusammenhang mit den Kriegen in Afghanistan und
Irak regional neue Kräfteverhältnisse entstehen. Ich
denke an die Reorganisation der südostasiatischen Tiger-Staaten,
und ich denke vor allem an den Aufstieg Indiens und Chinas zu
Weltmächten von morgen. Das sind zunächst politisch-wirtschaftliche
Aspekte. Aber die jungen Menschen von dort, die heute in europäischen
Hochschulen beispielsweise Gesang, Geige oder Komposition studieren,
die sich auch in deutschen Theatern und Orchestern bewerben, sind
von diesen Vorgängen geprägt. Das sind keine politischen
Asylanten mehr wie vor Jahrzehnten, die Unterschlupf suchen. Sondern
Menschen mit enormer Leistungsbereitschaft und nicht zuletzt Konkurrenz.
Ich frage mich, ob es unter denen schon jetzt welche gibt, für
die Europa zwar eine schöne Erfahrung, aber nicht mehr das
Nonplusultra darstellt. Wo es ein interessantes Angebot beispielsweise
an erlernbaren Stilen und Techniken gibt, das aber nur noch eines
unter mehreren ist, das man wahrnehmen muss. Mich würden
Leute interessieren, die nicht mehr ein ganzen Leben brauchen,
um sich mühsam ihrer kulturellen Wurzeln zu vergewissern,
und die vielleicht bald zu leisten vermögen, was wir ständig
beschwören: Brückenschläge zwischen den Kulturen,
ohne dass eine die andere wie bisher zu dominieren versucht.
nmz: Bekommen wir nach dem Export westlicher Kultur
nach Südostasien seit Mitte des 19. Jahrhunderts jetzt 150
Jahre später einen kulturellen Reimport? Können wir diesen
anders wahrnehmen als nur als reizvollen Exotismus? Welche Wertkriterien
für (Neue) Musik aus FernMittelOst haben Sie?
Kämpfer: Kein Europäer findet heute
ein Yamaha-Clavinova oder einen DVD-Brenner von Sony exotisch.
Es sind Massenartikel und sie haben unsere musikalische Wahrnehmung
bereits sehr stark verändert. Nicht unbedingt im Sinne zum
Beispiel von Helmut Lachenmann, dessen Haltung und Musik vergleichsweise
romantisch erscheint angesichts der unbegrenzten Möglichkeiten,
heute überall und jederzeit Klänge zu konsumieren und
zu produzieren. Ich weiß, Ihre Frage zielt auf Tonsysteme,
Instrumente und Spieltechniken, die in Indien und China und anderswo
seit Jahrtausenden gepflegt werden und wozu uns Europäern
die Spezialkenntnis fehlt. Der Punkt ist aber nicht, wie Sie oder
ich Experten dafür werden. Es geht um etwas ganz anderes.
Die Fusion von Tradition und Technologie hat außer in Japan
und Südkorea noch nicht stattgefunden in Asien, aber das
ist nur eine Frage der Zeit. Und das Resultat werden keine ästhetischen
Spitzfindigkeiten sein, die einen Boulez oder einen Stockhausen
erblassen lassen – sondern weitaus Entscheidenderes: nämlich
Veränderungen des ganzen Komponier- und Musikmarkts, Umwälzungen
vielleicht des ganzen Funktionsgefüges von Musik schlechthin.
nmz: Welche Impulse erhoffen Sie sich, wenn Sie
jetzt unbekannte Komponisten aus Malaysia und Indonesien, aus China
und der Mongolei vorstellen? Welche neuen Wege will Ihr Forum 2006
aufzeigen?
Kämpfer: Mein Mitarbeiter Michael Arntz
und ich haben mit dem Blick nach vorn programmiert. Das Entscheidende
ist für uns die Vision der Begegnung, das Kommunizieren und
insbesondere das Moment des Wechselseitigen. Dies ist in diesem
Jahr gleich mehreren Programmen und Werkaufträgen zu Grunde
gelegt. Zum Beispiel im Duo Blockflöte/Koto, für das
Misato Mochizuki und Annette Schlünz im DLF-Auftrag komponierten.
Sowohl die Spieler als auch die Komponistinnen mussten sich dabei
mit etwas kulturell Anderem auseinandersetzen, ohne das Eigene
zu verleugnen. Auch im Konzert des Ensemble Intégrales
verkreuzt sich mehrererlei: die Erfahrungen von Reisen des Ensembles
durch die Mongolei und den Iran und andererseits wieder der Auftrag
an Komponisten von dort, für ein westliches Ensemble zu schreiben.
Was das ergibt, werden wir hören. Ich erwarte mir höchst
interessante und individuelle neue Stücke – vor allem
aber die Erstbegegnung mit jungen Künstlern, die uns auf
gleicher Augenhöhe entgegentreten. Und die vielleicht in
nicht ferner Zeit die heute noch nicht existierenden neuen Veranstaltungsformen
in Delhi und Peking, Seoul und Jakarta bestimmen.
nmz: Zuletzt kurz noch ein Wort zum konkreten
Angebot und zur Dramaturgie des Forums. Wer spielt was und wann?
Kämpfer: Es ist ein sehr dichtes und exklusives
Programm mit vielen in Deutschland kaum bekannten Namen, mit einem
großen Anteil von Komponistinnen, mit vielen Ur- und Erstaufführungen.
Das wurde möglich durch eine gewachsene Zahl von Partnern
– zum Beispiel der Kunststiftung NRW, der Siemens Musikstiftung,
der Japan Foundation und Gaudeamus in Amsterdam.
Der erste Abend gilt Klarenz Barlow, in dessen Biografie und
Werk sich bekanntlich ja auch mehrere Kulturen überschneiden
und dessen 60. Geburtstag wir gemeinsam mit der Stadt Köln
nachholend feiern – mit einem verrückten und etwas
aufwendigen Konzert mit vier gleichartig umzustimmenden Flügeln.
Das Abschlusskonzert bietet javanisches Gamelan, gespielt von
Niederländern und mit Werken von Komponisten aus Indonesien.
Neben der Exotik streift dieses Projekt auch koloniale Geschichte.
Der mittlere Veranstaltungstag ist für das Publikum als mehrstündige,
durchgehende Klangreise von Mittelasien nach Fernost angelegt
und bietet in mehreren Abschnitten Elektroakustisches, Performance,
europäische wie asiatische Klänge und Instrumente.