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nmz-archiv
nmz 2006/02 | Seite 7
55. Jahrgang | Februar
Magazin
Plastizität, Energie, technische Perfektion
Verlässt das Arditti Quartet: Cello-Autorität Rohan
de Saram
Stuttgarts Musikpublikum kam die Auszeichnung zu, seinem „Hauskomponisten“
Helmut Lachenmann die Konzerte zum Siebzigsten auszurichten. Gefeiert
wurde der Komponist schon das ganze Jahr 2005 an vielen Orten des
europäischen Musiklebens, aber das präzise Geburtsdatum,
der 27. November, war für die Heimatstadt reserviert. Unter
den mitwirkenden Gratulanten befand sich auch das Arditti Quartet.
Als die Musiker um Irvine Arditti das dritte Streichquartett Lachenmanns
beendet hatten, erhob sich im Theaterhaus so etwas wie ein Jubelsturm
für die Spieler und für den Komponisten. Nur einer stand
ruhig, scheinbar in sich gekehrt auf dem Podium: Rohan de Saram,
der Cellist des Quartetts, der mit diesem Auftritt sein letztes
Konzert mit den Ardittis absolvierte. Über ein Vierteljahrhundert
gehörte der 1939 in Sheffield als Sohn einer Familie aus Sri
Lanka geborene Rohan de Saram dem Arditti Quartet an. Nur Gründervater
Irvine ist noch fünf Jahre länger bei der 1974 gebildeten
Quartettvereinigung. Alle Werke aufzuzählen, die im Laufe der
drei Jahrzehnte seither von den Ardittis, also auch von Rohan de
Saram, ur- und erstaufgeführt worden sind, würde eine
unendlich lange Leporelloliste füllen. „Es gibt kein
Streichquartett, das den Ardittis das Wasser reichen kann“
– das sagte einmal kein Geringerer als John Cage. Das Arditti
Quartet war lange Zeit hindurch die oberste Instanz in der Avantgardemusik;
heute gibt es freilich noch einige andere Instanzen dieser Qualität,
zum Glück für die Neue Musik. Rohan de Saram wirkte all
die Jahre neben dem sanguinisch determinierten Irvine Arditti und
wechselnden Nebensitzern als ruhige Autorität.
Foto:
Charlotte Oswald
Noch im leisesten Piano vernahm man im instrumentalen Vierergespräch
seinen intensiven Ton. Sein Musiziergestus zeichnet eine fast unglaubliche
Plastizität aus, technische Perfektion ist selbstverständlich.
Wichtig ist auch die Energie, die von jedem gespielten Ton in das
Klangbild eines Werkes abstrahlt. György Kurtág, der
sehr genau zwischen Energie und Kraftentfaltung unterscheidet, führte
einmal ei-ne fast filmreife Nummer mit Rohan de Saram auf: Bei den
Proben zu einem Zweieinhalb-Minuten-Stück für Streichquartett,
geschrieben von Kurtág für den Verleger Alfred Schlee
zu dessen neunzigstem Geburtstag, beschäftigten sich Komponist
und Cellist fast ein halbe Stunde lang mit einem einzigen Pizzicato-Ton,
bis dieser hinreichend „Energie“ besaß. Dieses
Eingehen auf den Sinn eines Werkes, eines jeden einzelnen Tons,
war stets das Kennzeichen für die Qualität des Arditti
Quartets, damit auch für Rohan de Saram gewesen.
Er wird sich jetzt aber nicht zur Ruhe setzen. Rohan de Saram
will mit anderen Künstlern, Freunden und Komponisten Musik
aus allen Epochen und vielen Teilen der Welt zusammenbringen: zeitgenössische,
kom-ponierte, improvisierte Musik. Schon immer hat er sich neben
dem Quartettspiel für Grenzerweiterungen engagiert. Das Neuland
ist also kein gar so neues mehr – aber spannend dürfte
es werden.