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nmz-archiv
nmz 2006/02 | Seite 8-9
55. Jahrgang | Februar
Magazin
Die Erinnerungen des Adriano Celentano
Italien, Ende 2005: Triumph der politischen Redekunst in Celentanos
Fernsehshow „Rockpolitik“ · Von Daniele Martino
Am 20. Oktober 2005 hatte Adriano Celentanos Sendung „Rockpolitik“
ihre TV-Premiere auf RAI 1. Die kulturpolitischen Beben, die der
Starkomiker und Rockmusiker damit auslöste, waren noch auf
der Nordseite der Alpen messbar. Im Mai dieses Jahres sind Neuwahlen
in Italien. Es geht um nichts Geringeres als die Ab- oder Neuwahl
des Regierungschefs und Medienmoguls Silvio Berlusconi. Die neue
musikzeitung bat Daniele Martino, Vize des italienischen Giornale
della musica, um eine Einschätzung der Lage. Hier sein Bericht.
Adriano
Celentano (re.) mit Gitarrenlegende Carlos Santana. Foto:
Gruppo Mediante
Adriano Celentano ist 1938 in Mailand geboren. Seine Eltern stammen
aus Apulien, und so ist er einer der vielen Süditaliener, die
in den 60er-Jahren im industriellen Norden Italiens aufgewachsen
sind. Das heißt, ein Italiener, der in sich die calvinistische
auf Leistung orientierte Kultur Nordeuropas mit den entspannten
warmherzigen Traditionen des mediterranen Raumes vereint. Dieser
Aspekt ist immer sehr wichtig gewesen in seiner „musikalischen
Literatur“ und vor allem auch in seiner populistischen Ideologie
– Celentano ist ein Vertreter des Mannes von der Straße.
Er ist einerseits Umweltschützer und andererseits einer, der
auf alles pfeift, und der sich nicht unterordnet – und diejenigen,
die seine Platten kaufen und die seine Shows im Fernsehen anschauen,
teilen mit ihm diese Ideologie.
Wie der größte Teil der Italiener mag Celentano keine
Politik. Er hat sie nie geliebt. Celentano verkörpert die typische
skeptische Distanz und Vorsicht des Süditalieners gegenüber
dem italienischen Staat: Man gehorcht zwar, aber man verachtet!
Wie alle Populisten hält sich Celentano nicht an die Regeln,
sondern hebt stattdessen die Medienapparate aus dem Sattel. Dabei
steht ihm von jeher die beste Sendezeit des ersten Programms des
öffentlich-rechtlichen Senders, kurz RAI 1, zur Verfügung,
auf der er alle drei bis vier Jahre mit pöbelhaften Fernsehshows
wie zum Beispiel Fatastico 8 aus den Jahren 1987 bis 1988 oder aber
mit seiner neuesten vierteiligen Show Rockpolitik von 2005 für
Furore sorgt.
Celentano hat vom Anfang seiner Fernsehkarriere an die „Verfügungsgewalt
und volle Autonomie über die technisch-künstlerische Auswahl
und über die Inhalte seiner Shows“ gefordert, dann erhalten
und sie schließlich in seinem letzten Vertrag mit der RAI
durchgesetzt. Celentano, Demagoge über das Fernsehvolk, erhält
so ein potentiell grenzenloses Forum, und dies zur besten Sendezeit
des Flaggschiffsenders RAI 1. An dieses Forum wendet er sich mit
endlosen Monologen, die jeglichen Zeitrahmen und jegliche kommerzielle
Verwertbarkeit nach amerikanischem Maß missachten und verhöhnen.
Und während Celentano sich in der letzten Ausgabe von Rockpolitik
als Verfechter der Dichotomie zwischen „Rock“ (dem Guten,
dem Positiven, dem Offenherzigen) und „Lento“ (dem Bösen,
dem Schlechten, und dem Falschen) präsentiert, betreibt er
stattdessen in der Regie seiner eigenen Shows eine unerbittliche,
unerträgliche und fast pseudo-mystische Langsamkeit, die leer
ist von Ereignissen und Tönen und Worten. Diese Langsamkeit
ruft bei den Fernsehzuschauern, gewöhnt an die konstante, zerstreuende
Geräuschkulisse des allabendlichen Fernsehens, eine lächerliche
messianische Erwartung auf eine Art enthüllende Bergpredigt
des „Volkschristus“ Celentano hervor.
Welche Reden aber schwingt Adriano Celentano, italienischer Rocker
der 60er-Jahre, der im Verlauf seiner Karriere mehr als 70 Millionen
Platten verkauft hat, Interpret von Liedern mit zum Teil widersprüchlichem
„politischen Inhalt“, wie zum Beispiel dem Schlager
„Il ragazzo della via Gluck“, in dem er gegen die Zubetonierung
der Städte ansang, oder dem Lied „Chi non lavora non
fa l’amore“, in dem er sich gegen die Arbeiterstreiks
in den 1968ern aussprach?
Celentano hält Reden, geschrieben von einer Schar von Autoren,
die für ihn arbeiten, darunter zum Beispiel Vincenzo Cerami,
Benignis Lieblingsdrehbuchschreiber.
Benigni selbst hat in der zweiten Folge von Rockpolitik eine seiner
denkwürdigen, marktschreierischen, genialen, persönlichen
Shows gegeben mit der Darbietung einer karnevalesken, volkstümlichen,
toskanischen, beißenden und verwüstenden Satire auf den
italienischen Premierminister Silvio Berlusconi.
Oder aber Diego Cugia, Autor eindringlicher Hörspiele für
Radio RAI, und Carlo Freccero, einst talentierter Leiter des jugendlich-berlusconischen
Kanals Italia 1 (für den er sich innovative und brillante Programminhalte
ausgedacht hatte) und dann Leiter der etwas verstaubteren RAI 2.
(Es scheint, dass Celentano für jede der vier Sendungen, die
zwischen Oktober und November 2005 ausgestrahlt wurden, 1.400.000
Euro Gage bekommen hat).
Celentano findet im vierten der fünf Jahre der Regierung
Berlusconis (in Italien sind im Mai Parlaments- und Regierungswahlen)
den Raum, das zu sagen, was er will, in einem Moment also, in dem
die Männer der Mitte-Links-Opposition, und im Besonderen die
Katholiken des Zentrums, sich nicht mehr um die Spielchen des Chefs
der Mitte-Rechts-Koalition, Berlusconi, scheren und innerhalb der
RAI den Kopf heben.
(Schon immer wird die RAI von den Anhängern der Parteien der
jeweili- gen Regierung aufgeteilt und kolonialisiert; von der Nachkriegszeit
bis in die 90er-Jahre setzte sie sich aus zwei Dritteln Christdemokraten
und einem Drittel Kommunisten zusammen, dann wurde sie in Besitz
genommen von zwei Drittel Berlusconianern, die von der Mediaset,
Berlusconis Medienanstalt, her kamen. Diese haben das Qualitätsniveau,
das die prä-berlusconische RAI trotz allem in vielen ihrer
Programme aufwies, herabgesetzt, vulgarisiert und verwüstet.
Verteidigt wird dieses Niveau lediglich von dem restlichen Drittel
der christdemokratischen Minderheit.)
Seit letztem Sommer hat die RAI einen neuen christdemokratischen
Generaldirektor, Ausdruck eines veränderten Klimas, in dem
die zersplitterten Christdemokraten nach und nach Macht zurückerobern.
Es handelt sich dabei um Alfredo Meocci, der während der ersten
Sendung von Rockpolitik in der ersten Reihe saß und der, von
Celentano direkt angesprochen, perfekt christdemokratisch, mit sibyllinischen
und listigen Worten geantwortet hat, ohne dabei etwas zu sagen:
„Wir denken nach. Die Worte sind langsam und das Schweigen
ist Rock. Morgen ist ein anderer Tag.“
Der von der Mitte-Rechts-Koalition nominierte Direktor der RAI
1 hingegen reagierte angesichts der ersten Sendung von Rockpolitik,
verstört und verängstigt und betrachtete sich in dem Moment,
in dem ihm mitgeteilt wurde, dass Celentano von der übergeordneten
Generaldirektion grünes Licht bekommen hat, das zu sagen, was
er will, als „selbst-suspendiert“.
In seinen vier Shows hat Celentano „ehemalige“ Fernsehstars
der RAI eingeladen, die Silvio Berlusconi in dem Moment, als er
Premierminister geworden war, vorsätzlich abgesägt hatte:
darunter Enzo Biagi, Vertreter eines „angelsächsisch“
geprägten italienischen Journalismus, Michele Santoro, Journalist
aus dem kommunistischen Lager, Daniele Luttazzi, satirischer und
unerbittlicher Komiker, Sabina Guzzanti, unwiderstehliche linksradikale
Komikerin und Satirikerin, Beppe Grillo, Kabarettist und kämpferischer
Umweltschützer: Diese Einladung, für zehn Minuten durch
die Hintertür wieder in die RAI zurückzukehren, wurde
aber nur von Michele Santoro und Sabina Guzzanti angenommen.
In „politischen Tiraden“ hob Celentano hervor, dass
Italien in einer internationalen Studie im Hinblick auf Meinungsfreiheit
weltweit auf den 77. Platz eingestuft wird. Wie schon in seinen
früheren Sendungen „Francamente me ne infischio (Offen
gesagt, ich pfeife darauf)“ (1999) und „125 milioni
di cazzate (125 Millionen Dummheiten)“ (2001), verurteilte
er die Kriege in der Welt, indem er Bilder von Gewalt und Leid zeigte;
er sprach von dem Massaker, das von den Chinesen unbestraft von
1950 an bis heute am tibetanischen Volk verübt wird, von den
Gemetzeln in Afrika, von der neuen Macht der Banken (mit inbegriffen
dabei die Nationale Bank der Arbeit, die unter der Leitung der kommunistischen
Versicherungsgesellschaft Unipol steht), von den Immobilienhaien,
„Bestien, die nicht stinken, aber da, wo sie langgehen, wächst
kein Gras mehr“ – von den Bürgermeistern, (wie
zum Beispiel der Mailänder Bürgermeister, Gabriele Albertini,
ein Berluscianer), die „die Städte mit Hochhäusern
füllen wollen und die die Kunst und das Schöne hassen“.
Und das alles vor 15 Millionen Italienern, so Auditel, die statistische
Gesellschaft, die die Anteile in Italien für den Werbemarkt
und für das nationale Fernsehen ermittelt: Die Quoten von Rockpolitik
oszillieren zwischen 47,19 und 68,00 Prozent (damit wir uns verstehen,
das Festival von San Remo 2005 hatte nicht mehr als 58,92 Prozent).
Der Prophet der Pressefreiheit sprach zu seinem Fernsehvolk: „Ihr,
die ihr zuschaut, seid keine Dummköpfe, und wenn die Freiheit
Angst macht, dann deswegen, weil jjemand denkt, ihr seid Dummköpfe.
Und das ist eine Gefahr, weil man Dummköpfen die Wahrheit nicht
sagen braucht, sondern man muss ihnen sagen, dass es keine Gefahr
gibt, weil sonst weniger verkauft wird und die Aktien fallen. Und
was zählt, das sind die Aktien. Der, der am meisten Aktien
hat, der gewinnt, gewinnt das Spiel der Aktien.“
So hat Celentano, in Mantel und mit Sonnenbrille, in Cowboystiefeln
und im Hawaiihemd, den König schachmatt gesetzt: Berlusconi,
der König der Aktien, der sich seinen politischen Erfolg mit
dem Geld aus seinem Presse- und Fernsehimperium erkauft hat, hat
so von einem 67-jährigen Sänger sechs Monate vor den Wahlen
eine Ohrfeige vor 15 Millionen Zuschauern erhalten. (Im Grunde genommen
lässt sich Celentano politisch weder rechts noch links verorten.
In jedem Falle aber ist er Katholik. So ist es ihm in einer Sendung
sogar gelungen, dem reaktionären Papst Ratzinger zu bescheinigen,
dass er „Rock“ ist, weil er die Möglichkeit eingeräumt
hat, dass geschiedene Katholiken wieder das Abendmahl empfangen
dürfen!)
Für Berlusconi handelte es sich bei Celentanos Polemiken
natürlich um die soundsovielte „Verschwörung der
Kommunisten, die die italienischen Medien kontrollieren“ (so
sein immer wiederkehrender und äußerst humorvoller Witz),
aber für die 51 Prozent der Italiener, die ihn vor fünf
Jahren gewählt haben, hat vielleicht Celentano etwas ausgesprochen,
das sie bisher noch nie gehört haben, weil es eben aus „kommunistischem
Mund“ kommt. Neben all diesem war Rockpolitik natürlich
auch eine Musikfernsehshow mit viel Musik. Celso Valli dirigierte
eine Liveband, die sehr gute Coversongs berühmter Stücke
aus der Geschichte der Populärmusik spielte (unter den Gästen
waren solche Legenden wie Carlos Santana und Ex-Eurythmic Anni Lennox).
Der „kommunistische Komiker“ Maurizio Crozza, in allen
vier Sendungen der einzige feste Partner Celentanos, führte
unterhaltsame, sehr intelligente Remakes von Musikstandards auf,
in denen er die Texte in unsagbar witzige politische Satire transformiert
hatte. (Hier wurde das ganze Spektrum von der Mitte-links-Partei
bis links, und von der Mitte-rechts-Partei bis rechts durch den
Kakao gezogen).
Crozza imitierte etwa die Gipsy Kings („bandoleo“),
die er nach einem starken energischen Zapatero für Italien
um Hilfe rufen ließ, anstelle des schlaffen Oppositionsführers
Prodi. (Prodi wird wegen seiner Schwäche im Volksmund auch
„Mortadella“ genannt). Er spielte den „Buena Vista
Social Club“, der den „Kumpel Celentano“ einlädt
in einem diktatorischen kommunistischen Cuba zu singen, und er imitierte
den berstende Tom Jones, der eine „Sex Bomb“ macht,
die zu einer „Lex Bomb“ wird. Alles in allem wirklich
sehr unterhaltsam.
Und damit auch dich, deutsches Volk, die weisen Worte des schlauen
Volkspropheten des italienischen Fernsehens erreichen, seien hier
einige seiner Sätze zitiert: „Den Schrei der Peripherie
verstehen heißt Rock. Die Hoffnung heißt Rock. Dass,
was von ganz tief unten hochkommt, heißt Rock!“ Das
ist wohl der Satz, der am meisten Rock war, den Adriano Celentano
in Rockpolitik gesagt hat.
Daniele Martino (Übersetzung: Nicole Andries)
Wenn Sie mehr über Rockpolitik wissen wollen, beuschen Sie
die
Homepage www.rockpolitik.it