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nmz-archiv
nmz 2006/02 | Seite 4-5
55. Jahrgang | Februar
Magazin
Das wohltemperierte und das politische Klavier beherrschen
Theo Geißler im Gespräch mit Prof. Dr. Reinhold Kreile
Zu dessen Abschied als GEMA-Vorstandsvorsitzender führte nmz-Herausgeber
Theo Geißler mit Prof. Dr. Reinhold Kreile ein Gespräch
in seinem Münchner Büro, das nicht nur Berufliches behandelte,
sondern auch Persönliches streifte. Dabei machte er die Entdeckung,
dass das Eine vom Anderen nicht zu trennen ist. Unsere Fotos sind
Standbilder einer Aufzeichnung, die Sie unter http://media.nmz.de/
ansehen können.
Theo Geißler: Reinhold Kreile, einer der
Textdichter, die Sie durch die GEMA ja auch vertreten, schmiedete
den lyrischen Satz: „Abschied ist ein scharfes Schwert.“
Sechzehn Jahre hatten Sie hier in der Münchner Rosenheimer
Straße Ihren Arbeitsplatz. Was empfinden Sie beim Auszug?
Wie ist Ihre Stimmungslage?
Reinhold
Kreile
Reinhold Kreile: Über diese Stimmungslage
schrieb Goethe ein ganzes Gedicht mit dem wunderbaren Titel „Willkommen
und Abschied“. Hier heißt es jetzt nun Abschied und
Willkommen für eine andere, neue Phase eines Lebens, welches
ja ohnehin aus Abschnitten besteht. Aber ungeachtet aller Abschnitte
hatte ich das große Glück, dass mein Leben sich immer
um zwei bis drei, maximal vier wesentliche Bereiche herum verschränkt
hat. Der eine Bereich ist die Musik. Der andere Bereich ist die
Juristerei, die Tätigkeit als Anwalt. Sehr nahe bei dieser
Tätigkeit liegt die Tätigkeit der Politik, nämlich
die Umsetzung dessen, von dem man glaubt, dass es das Richtige
ist.
Schon während meiner Schulzeit spielte ich als Organist
jeden Sonntag einen, teilweise zwei Gottesdienste. Dies hatte
den angenehmen Effekt, dass ich mir mein Jurastudium durch die
musikalische Nebentätigkeit finanzieren konnte. So wurde
für mich relativ früh die essentielle Einsicht klar,
dass das Leben von und mit Musik auch ein wirtschaftliches sein
muss. Die Gesichtspunkte Musik und Wirtschaft haben mich dann
letztendlich zur GEMA geführt. Schon als Rechtsreferendar,
also mit knapp 23 Jahren schrieb ich zum ersten Mal in einer der
GEMA-Zeitschriften einen Aufsatz über die Entwicklung des
Urheberrechts, insbesondere im Hinblick auf das internationale
Urheberrecht. Diese Verbindung mit der GEMA ist seitdem immer
aktuell geblieben, so dass es nahezu ein logischer Weg gewesen
ist, in der Verbindung von Musik und Rechtswissenschaft die Anwaltstätigkeit
auszuüben, also der Anwalt des Urheberrechts zu sein –
und nichts anderes ist man ja als Vorstandsmitglied und als Vorstandsvorsitzender
der GEMA.
Dieser Berufsweg als Vorstandsvorsitzender der GEMA wird nun
zu Ende gegangen sein. Aber die Beschäftigung mit Musik und
mit dem Recht der Musik und die Verbindung mit den schöpferischen
Musikern wird nicht aufhören.
Geißler: Sie spielen Klavier, Repertoire,
aber auch Entlegenes. Was liegt Ihnen beim Pianoforte besonders
am Herzen?
Kreile: Sozusagen das tägliche Brot ist
nach wie vor das Wohltemperierte Klavier von Bach. Ich würde
übertreiben, wenn ich sagen würde, dass ich dort jede
Fuge spielen könnte. Aber immerhin, einige kann ich und das
Wohltemperierte Klavier ist etwas, was mich mein ganzes Leben
lang begleitet und mich hoffentlich, sofern es meine Finger mitmachen,
noch länger begleiten kann. Dann ist natürlich der Weg
über Beethoven zu Schubert und im Weiteren auch zu Chopin
ein immer wieder von mir gesuchter. Ich freute mich sehr darüber,
dass Wolfgang Rihm mir zu meinem Abschied von der GEMA ein Stück
widmete. Als ich mich dann heute morgen ans Klavier setzte und
versuchte, dieses Werk nachzuempfinden, es zu spielen, und befand,
dass ich dies noch einigermaßen ordentlich kann, da dachte
ich mir, wie schön es doch ist, einen Komponisten als Freund
zu haben, der auch genau begreift, wie beschränkt die Fähigkeiten
des Freundes Reinhold Kreile sind, und ihm trotzdem ein Werk,
das er spielen kann, schreibt und komponiert. Meine Freude über
dieses mir und dem ganzen Vorstand der GEMA gewidmete Stück
war ebenso groß wie die Freude über einen alpenländischen
Ländler, wel-chen mir unser Vorstandsvorsitzender Christian
Bruhn schrieb und in dem ich höre, wie Bruhn es versteht,
Schubert, ein wenig Brahms und moderne Unterhaltungsmusik perfekt
miteinander zu verbinden.
Geißler: Als Sie noch kräftig in die
Tasten des politischen Klavieres griffen, gelang es Ihnen, den Begriff
„Geistiges Eigentum“ in einen Gesetzestext, sogar an
prominenter Stelle, einzubringen.
Kreile: Ja, dies ist mir gelungen. Allerdings,
wie es immer in der Politik ist, gelingt einem so etwas nicht
allein. Hier braucht man Mitstreiter, und der damalige Mitstreiter
Ludwig Stiegler auf Seiten der SPD – ich war ja auf der
Seite der CSU – begriff, dass das Wort „Urheberrecht“
allein noch nicht jenen Impuls bringt, der die Menschen aufmerken
lässt. Kann man es aber mit dem schönen Begriff des
Eigentums und zwar mit dem des geistigen Eigentums verbinden und
wird dieser dann als Rechtsbegriff in einem Gesetz lebendig, dann
ändert sich die Wahrnehmung. So trägt die Urheberrechtsnovelle
von 1985 jenen wunderbaren Untertitel, dass dies ein Gesetz zur
Förderung des geistigen Eigentums ist. Dies ist ein Begriff,
der Bewusstsein schafft.
Geißler: In die 16 Jahre Ihrer Amtszeit
fällt die deutsche Wiedervereinigung. Es gibt – etwas
frei zitiert – den Satz eines ehemaligen deutschen Bundespräsidenten:
„Die Wiedervereinigung ist besonders gut bei der GEMA gelungen.“
Wie schafften Sie es, diese komplizierte Zusammenführung so
lautlos, so konfliktarm – zumindest ist hier nichts nach außen
gedrungen – über die Bühne zu bringen?
Kreile: Dies konnte uns deshalb gelingen, weil
wir von der ersten Stunde der Wiedervereinigung an wussten, dass
die Komponisten, welche in der bisherigen DDR gelebt hatten, bereits
im weiteren Sinne GEMA-Mitglieder waren. Das war der Fall, weil
die GEMA mit der DDR-Verwertungsgesellschaft – denn eine
solche gab es natürlich auch dort – einen Gegenseitigkeitsvertrag
geschlossen hatte und in diesem Gegenseitigkeitsvertrag vertrat
jede Verwertungsgesellschaft auch die Komponisten und Textdichter
der anderen Verwertungsgesellschaft.
Wir stellten sehr darauf ab, dass wir keine nachträgliche
Fusion mit der dortigen Verwertungsgesellschaft, die ja zum staatlichen
Bereich des DDR-Kultusministeriums gehört hatte, eingingen.
Dies wollten und konnten wir nicht. Aber zu jedem einzelnen Mitglied
konnten wir sofort sagen: „Du bist jetzt GEMA-Mitglied,
und die ganze Zeit vorher rechnen wir dir so an, als wenn du GEMA-Mitglied
gewesen wärst.“
Geißler: Eine Wiedervereinigung auf gleicher
Augenhöhe also, eine Wiedervereinigung in einer menschlichen
Parität?
Kreile: Ja, das war das Wesentliche. Gerade
wenn man sich an diese Monate der Wiedervereinigung erinnert,
an eine Zeit, in welcher der Fusionsgedanke, von dem ich eben
sprach, auch im staatlichen Bereich auf einmal auftauchte: Doch
es wurde das paritätische Modell des Beitritts einer Vereinigung
zu einer bereits bestehenden bewährten Vereinigung sowohl
im politischen als auch bei uns im musikalischen Bereich zum sehr
erfolgreichen Modell. Bei der GEMA konnte dieser Vorgang deshalb
so reibungslos funktionieren, weil die westdeutschen Komponisten,
Textdichter und Verleger im Aufsichtsrat der GEMA diese Grundhaltung
sofort einnahmen.
Theo
Geißler
Geißler: In Ihre Amtszeit fiel auch die
technische Revolution des letzten und auch dieses Jahrhunderts schlechthin,
nämlich die Einführung des Internets: ein technisches
Konzept, welches die Ausgangssituation für Urheber wie für
Verleger dramatisch veränderte und auch in Zukunft dramatisch
verändern wird. Sie waren als Chef der Verwertungsgesellschaft
GEMA konfrontiert mit dem immer stärker wachsenden Netz an
Datenautobahnen, ja mehr oder weniger im Zugzwang, auf diese technische
Herausforderung zu reagieren oder ihr überhaupt erst einmal
ein neues Urheberrechtsbewusstsein einzuflößen.
Kreile: In der Tat ist die digitale Revolution
eine Revolution ähnlich nur der Erfindung und Einführung
der Dampfmaschine. Nur: Damit ändert sich das geistige Eigentum
und auch das Urheberrecht nicht! Es ändert sich möglicherweise
etwas in der Handhabung. Wenn ich allerdings dann von sonst durchaus
gescheiten Professoren in Amerika höre, dass nunmehr das
Urheberrecht nicht mehr das Entscheidende sei, sondern dass eine
neue digitale Rechtsordnung alles andere überwölbe,
dann muss ich sagen: Es ist genau umgekehrt. Das Recht des geistigen
Eigentums bleibt bestehen. Es bedarf zunächst einmal eines
schöpferischen Geistes, ein Kunstwerk, ein Musikwerk zu schaffen.
Und dann geht es darum, wie dieses Musikwerk dem Hörer nahe
gebracht wird. Es geht also darum, wie die Musik genutzt oder
gehört wird. Und genau diese Grundarten der Nutzung von Musik
haben sich grundlegend geändert und werden sich auch in Zukunft
noch grundlegend ändern. Aber das Urheberrecht bleibt genau
das Gleiche.
Der Bundesgerichtshof hat dies bisher in jeder Phase, die er
zu beurteilen hatte, sehr schön gesagt: dass jegliche Nutzung
eines Werkes einen neuen Vergütungsanspruch nach sich zieht,
dass also der Urheber an jeder Nutzung angemessen beteiligt sein
muss. Und da ist es zunächst völlig gleichgültig,
ob die Benutzung in den bisherigen Formen geschieht oder ob man
die Transportwege über das Internet gestaltet. Es wird natürlich
in Zukunft sehr schwierig sein, denjenigen zu finden, der die
Musik nutzt und dafür eben auch die urheberrechtliche Vergütung
bezahlen muss. Aber das ist eine Aufgabe, für welche die
Juristen durchaus gewappnet sind.
Geißler: Einen Moment schien es so, als
sei mit dem Aufkommen des Internets eine Art rechtsfreier Raum entstanden.
Die Web-Gründerjahre brachten Firmen zum Blühen und auch
sehr schnell wieder zum Zusammenbrechen. Aber es taten sich schlaue
Köpfe – die vielleicht nicht schlau genug waren –
zusammen und überschritten die Grenzen jeglicher Legalität.
Sie haben versucht, geistiges Eigentum zum Allgemeingut zu machen.
Die Idee der Public Domain kreist da noch immer durchs mentale Gebälk.
Zeichnet sich ab, dass die Urheberrechts-, die Verwertungsgesellschaften,
dass die GEMA jetzt Mittel und Wege gefunden haben, eine faire Abrechnung
der Nutzung durchzusetzen?
Kreile: Es wäre wohl der Optimismus zu
weit getrieben, wollte man sagen, dass die Möglichkeit und
die Leichtigkeit, sich im digitalen Bereich gesetzwidrig zu verhalten,
völlig aufgehoben und jedes Umgehen des Gesetzes verhindert
werden kann. Dies wird nicht der Fall sein. Wer mit der digitalen
Technik betrügen will, der wird Mittel und Wege finden. Aber
es beginnt jetzt die Einsicht, dass dieses tatsächlich nahe
am Diebstahl ist – wobei ich sage: Es ist Diebstahl! Denn
der Schöpfer von Musik ist ja , um den biblischen Ausdruck
zu verwenden, ein Arbeiter, der im Weinberg des Herrn seinen Lohn
verdient. Und um diesen Lohn wird er hier gebracht. Dies in der
Rechtsordnung immer wieder deutlich zu machen, ist eine der wesentlichen
Aufgaben der Verwertungsgesellschaften, und der kommen sie ganz
nachhaltig nach, nicht nur in Deutschland, sondern in aller Welt.
Wert des geistigen Eigentums
Geißler: Der Wert des geistigen Eigentums
– und das ist ein Verdienst Ihrer Arbeit – stieg im
Verhältnis zur Immobilie drastisch. Es ist in den letzten zehn,
fünfzehn Jahren ein Bewusstsein dafür entstanden, dass
die Kreation ein Wert ist. Es ist ja bezeichnend, dass zur gleichen
Zeit, als die Tauschbörsen hochkochten, als Datenaustausch
und Filesharing aufkamen, die Absätze der konventionellen Majors
der Plattenfirmen einbrachen. Die IFPI versuchte im Zuge dessen
ganz drastisch, die Entlohnung der Kreativen via GEMA zu drücken.
Da begannen Sie einen Kampf – denn wenn man einen Wert erhalten
will, muss man augenscheinlich kämpfen –, den Sie letztendlich
gewannen.
Kreile: Dieser Kampf wurde in der Tat zu einem
sehr positiven, möchte sagen, siegreichen Ende gebracht.
Die Tonträgerindustrie dachte im Jahr 2000 auf einmal, eines
der Grundprinzipien der urheberrechtlichen Vergütung in Frage
stellen zu müssen, nämlich das Prinzip, dass der Urheber
prozentual zu beteiligen ist. Im Urheberrechtsgesetz steht hierzu,
dass der Urheber „angemessen“ an den Vergütungen,
welche mit seinem Werk erzielt werden, zu beteiligen ist. Diese
Beteiligung sollte nach dem Vorhaben der Tonträgerindustrie
von neun auf etwa fünf Prozent gedrückt werden. Zunächst
einmal, zumindest bis zu dem siegreichen Ende, hat die Industrie
eben nicht begriffen, dass die Form der prozentualen Beteiligung
sowohl ein Aufsteigen wie ja auch einen Niedergang des Marktes
berücksichtigt.
Über diese Frage führten wir zwei grundsätzliche
Verfahren, zum einen beim Oberlandesgericht München, zum
anderen bei der Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt.
Dort gaben uns die gerichtlichen Spruchkörper völlig
Recht, dass diese prozentuale Beteiligung die richti-ge Beteiligung
ist. Dabei nahm die Schiedsstelle beim Deutschen Patentamt besonders
nachdrücklich dazu Stellung, was die Angemessenheit einer
Beteiligung ist. Und laut einer solchen Angemessenheitsregelung
beträgt die Beteiligung etwas mehr als neun Prozent vom Herstellerabgabepreis.
Das war eine sehr ernsthafte Auseinandersetzung zwischen der
Verwertungsgesellschaft GEMA und der Tonträgerindustrie,
und dies gerade deshalb, weil es um die philosophische Grundsatzfrage
ging, was unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit angemessen
ist und wie man diese Angemessenheit bemisst. Ich habe den Eindruck,
dass nunmehr ein Frieden eingekehrt ist, ein Frieden durch eine
Rechtsstreitentscheidung. Ich hoffe, zusammen mit meinen Nachfolgern,
aber auch mit den Verantwortlichen und deren Nachfolgern bei der
IFPI, dass der Frieden auf einer solchen Basis lange erhalten
bleibt.
Internationaler Verbund
Theo
Geißler und Reinhold Kreile
Geißler: Sie waren auch acht Jahre lang
Präsident der CISAC. Die CISAC ist der große internationale
Verbund der Verwertungsgesellschaften, innerhalb dessen es an verschiedenen
Stellen unterschiedliche Fliehkräfte gab und gibt. Und es ist
mit Sicherheit auch Ihr Verdienst, dass dieser Verbund noch existiert.
Die Gefährdung der CISAC wird unter verschiedenen Aspekten
jedoch immer größer. Auf der einen Seite haben wir mit
GATS einen sehr starken Trend zur kompletten Durchkommerzialisierung
all solcher Unternehmungen. Und auch in der EU gibt es die Bestrebung,
den Wettbewerb zu stärken. Die gute Partnerschaft, die mit
der SACEM und mit anderen Verwertungsgesellschaften besteht, wird
möglicherweise in ein Konkurrenzverhältnis zwangsverordnet.
So etwas steht doch als Menetekel an der Wand?
Kreile: Ja, aber einem Menetekel, das an der
Wand steht und welches man rechtzeitig liest, dem kann man auch
rechtzeitig beikommen. Und es ist die Aufgabe der Verwertungsgesellschaften
in den nächsten fünf Jahren, diese menetekelhaften Hinweise
so zu gestalten, dass es keine Entwicklung zu Lasten der Urheber
sein wird.
Kürzlich traf ich in einer Diskussion mit den zuständigen
Beamten der EU-Kommission zusammen, die durchaus durchdrungen
sind von dem Vorhaben, die Prinzipien des freien ungehinderten
Wettbewerbs des römischen EU-Vertrags auf allen Gebieten
umzusetzen, auch auf dem weiten Feld der Kultur. Dies ist der
Hintergrund der Forderung, dass man die Monopolstellung der Verwertungsgesellschaften
brechen und den Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften
ankurbeln müsse.
Doch zu einem „Ankurbeln“ brauchen die Verwertungsgesellschaften
nicht die EG-Kommission – dies tun sie kontinuierlich für
ihre Komponisten und Autoren ganz selbstständig. Diese EG-Hilfe
braucht die GEMA nicht. Doch füge ich in Gesprächen
in Brüssel dann nachdrücklich hinzu: Wenn dies, was
sich die Beamten der Kommission vorstellen, wirklich geschieht,
dann führt dies zu einer Stärkung der GEMA und zu einer
Schwächung sehr vieler anderer kleinerer Verwertungsgesellschaften.
Aber die Verwertungsgesellschaften in den kleineren Ländern
sind ebenfalls notwendig, sie sind für den kulturellen Humus,
in welchem Komponisten leben müssen, damit sie ihr Werk schaffen
können, von größter Bedeutung. Dieses Argument
hat den zuständigen Beamten, wie ich meine und wie ich sogar
inständig hoffe, ein wenig nachdenklich gemacht.
Es kann ja nicht die Aufgabe der EU sein, die GEMA – ohnehin
die größte Verwertungsgesellschaft in Europa –
noch größer und noch stärker zu machen. Dies hat
nur dann einen Sinn, wenn der einzelne Autor damit eine größere,
zutreffendere Vergütung bekommt. Wenn aber die Verwertungsgesellschaften,
um sich im Wettbewerb zu behaupten, niedrigere Tarife ansetzen
– denn dies muss ein Wettbewerbspunkt sein – und eine
Gesellschaft sagt dann: „Der Preis entscheidet“ –
dann wird am Markt derjenige gewinnen, der den niedrigsten Preis
macht. Dieses wollen wir nicht. Und dafür werden wir in den
nächsten Jahren nachdrücklich kämpfen.
Aber Verwertungsgesellschaften sind lebendige Organisationen.
Man wird künftig auch andere Gesichtspunkte berücksichtigen
müssen. Wenn uns entgegengehalten wird, es sei im Online-Bereich
ein unerträglicher Zustand, dass ein Provider, der Musik
online verschickt, bei 25 Verwertungsgesellschaften, nämlich
für das jeweils einzelne Land, die Lizenz einholen muss,
kann ich dazu nur sagen: Das ist eine Verdrehung der Realität.
Die Lizenzen müssen zwar für 25 europäische Länder
eingeholt werden, aber die Verwertungsgesellschaften verständigen
sich ohnehin, dass dies gemeinsam erfolgen kann. Wir müssen
daher darauf Wert legen, dass in den 25 verschiedenen Staaten,
wo unterschiedliche wirtschaftliche und rechtliche Verhältnisse
herrschen, die Vergütungen zu den jeweiligen dort gültigen
Tarifen eingeholt werden. Dieses können die Verwertungsgesellschaften
hervorragend untereinander selbst organisieren. Dazu brauchen
sie die Hilfe – andere sagen die Drohung, ich spreche trotzdem
von Hilfe – der EG-Kommission nicht.
Geißler: Dies bringt mich auf den Unterschied
zwischen dem europäischen und dem amerikanischen Urheberrechtsverständnis.
Man kann feststellen, dass im Rahmen des Zusammenwachsens vieler
Konzerne amerikanische Verfahrensweisen immer stärker nach
Deutschland greifen. Eine ganze Reihe von privaten Fernsehsendern,
zunehmend aber auch die Töchter unserer als Horte der Kultur
gepriesenen öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunkanstalten
befleißigen sich inzwischen dessen, was man Zwangsinverlagnahme
nennen könnte. Sie lassen für ihre Serien nur noch nach
dem kompletten Rechte-Buy-out-System komponieren. Dies sind Taktiken,
die dazu dienen könnten, die gewachsene Struktur unserer Vergütung
der geistigen Leistung auszuhöhlen. Sehen Sie das als eine
Bedrohung?
Kreile: Es gibt eine ganze Reihe unserer Komponisten,
die vor die Situation gestellt werden, dass sie einen Fernsehauftrag,
den ein Verlag vermit telt, nur dann bekommen, wenn sie diesem
Verlag die Rechte übertragen. Wenn diese Verlage von den
Fernsehgesellschaften unabhängig sind, so ist dies ein Vorgang,
der jetzt schon seit langer Zeit durchaus üblich ist. Denn
man gibt auf freiwilliger Verhandlungsbasis einem Verlag, der
einen ins Gespräch bringt, dann auch die Verlagsrechte. Wenn
dies allerdings zu einer so genannten Zwangsinverlagnahme führt,
ist das sicherlich ein Thema, mit welchem sich das Kartellamt
einmal wird beschäftigen müssen, nämlich mit der
Frage, ob solche Koppelungsgeschäfte den Grundsätzen
eines fairen Wettbewerbs entsprechen. Da gibt es sehr starke Bedenken.
Geißler: Unserer Gesellschaft wird von
ihren Intellektuellen, von manchen zumindest, immer wieder vorgeworfen,
sie befände sich im Zustand einer zunehmenden kulturellen Trivialisierung.
Nun hat die GEMA als eine der wenigen Urheberrechtsgesellschaften,
die sich überhaupt darum kümmern, einen eigenen Kulturfonds.
Wie wichtig ist der Blick auf das Mitgestalten im kulturellen Bereich
für die GEMA?
Kreile: Die Verwertungsgesellschaften untereinander
haben im CISAC-Gegenseitigkeitsvertrag die Vereinbarung getroffen,
dass sie von ihren Einnahmen in den Aufführungs- und Sendebereichen
einen bestimmten Betrag abziehen und diesen Betrag für soziale
und kulturelle Zwecke verwenden können. Dies ist in Deutschland
so, es ist in Frankreich so wie auch in fast jedem anderen europäischen
Land – wie so oft, ist es in England ein bisschen anders,
aber die Zielrichtung ist ähnlich. Wir, die GEMA, haben zur
Stützung der sozialen und kulturellen Zwecke der Musik ein
sehr ausgeklügeltes System, das so genannte Wertungs- und
Schätzungsverfahren, und wir haben die Sozialkasse der GEMA.
Geißler: Wo sehen Sie Ihre Aufgaben in
diesem kulturellen Bereich? Bedeutet es auch, dass man den Boden
mitdüngt oder behutsam mitpflegt, auf dem ein Musikverständnis,
ein Musikgeschmack entsteht? Und ist das auch etwas, was in Ihren
Aufgabenbereich gehört?
Kreile: Das ist eine sehr schwierige Frage.
Denn eigentlich könnte ich diese Frage nun wunderbar mit
„Ja“ beantworten und sagen: „Ja, natürlich
ist es die Aufgabe der GEMA, auch diesen Boden mitzubereiten.“
Denn das tut die GEMA ja auch wirklich. Aber dies kann sie nur
in einem ganz bestimmten Maß tun, wobei das Maß dadurch
definiert ist, dass die GEMA die Treuhänderin der wirtschaftlichen
Interessen ihrer Autoren ist. Alles, was die GEMA einnimmt, ist
Geld für den einzelnen Rechteinhaber, dessen Werk aufgeführt
wird. Aber der Verteilungsplan der GEMA sieht hier durchaus auch
vor, bestimmte kulturelle Aspekte und auch Ausbildungsaspekte
zu fördern. Dies kann jedoch nur in einem ganz bestimmten
wirtschaftlich vertretbaren Rahmen funktionieren.
Geißler: Herr Kreile, Sie hatten über
all die Jahre einen guten Draht zu Ihren Kollegen im Bundestag.
Es wurde in den Jahrzehnten zuvor – man kann es ruhig so sagen
– für den Bereich der Urheber gesetzgeberisch nie so
viel getan wie in den letzten zehn Jahren. Können Sie ein kleines
Fazit ziehen und damit einhergehend vielleicht noch beschreiben,
was auf uns zukommen wird?
Kreile: Das Fazit wurde im derzeitigen urheberrechtlichen
Bereich sozusagen gezogen durch eine Richtlinie der EU-Kommission
über das Urheberrecht in der neuen Informationsgesellschaft.
Diese Richtlinie beschreibt, wie das Urheberrecht sich darauf
einstellen soll, wie das Digitale, eben die gesamten neuen Transportformen
der Musiknutzung, überhaupt bewältigt werden kann. Ich
hätte es sehr gewünscht, dass diese Richtlinie ein wenig
mehr unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Urhebers als unter
dem Gesichtspunkt des Schutzes des Verbrauchers, des Nutzers gestanden
wäre. Und es ist auch sehr interessant, in diesem Zusammenhang
den entsprechenden Inhalt des derzeitigen Koalitionspapieres zu
betrachten. Dort steht, dass Rechtspolitik ihren wesentlichen
Kern in der Verbraucherschutzpolitik hat. An sich habe ich hier
nichts dagegen einzuwenden, denn der Urheber ist ja in diesem
Sinne auch ein Verbraucher. Wenn jedoch der Urheber gegenüber
dem Verbraucher, nämlich dem Nutzer seiner Musik, geschwächt
werden sollte, dann ist nachdrücklich auf den zweiten Satz
in der Koalitionsvereinbarung hinzuweisen, der für mich sehr
wichtig ist, dass der Schutz des geistigen Eigentums auch in der
neuen digitalen Informationsgesellschaft gefördert werden
muss. Das ist zugegebenermaßen ein gewisser Antagonismus:
Man will auf der einen Seite durchaus den Schutz des geistigen
Eigentums, man will auf der anderen Seite auch den Schutz des
Nutzers. Hier gibt es seit nunmehr nahezu zwei Jahren den großen
Streit darüber, wie der Grundgedanke der europäischen
Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden soll.
Im Wesentlichen geht es hier um die private Vervielfältigung,
die seit 1965 erlaubt ist – bis dahin war sie ohne Zustimmung
des Rechteinhabers nicht erlaubt – und die man gleichzeitig,
da man ja wusste, dass man damit in das Eigentumsrecht des Urhebers
eingriff, vergütungspflichtig machte. Diese Vergütungspflicht
wurde den Herstellern von Geräten zur privaten Vervielfältigung
oder den Herstellern von Bild- und Tonträgern auferlegt.
Nun kommt aber der große Bereich der Geräteindustrie
sowie der Bild- und Tonträgerindustrie und sagt, die Welt
habe sich seit 1965 völlig verändert. Wenn man schon
bereit sei, die private Vervielfältigung zu erlauben –
die Industrie ist ja eigentlich nach wie vor dagegen –,
dann sollten keineswegs mehr die Pauschalvergütungen wie
bisher gelten, sondern man könne, da man in der Lage ist,
jeden digitalen Abruf an sich nachzuvollziehen und zu verfolgen,
eine individuelle Vergütungsabrechnung ansetzen. Dieser zunächst
verblüffende Gedanke, der ja technisch gesehen nicht so falsch
ist, führt gleichwohl in die Irre. Aber jeder, der diesen
Gedanken vorbringt, weiß, dass er praktisch nicht umsetzbar
ist. Schon seit zwei Jahren ist dieser ganze Bereich und die Frage
des Umgangs damit Gegenstand einer eminenten Auseinandersetzung.
Diese Auseinandersetzung führte im Bundesjustizministerium
zu einem Gesetzesvorschlag, dem so genannten „Korb II“.
Zu dem Kernproblem wird dort gesagt, dass es beim Gestatten der
privaten Vervielfältigung bleibt. Ebenso bleibt es dabei,
dass der Schutz des Urhebers gewährleistet sein muss, weil
ja erkannt wird, dass das private Vervielfältigen und das
Gestatten dessen ein Eingriff in das Eigentumsrecht des Urhebers
ist.
Zum dritten Punkt: Im Zusammenhang mit der Erlaubnis der privaten
Vervielfältigung, der Vergütungspflicht der verschiedenen
Geräte oder Trägermaterialien bemerkt aber jener Gesetzesentwurf
des Justizministeriums, dass zunächst einmal zwischen den
Betroffenen, also der Industrie und der GEMA oder den anderen
Verwertungsgesellschaften, versucht werden soll, die Vergütungen
auszuhandeln. Nur dann, wenn dieses Aushandeln nicht gelingen
wird – und ich habe die größten Zweifel, ob dieses
Aushandeln je gelingt – soll ein Schiedsverfahren bei der
Schiedsstelle des deutschen Patentamts eingesetzt werden, um eine
angemessene Vergütung zu finden. Ich finde, dass dieser Grundgedanke
so falsch nicht ist, und man sollte diesen Gedanken auch umsetzen.
Allerdings sollte dabei der Gesetzgeber den Rahmen für eine
solche Vergütung präzise abstecken. Es muss insbesondere
bedacht werden, dass, wenn die Geräte- und Trägermaterial-Industrie
auf einmal Geräte herstellt, welche sehr preisgünstig
sind, es trotzdem zu einer angemessenen Vergütung kommen
muss. Es hat für den Urheber keinen Sinn, eine Fünf-Prozent-Deckelungsregel
vom Verkaufspreis einzuführen. Denn auch Billiggeräte
können selbstverständlich die gesamte Fülle des
musikalischen Materials vervielfältigen. Der Streit um eine
Mindestvergütung für das schöpferische Werk ist
deswegen von grundsätzlicher Bedeutung.
Aber ich meine, dass dieser Streit in den nächsten anderthalb
Jahren wirklich durchgefochten sein wird, und ich ermuntere das
Justizministerium sehr, den jetzigen Gesetzesentwurf zügig
umzusetzen.
Geißler: Das heißt, in den nächsten
anderthalb Jahren haben Sie eigentlich noch einen Vollzeitjob. Ich
vermute, die GEMA ist froh darüber, so einen Wissensträger
in ihren Reihen zu haben.
Kreile: Wissen Sie, ein kluger Vorstandsvorsitzender,
der in Pension geht, wird wohl den Grundsatz berücksichtigen,
dass man nur dann, wenn man gefragt wird, einen Rat geben sollte.
Das Interview als Stream im Internet finden Sie unter folgender
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