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nmz-archiv
nmz 2006/02 | Seite 12
55. Jahrgang | Februar
Nachschlag
Kulturauftrag
Vor etwa einem halben Jahr hat Radio Berlin Brandenburg (rbb)
seinem Redakteur für Neue Musik, Martin Demmler, fristlos gekündigt.
Man warf ihm Urkundenfälschung vor, denn er hatte unter falschem
Namen ein paar Briefe an Intendanten der ARD geschickt. Darin ging
es um eine Anmoderation seines Musikchefs, Christian Detig, der
Goebbel’sche Rundfunktheorien für die ARD-Intendanten
reklamierte. Detig selbst distanzierte sich eher halbherzig davon,
denn wer will schon mit dem Geiste nationalsozialistischer Gedanken
in Verbindung stehen. Die angesprochenen ARD-Intendanten schwei-gen
sich bis heute zu dieser Frage aus. Zu dementieren gibt es anscheinend
nichts. Statt dessen schickte man lieber den unliebsamen Redakteur
– Demmler, nicht Detig – vor die Tür. Das wundert
nicht. Das Arbeitsgericht Berlin gab nun in erster Instanz Demmler
Recht, der sich gegen die Kündigung wehrte. Selbst Musikchef
Detig soll die Kündigung als zu harte Maßnahme empfunden
haben. „Dass Demmler hier auf dem Stuhl sitzt, ist unser aller
Schuld. Aus Angst hat keiner aus der Redaktion auf das Goebbels-Zitat
reagiert“, zitiert die FAZ eine Stimme aus dem Kollegenkreis
von Martin Demmler. Ist der Kulturfunk endgültig am Ende, regiert
da ein selbst verordneter Maulkorb, Panik und Angst gar? Was herrschen
im Rundfunk eigentlich für Sitten, allzumal im öffentlich-rechtlichen.
Den aktuellen Programmentwurf des öffentlich-rechtlichen Kulturfunks
hat der NDR-Programmdirektor Gernot Roman gewohnt feinsinnig erfasst:
„Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil.“
Was für eine Sprache verkündet da fortgesetztes Unheil.
Der rbb ist kein Einzelfall. Ähnliches konnte man von Radio
Bremen vor einigen Jahren hören. Kann man noch denen trauen,
Kulturfunk zu machen, die untereinander offenbar in Angst und Schrecken
leben und jeder zivilisierten Kommunikation entbehren?
Der Schuss ging für den rbb nach hinten los. Nicht nur zeigten
sich Komponisten wie Manfred Trojahn, Wolfgang Rihm und Aribert
Reimann in einem offenen Brief empört, jetzt kritisieren auch
der Deutsche Musikverleger-Verband und der Verband Deut-scher Bühnen-
und Medienverlage in einer Pressemitteilung: „Öffentlich-Rechtlicher
Rundfunk missachtet Kulturauftrag“ und nehmen die Entlassung
Martin Demmlers zum Anlass ihres Unmuts. Das kommt ein bisschen
spät. Dort liest man: „Das vollmundige Motto des rbb
,Hier ist Kultur‘ taugt nicht einmal mehr als Etikett, den
Schwindel zu kaschieren, der wortwörtlich auf Kosten der Hörer
und ihrer berechtigten Erwartungen an einen öffentlich-rechtlichen
Sender betrieben wird.“ Richtig, schön, dass sich das
auch bis zu den Musikverlegern herumgesprochen hat, dass der Musikfunk
abdudelt. Vermutlich haben ein paar ihrer Mitglieder festgestellt,
dass durch die „Reformen“ weniger Geld in die eigenen
Kassen (und die der Urheber) fließt.
Die Kulturwellen von NDR und rbb müssen mit weiter sinkenden
Hörerzahlen leben. Aber als Kulturbeauftragte der Öffentlichkeit
wissen die neuen Schöngeister bestens, wie man das verklären
kann. Man fragt sich, wer ist dafür verantwortlich, dass der
Kulturfunk in manchen Regionen sich so sehr gängelt. Ist es
nur ein ökonomisch-populistischer Reformatismus, weil man ja
ab und an sich verändern oder modernisieren will? Und was bedeutet
es, wenn gerade die E-Musikredaktionen da einen seltsamen Eifer
entwickeln, sich selbst um ihre Kulturvielfalt zu kastrieren.
Da sitzen gestandene Rundfunkredakteure wie beispielsweise Wilhelm
Matejka nun an den Schalthebeln der Programme und vergessen alles,
was sie einmal selbst anders, vor allem besser gemacht haben. Matejka
kann auch nichts Merkwürdiges daran finden, dass in seinem
Programm bis 18 Uhr nicht mehr die Moderatoren die erklingende Musik
selbst wählen. Ach, wenn die Moderatoren wenigstens ihre Musikchefs,
Programmdirektoren und Intendanten wählen könnten.
Martin Hufner
P.S.: Der aktuelle Zustand der Kulturfunkkultur wird ausführlich
unter www.dasganzewerk.de
dokumentiert. Die Website und die dahinter liegende Initiative sind
gegenwärtig die einzig zuverlässige Quelle über die
aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich, allen Unterlassungserklärungen
zum Trotz.