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nmz-archiv
nmz 2006/02 | Seite 41
55. Jahrgang | Februar
Noten
Für zwei, die zusammen Klavier spielen wollen
Noten-Neuerscheinungen für Klavier zu vier Händen
In der jüngsten Vergangenheit lassen Neuerscheinungen von
Noten für Klavier vierhändig an Vielfalt und Farbigkeit
nichts zu wünschen übrig, unabhängig davon, ob es
dabei mehr um eine pädagogische Ausrichtung geht oder um ein
in erster Linie künstlerisch zu bewertendes Musikstück.
Die originelle Wortbildung gab den Titel für eine sieben-
beziehungsweise achtteilige Serie im Querformat. Es ist doch bemerkenswert,
welche Lebensfähigkeit Diabellis vierhändiges Spielmuster
für den elementaren Klavierunterricht nach fast 200 Jahren
noch besitzt: ein Part (meist Primo) „bei fest stehender
Hand“ im Fünftonraum für den Anfänger, der
andere bewegungsfreundlich, vor allem auch klangunterfüttert,
lange als „Lehrerpart“ bezeichnet, aber ebenso für
einen etwas fortgeschritteneren Schüler möglich, im
Allgemeinen noch leicht (wie bei Neuring) bis mittelschwer. Der
Komponist und Klavierpädagoge arbeitet in diesem Rahmen mit
methodischer Konsequenz und Gründlichkeit. In Heft 1 FÜR
ANFÄNGER beginnt es bei Primo mit der Taste C allein zwischen
rechts und links wechselnd. Allmählich kommen die anderen
Finger hinzu. Erst in Nr. 14 sind alle fünf Finger einbezogen.
Manchmal verwundert die Notation, wenn zum Beispiel ein Ces steht,
wenn es sich in einer nach C-Dur orientierten Melodie um den Leitton
H handelt (Heft I, S. 21). Das tonal orientierte Klangspektrum
in Dur und Moll weist schnell in die Richtung, die in den Titeln
beziehungsweise Untertiteln der letzten Hefte zum Ausdruck kommt:
V Rhythmusbuch – 24 poppige Duostücke, VI Kanonbuch
– 24 poppige Préludes & Kanons, VII Popballaden.
An Unisono im Fünftonraum für Primo hält Neuring
bis Heft V fest. In VI verlässt er bei den Kanons das Unisono-Spiel,
bleibt aber noch im Fünftonraum. Erst in Heft VII stößt
Primo in den erweiterten Tonraum vor, sofort sehr anspruchsvoll
und technisch gefordert. Ein anderes vierhändiges pädagogisch
orientiertes Klavierwerk, auch in einer Serie von mehreren Heften
(R. Vinciguerra: Crossing Borders, Peters) wird in einer der folgenden
nmz-Ausgaben besprochen.
Unter einem in erster Linie pädagogisch zu betrachtenden Nutzeffekt
ist auch die folgende Publikation zu würdigen:
Franz Schubert: 33 Tänze für Klavier vierhändig,
Heinrichshofen
Vor zwei Jahren wurde an dieser Stelle die Ausgabe von Schuberts
20 Ländlern für Pianoforte zu vier und zu zwei Händen,
bearbeitet von Johannes Brahms, vorgestellt (Herausgeber Peter
Roggenkamp). Diesmal ist auf eine Variante hinzuweisen, die zum
gleichen Thema drei Musiker vereinigt. Peter Heilbut, zugleich
Herausgeber, gesellt sich zu den beiden Großen im Vorwort
mit den Worten nach Friedrich Schiller: „Ich sei, gewährt
mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte.“ Der Notenband
enthält wechselnd in der Abfolge angelegt von Schubert original
vierhändig die Ländler D 814, zwei aus D 618 und die
Polonaise F-Dur D 599; aus der Serie von siebzehn ursprünglich
zweihändigen Ländlern D 306, die Brahms für vier
Hände eingerichtet hat, nahm Heilbut elf Stücke in seinen
Band auf, etwas anders angeordnet und paarweise mit einer Da-Capo-Angabe
für die Spielweise versehen (wozu es aber von Heilbut keine
Erklärung gibt); Heilbut selbst steuerte aus dem zweihändigen
Repertoire Schuberts die Übertragungen von sechs Deutschen
Tänzen aus D 783, ein Menuett mit Trio aus D 41, ein weiteres
D 599 und sieben Ecossaisen aus unterschiedlichen Serien bei.
Man muss – abgesehen von Oktavierungen und kleinen klanglichen
Auffüllungen bei Akkorden, die bei diesen Übertragungen
im Rahmen des Normalen liegen – bei Heilbut immer mal mit
kleinen Veränderungen des Originaltextes rechnen, die oft
etwas überraschen, aber eben zu seiner Sichtweise des „com-ponere“
gehören, wie er es immer wieder nannte. Im Allgemeinen leicht
bis gelegentlich mittelschwer sind die technischen Anforderungen
auf beiden Seiten.
Johannes Brahms: Serenade Nr.1 D-Dur op.11; Serenade Nr.
2 A-Dur op.16 für Klavier zu vier Händen, Bärenreiter
BA 6570 und 6571
Wir erleben Brahms ein weiteres Mal als Bearbeiter, diesmal
eigener Werke. Er hat in dieser Weise öfter als im Allgemeinen
bekannt das Klavier für vier Hände bedient, offensichtlich
nicht immer einig mit sich selbst in dieser Rolle, denn in der
Korrespondenz mit seinem Verleger Rieter hat es oft Unmutsäußerungen
über die „Lächerlichkeit des Wiederkäuens“
oder Ähnliches gegeben. Im Zusammenhang mit der Transkription
der 2. Serenade schrieb er aber auch einmal an Joseph Joachim:
„… Mir war ganz wonniglich dabei zu Mute. Mit solcher
Lust habe ich selten Noten geschrieben…“ Der Herausgeber
Christian Köhn ergänzt im Vorwort zu Opus 16 mit der
Feststellung: „Das vorliegende Arrangement gehört zu
den gelungensten aus der großen Menge an Eigenbearbeitungen
des Komponisten. Neugierde für Interessenten dürfte
geweckt sein, Spieler müssen aber gut fundiert sein.“
Paul Walter Fürst: Sonatine für Klavier zu vier
Händen op. 6, Doblinger D 18328
Im Verlagskatalog findet sich die Jahreszahl 1949, letzte Phase
von Fürsts Studienjahren in Wien, doch erschien das Werk
erst 1997. Zu Beginn der Sonatine könnte man meinen, dass
ein böhmischer Komponist des 18. Jahrhunderts wiederentdeckt
wurde. Spätestens am Ende der Exposition wird klar, dass
der Komponist späterer Zeit angehört. Im 2. Satz, einer
Romanze, lässt er sich klanglich-harmonisch von einer Palette
inspirieren, die romantisch geprägt ist. Im Verlauf wird
man durch einige in diesem Kontext etwas ungewöhnliche Wendungen
überrascht, und so wähnt man sich vielleicht auch mal
in der Nähe von Richard Strauss. Das muntere Spiel mit Hemiolen
und anderen metrischen Verschiebungen in dem knappen Scherzo hat
seine Vorbilder wieder im 19. Jahrhundert. Der Schlusssatz, dem
Charakter einer Tarantella angenähert, lässt an möglicher
Musizierfreude nichts vermissen. In Fürsts Sonatine ist die
Tradition präsent. Die technischen Anforderungen liegen etwas
über dem mittleren Schwierigkeitsgrad.
Amadeus Gati: Etude Grotesque für Klavier zu vier
Händen, Helm-Baynov, Kempten, HB 7500
Man könnte dem Stück auch den Titel geben „Kleine
Szene für zwei, die zusammen Klavier spielen wollen.“
Zunächst wird beschrieben, welche Gegenstände für
die Aktionen auf den Tasten und im Flügelinnenraum benötigt
werden, und anderes mehr. Es beginnt mit Primo allein, der vor
der Tastatur sitzend einen dicken Notenband durchblättert,
dann aber gelangweilt mit dem Kopf schläfrig über dem
Spieltisch zusammensinkt. Secondo erscheint, will den Partner
aufwecken. Das gelingt aber nicht. Erst wenn Secondo in die Saiten
im Flügelinnenraum greift mit Glisssandi („hart, kurz,
kratzend, mit Gegenstand im Bass“), soll der andere den
„Kopf hochreißen“. Allmählich kommen Aktionen
auf den Tasten in Gang. Gatis Etude Grotesque hat den beiden 13-
und 14-Jährigen, die das Stück als Erste spielen durften,
Riesenspaß gemacht.