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nmz-archiv
nmz 2006/02 | Seite 35
55. Jahrgang | Februar
Rezensionen
Prisma jüdischer Erfahrungen
Das groß angelegte Aufnahme-Projekt des Milken Archive bei
Naxos
Um Verfolgungen und anderen Diskriminierungen zu entkommen, waren
die USA für Juden über Jahrhunderte ein bevorzugtes Ziel.
Dort erhofften sie Freiheit und Sicherheit für ihr Leben. In
der Diaspora bewahrten sie die Tradition und entwickelten im Austausch
mit der gesellschaftlichen Majorität eigene Kulturstile, ein
Reservoir, das im Bereich Musik bisher kaum dokumentiert worden
ist.
Website
Nachdem Lowell Milken, einer der Gründer der Milken Family
Foundation in Los Angeles, jüdische Musik in der Synagoge gehört
hatte, dachte er über ein Aufnahmeprojekt nach. Zu diesem Zweck
konzipierte er innerhalb der Stiftung das Milken Archive, in dem
seit 1990 geeignete Kompositionen gesammelt und von dem Aufträge
für CD-Aufnahmen vergeben werden. Als künstlerischer Direktor
sondiert Neil Levin, renommierter Musikwissenschaftler am Jewish
Theological Seminary in New York, mit einem Komitee kompetenter
Experten das Repertoire, um ein Panorama der Musik aus jüdischer
Erfahrung vorstellen zu können.
Im Prinzip werden alle Kategorien Musik aus jüdischer Erfahrung
berücksichtigt, also auch Werke von nicht-jüdischen Komponisten
wie „Gates of Justice“ von Dave Brubeck, der römisch-katholischer
Konfession ist. Das geographische Prisma dieses Projekts ist allerdings
die USA, weil europäische Emigranten vor allem dort ihre mitgebrachten
Ressourcen ausgebreitet und weiterentwickelt haben. Für die
Aufnahmen unterscheidet Levin vier Abteilungen, die in Umfang und
Stellenwert als gleichrangig betrachtet werden: 1. Religiöse
Synagogenmusik aller Typen von der Liturgie bis zum Jazz; 2. (Klassische)
Orchester- und Kammermusik, Opern und Ballette, die auf jüdischen
Themen basieren: entweder beim musikalischen Material oder beim
Libretto beziehungsweise der Textreferenz oder in einem programmatischen
Aspekt; 3. Populäre Genres wie Klezmer und Volksmusik und 4.
Bühnenmusik oder Musicals an jiddischen Theatern der USA. Entscheidend
für die Auswahl ist die Verbindung zur jüdischen Kultur
und insbesondere die universale Dimension der Musik. Ein wesentliches
Kriterium ist, dass diese Musik zuvor selten oder noch nicht für
CD produziert wurde, wie etwa das kürzlich entdeckte Streichquartett
von Darius Milhaud, das er komponierte, nachdem er Synagogenmusik
in der Provence kennen gelernt hatte.
Für dieses Projekt hat das Milken Archive seit 1990 mehr
als 600 Werke von 400 Komponisten aufgenommen und 250 verschiedene
Solisten und Ensembles wie das Juilliard String Quartet und die
„Academy of St. Martin in the Fields“ engagiert. In
Deutschland ist das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin beteiligt,
„eine wichtige Aufgabe für uns, weil es eine stabile
und nachhaltige Kooperation ist. Dafür sind wir sehr dankbar“,
erläutert die Orchesterdirektorin Maria Grätzel. „Ab
Herbst 2006 wollen wir, um die Rezeption dieser CD-Reihe auf dem
europäischen Markt zu flankieren, im Kontext der jüdischen
Kulturtage über drei Jahre ein Festival veranstalten.“
Eine exquisite Partnerschaft wurde mit dem Label Naxos vereinbart,
„da werden 50 CDs bis Ende 2006 erscheinen und in den Vertrieb
übernommen, wobei das Milken Archive die Rechte behält.
Dr. Levin beaufsichtigt das Niveau dieser (aufgrund der Stiftungssatzung)
nicht-kommerziellen Edition“, stellt Paul Schwendener, Marketing
Direktor des Milken Archive Committee fest. Ko-Produzent ist außerdem
das Deutschlandradio Kultur, das kontinuierlich über dieses
epochale diskografische Gedächtnis jüdischer Musik berichtet.
Regelmäßig aktualisierte Informationen sind auf der Website
des Milken Archive zu finden. „Ein wachsendes Projekt, das
weit in die Zukunft reicht“, meint Lowell Milken zuversichtlich.
Hans-Dieter Grünefeld
Diskografie (Auswahl)
Introducing the World of American Jewish Music. Rare, New and
Rediscovered American Classics
Naxos 8.559406
Samuel Adler: Symphony No. 5/Nuptial Scene
Naxos 8.559415
Mario Castelnuovo-Tedesco: Naomi and Ruth/Sacred Service for
the Sabbath Eve
Naxos 8.559404