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nmz-archiv
nmz 2006/02 | Seite 12
55. Jahrgang | Februar
Semmelmann
Semmelmanns Musica viva
Weißes Licht. Weiße Hitze. Der Winter ist nicht meine
Jahreszeit. Sich irgendwelche Bretter unter die Füße
schnallen und waghalsig Abhänge hinunterstürzen?
In zu Diskotheken umgebauten Holzhütten grauenhafter Technomucke
und noch grauenhafteren Dialekten lauschen? „Grias di, Semmel
BUMM-ZIG-BUMM-ZIG-BUMM-ZIG Sauf, du Sau BUMM-ZIG-BUMM-ZIG-BUMM-ZIG
Woarst schnackseln mit da Rosi, Semmel BUMM-ZIG-BUMM-ZIG-BUMM-ZIG
Mit dem oiden Luder, dem elendigen BUMM-ZIG-BUMM-ZIG-BUMM-ZIG?“
Nein. Bitte nicht.
Wenn es so richtig arschkalt draußen ist, die Bäume
mit einer weißen Kruste überzogen in der Kälte knistern
und knacken, wenn unser Katz’ den ganzen Tag faul auf dem
Bett liegt und pennt, dann gehe ich einer meiner Lieblingsbeschäftigungen
nach, dem verhohnepipelnden Übersetzen englischer Liedtexte.
Ein Heidenspaß für lange Winterabende. Damit habe ich
schon manchem Fan das Objekt seiner Begierde gnadenlos entzaubert.
Denn viele Leute glauben ja immer noch, dass insbesondere anerkannte
und somit undiskutierte Heroen der (Rock-) Musik stets hochgeistige
Werke vertonter Poesie verfassen. Und je weiter diese Werke in der
Vergangenheit liegen, umso sagenumwobener werden die Interpretationen
solcher Textzeilen. Das geht sogar bis zu völlig abstrusen
Verschwörungstheorien.
Was die Übersetzung ins Deutsche angeht, bin ich Anhänger
der 1:1-Direktübersetzungslehre. Was ist zum Beispiel von einem
Lied zu halten, das den Titel trägt „Glückseligkeit
ist ein warmes Gewehr?“ Oder: „Am Hofe des karmesinroten
Königs beinhaltend Die Feuerhexe und Der Tanz der Puppen?“
Folgendes Kleinod eines kleinen Musikers und Sängers gefällt
mir besonders:
„Ein zerbrochner Gott einer rostigen Welt/Süßlich
ein Onyx-Mädchen mundberührt/Seine Gefängnisgitterstäbe
waren hart zu putzen/Was passierte mit dem Teenagertraum?“
Was ist hier die Botschaft, sofern es überhaupt eine gibt?
Vielleicht gibt sie die nächste Strophe:
„Der Zauberer von Oz und der bronzene Dieb/Regelten mein
Mädchen mit teutonischem Zahn/Aber alles war verloren, als
ihr Mund grün wurde/Was passierte mit dem Teenagertraum?“
Dass der Verfasser der Einnahme von Halluzinogenen nicht abgeneigt
war, scheint die Botschaft. Kein echter 68er, der dies hier nicht
kennt:
„Wenn der Weiße Ritter rückwärts spricht/Und
die Rote Königin ihren Kopf verliert./Erinnere dich, was
die Türmaus sagte: Ernähre deinen Kopf, Ernähre
deinen Kopf!“
Erkannt?
„Now you’ve seen the heavy groups, now you will see
Morning Maniac Music.“
Semmel fragt: Wer war’s?
Zauberer, Diebe, Königinnen, Ritter. Nachdem sich die Sandoz-Schiene
– der Mann wurde dieser Tage 100 Jahre alt, und zwar an lebendigem
Leibe – als fataler Irrtum rausgestellt hatte, kehrte man
auf den Boden der Tatsachen zurück:
„Zu viel für mein’ Körper, zu viel für
mein Hirn/Die verdammten Weiber machen mich bekloppt.“
Na, das ist doch mal eine Aussage, mit der Mann was anfangen kann.
Keine LSD-Botschaften. Keine Verschwörungen. Keine Hektik.
Keine Meetings. Keine Handys.
Ääh? Entschuldigung. Bevor mir die Sache völlig
entgleitet, noch einer:
„Grüß Gott, Josef. Wohin des Wegs mit der Flinte
in der Hand?/Ich geh’ runter ins Tal um meine Frau zu erschießen,/Weil
ich sie mit ’nem anderen Typen rummachen sah.“
Legendär.
Und so komme ich dann halt geradeso über den Winter.