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nmz-archiv
nmz 2006/04 | Seite 13-14
55. Jahrgang | April
Kulturpolitik
Augsburg geschockt – München zufrieden
Zu den Empfehlungen der Expertenkommission Musikhochschullandschaft
Bayern · Von Juan Martin Koch
Als Reinhart von Gutzeit vor gut vier Jahren die Expertenkommission
zur Musikhochschullandschaft NRW leitete, gab er bereitwillig Auskunft
über den Stand der Dinge. Diesmal aber, in gleicher Funktion
für die Beurteilung der Perspektiven bayerischer Musikhochschulen
zuständig, verwies er auf die Veröffentlichung der Kommissionsempfehlungen
Mitte März. Und auf den Internetseiten des Bayerischen Wissenschaftsministeriums
war bis zum Redaktionsschluss nicht einmal eine Pressemitteilung
zur Präsentation des Berichts erschienen; dass er dort zum
Download bereit steht (siehe unten), ist nur über Umwege zu
erfahren.
4.067
Gäste hatten die Homepage der Augsburger Studenten
bis zu diesem Screenshot besucht. Foto: http://www.rettet-die-musikhochschule.de/
Grund für die Zurückhaltung in Sachen Öffentlichkeitsarbeit
dürfte der brisanteste Abschnitt des Papiers sein, der sich
mit der Zukunft der bislang noch in kommunaler Trägerschaft
geführten Hochschule für Musik Nürnberg-Augsburg
befasst und dessen Kernsatz lautet: „Aufgrund der vorangehenden
Darlegungen schließt die Kommission die Fortführung einer
Musikhochschule am Standort Augsburg aus.“ Die zuvor dargelegten
Argumente und Abwägungen lassen sich in Kürze so zusammenfassen:
Nach Ansicht der Kommission ist der Augsburger Standort zu klein,
zu schlecht ausgestattet und hat von vereinzelten künstlerisch
herausragenden Bereichen abgesehen nicht die einer Hochschule entsprechende
qualitative Ausstrahlungskraft.
Zudem, und dieses Urteil dürfte die Beteiligten am meisten
schmerzen, fehle der Einrichtung eine „Corporate Identity“,
was sich „in den widerstreitenden Interessen und uneinheitlichen
Zielen“ zeige. So sei es „dem Augsburger Teil der Hochschule
während des gesamten Arbeitsprozesses der Kommission nicht
gelungen, sich auf eine gemeinsame strategische Ausrichtung zu verständigen
und diese der Kommission gegenüber zu vertreten.“ In
der Tat scheint sich erst jetzt, angesichts der drohenden Schließung
wieder ein gewisses Gemeinschaftsgefühl innerhalb des Kollegiums
und darüber hinaus einzustellen. Eine Arbeitsgruppe hat sich
mittlerweile für eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Nürnberg
ausgesprochen, also für eben jenes Modell, das die Kommission
als gescheitert ansieht („unproduktive Zusammenarbeit“).
Auch die Optionen einer Integration in die Münchner Musikhochschule
oder die Augsburger Universität wird in den Em- pfehlungen
verworfen. Vorgeschlagen wird aber, dass letztere die gut etablierten
Bereiche Elementare Musikpädagogik und Musiktherapie übernehmen
solle. In Augsburg hat sich mittlerweile unter dem Eindruck des
Schocks eine breite Bewegung gegen die drohende Schließung
gebildet. Studierende organisierten eine Unterschriftenaktion, der
sich bis zum 24. März 6.700 Augsburger Bürger anschlossen.
Im Gäste- und Protestbuch der eigens eingerichteten Homepage
„rettet-die-musikhochschule.de“ melden sich ebenfalls
zahllose Sympathisanten zu Wort. Die Augsburger Studierenden fühlen
sich von der Kommission falsch bewertet und verteidigen ihre Hochschule:
Die erforderliche Größe lasse sich mit Transfers vom
Münchner Richard-Strauss- Konservatorium herstellen, bessere
Räumlichkeiten seien in Aussicht, die künstlerische Ausbildung
sei unterbewertet worden.
Im Vergleich zu Augsburg, wo die Zeichen auf Sturm stehen, kann
man in der Abteilung Nürnberg den bevorstehenden Verhandlungen
zur geplanten Verstaatlichung wohl relativ gelassen entgegensehen.
Zwar geht die Kommission „nicht von der zwingenden Notwendigkeit
einer dritten Musikhochschule in Bayern“ (neben München
und Würzburg) aus, sie bescheinigt dem Nürnberger Kollegium
aber jene Geschlossenheit und Bereitschaft, „gemeinsam inhaltliche
Entwicklungsprozesse zu gestalten“, die sie in Augsburg offenbar
vermisst hat. Zudem seien die Studentenzahlen bereits nahe der von
der Kommission als kritisch angesehenen Grenze von 350 bis 400 und
– ein entscheidender Aspekt – der Ballungsraum Nürnberg-Fürth-Erlangen
biete mit seinem kulturellen Umfeld „die passende Einbettung“
für eine Musikhochschule. Entwicklungspotenzial wird Nürnberg
vor allem im Bereich der Alten Musik zugesprochen. Hier fehle Bayern
bisher ein international konkurrenzfähiges Ausbildungsinstitut,
so das Papier der Kommission, die Nürnberg für ein solches
Exzellenzzentrum vorschlägt.
Statements des Nürnberg-Augsburger Rektors Siegfried Jerusalem
und des Augsburger Prorektors Bernhard Tluck waren bis Redaktionsschluss
nicht eingegangen. Mit den Empfehlungen der Kommission weitgehend
einverstanden ist Siegfried Mauser, Rektor der Hochschule für
Musik und Theater München. Seinem Eindruck nach sei „sehr
gründlich und gewissenhaft“ gearbeitet worden und die
Analyse sei „angemessen und richtig“. Er glaube nicht,
dass die Prämisse eines Abbaus von 10 Prozent der Studienplätze
in Bayern (das Ministerium war noch von einem Abbau zwischen 15
und 20 Prozent ausgegangen) in ursächlichem Zusammenhang mit
der empfohlenen Schließung des Standortes Augsburg stehe.
Gegenüber der nmz bekräftigt er noch einmal die mittlerweile
per Senatsbeschluss erfolgte Distanzierung von einer Verbundlösung
mit Augsburg. Nachdem ein früherer Münchner Kooperationsvorschlag
von Augsburger Seite „auf teils aggressive Weise“ abgelehnt
worden sei, gebe es für eine derartige Lösung keine Basis
mehr.
Die Kräfte konzentrieren sich nun auf die schon lange geplante
und von beiden Partnern bereits inhaltlich sehr weit vorbereitete
Integration des Richard-Strauss-Konservatoriums in die Hochschule.
Mauser zufolge ist nach entsprechenden Beschlüssen des Haushaltssausschusses
nun die Verwaltungsebene gefordert, die Fusion endlich in Gang zu
setzen. Den damit einhergehenden Zuwachs im Bereich Jazz und Volksmusik
begrüßt Mauser ausdrücklich, daneben plant er auch
den Aufbau eines Instituts für Neue Musik. Wie die Jazzausbildung
in Bayern künftig aussehen soll, dazu hat sich die Kommission
mangels Expertenwissen in diesem Bereich im Übrigen nicht detaillierter
geäußert und schlägt eine separate Betrachtung vor.
Auch die Lehrerausbildung, die im Rahmen eines Gesamtkonzeptes zu
bewerten sei, bleibt in dem Bericht ausgeklammert, also ausgerechnet
jenes Thema, das sich bei einer Podiumsdiskussion in München
als besonders explosiv erwiesen hatte (siehe
nmz 3-06, S. 24).
Franz Josef Stoiber, Rektor der Hochschule für Katholische
Kirchenmusik und Musikpädagogik, hat Verständnis dafür,
dass das erst seit einigen Jahren in Regensburg installierte gymnasiale
Lehramtsstudium an anderen Hochschulen angesichts sinkender Einstellungszahlen
kritisch betrachtet wird. Andererseits sei aber zu bedenken, dass
der Staat hier für einen Bruchteil der Kosten (die HfKM arbeitet
in kirchlicher Trägerschaft) gut ausgebildete Lehrkräfte
bekomme. Auch sei für die Studierenden der Kirchenmusik natürlich
die Möglichkeit höchst attraktiv, sich mit vier Aufbausemestern
ein zweites Standbein zuzulegen. Durch die von der Kommission vorgeschlagene
Konzentration der Kirchenmusikausbildung auf Regensburg, Bayreuth
und München und die Bestätigung der Hochbegabtenförderung
sieht Stoiber den Standort Regensburg insgesamt gestärkt. Betroffen
von dieser Konzentration wäre die Würzburger Hochschule,
wo bislang noch evangelische und katholische Kirchenmusiker ausgebildet
werden. Ein Schwerpunkt neben der Musiktheaterarbeit soll dort nach
Vorstellung der Kommission im Bereich der Hochbegabtenförderung
liegen.
Aus dem Wissenschaftsministerium war bis Redaktionsschluss keine
Stellungnahme zu erhalten. Bevor man sich äußere, wolle
man erst die Experten und Hochschulgremien anhören; Ende April
soll dann ein entscheidungsreifes Papier vogelegt werden. In einer
Diskussionsrunde mit Augsburger Musikstudierenden forderte Minister
Thomas Goppel diese auf, sich dem internationalen Wettbewerb stärker
als bisher zu stellen.
Als vorläufiges Fazit bleibt festzuhalten, dass die Vorschläge
der Kommission sicher nicht aus der Mentalität kahl schlagender
Unternehmensberater heraus gemacht worden sind. Auch auf Augsburg
bezogen mag an deren Überlegungen hochschulpolitisch viel Vernünftiges
dran sein, ob sie freilich auch kulturpolitisch und mit Blick auf
regionale Gegebenheiten sinnvoll sind, muss zumindest angezweifelt
werden, da – und das ist ganz unabhängig von der Qualität
und Beschaffenheit der Ausbildung dort – sich die Hochschule
zu einem wichtigen Kulturfaktor in der immerhin drittgrößten
Stadt Bayerns entwickelt hat. Dem schwachen Kommissionszeugnis zum
Trotz ist wohl kaum anzunehmen, dass in Augsburg ausgerechnet im
Mozart-Jahr die Musikausbildung komplett gestrichen wird.Vielleicht
wird ja noch eine ähnliche Lösung aus dem Hut gezaubert
wie in NRW, wo am gefährdeten Standort Dortmund mit dem Orchesterzentrum
ein innovatives und erfolgreiches Modell installiert wurde.