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nmz-archiv
nmz 2006/04 | Seite 3
55. Jahrgang | April
Magazin
Außen vor bleibt, was anders sein könnte
Auf neuen Wegen in die mediale Zukunft: Radio und Video im Internet
Waren bis vor kurzem der Rundfunk, das Fernsehen und das Kino
die alleinigen Statthalter einer medialen oder multimedialen Öffentlichkeit,
so hat das Internet sich nun auch diesen Raum erobert. Ermöglicht
durch rasche Übertragungs- und Empfangswege. Heute kann jeder
seinen eigenen Sender aufziehen, sofern er die technischen Mittel
dazu hat. Die Hürde ist nicht mehr so groß wie früher.
Mit der neuesten Software GarageBand in iLife für Apples Computer
und Betriebssystem, gelingt wohl auf Anhieb auch einem Novizen ein
kleines Feature. Mit den kleinen und kostengünstigen Digitalkameras
kann jeder einen Film drehen. Eine Internetpräsenz ist schnell
eingerichtet und mit der passenden Software auch relativ einfach
aktuell zu halten. Da stellt sich allerdings die Frage: Was will
man mit all dem anfangen? Können könnte man ja, wollen
will man. Aber was soll man da können wollen?
Konkurrenz
für Apples „iTunes“: Open-Source Musik-Browser
„Songbird“ vom Mozilla-Projekt
Der einfachste Gegenstand ist der sprichwörtlich naheliegendste,
man bildet sich selbst ab. Man bildet ab, was man ist, was man war,
was man sein möchte. Tausende Geschichten sind möglich
und alle sind gleichwertig, gleich wichtig. Theoretisch und wohl
auch praktisch resultiert aus diesen Möglichkeiten die bloße
Zunahme eines kollektiven Narzissmus, wie es sich in den Weblogs
auch abzeichnet.
Im Wellenbad der Selbstdarsteller ragen dann diejenigen heraus,
die überhaupt noch ein paar Worte zusammenhängend reden
und denken können. Viele sind das nicht. In jeder Zeit gibt
es einen sehr hohen Ausstoß künstlerischer und außerkünstlerischer
Produktivität. Vieles wird vergessen. So wie früher auch.
Rundfunktheorie
Manch einem mutet das an als die moderne Realisierung einiger
Passagen aus Brechts Radiotheorie der 30er-Jahre. Brecht schrieb
damals: „Der Rundfunk ist von einem Distributionsapparat in
einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre
der denkbar größte Kommunikationsapparat des öffentlichen
Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre
es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch
zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern
auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn
in Beziehung zu setzen.“ Bei Brecht blieb der Rundfunk aber
als Institution und Vermittler zentral. Nicht die Masse der Stationen
macht Kommunikation, sondern die Klasse der Partizipation; deshalb
nennt er es auch ein „Kanalsystem“.
Recht und Geld
Nur heute ist das Sich-unsterblich-machen durchs Netz keine Frage
der öffentlichen Selbstorganisation, sondern eine Rechts- und
Finanzierungsfrage.
Bis vor anderthalb Jahren war es beispielsweise mit relativ einfachen
und günstigen Mitteln möglich, im Internet auf Sendung
zu gehen. Man erfüllte alle rechtlichen Voraussetzungen, bezahlte
Tarife an die GEMA und GVL. Dann wurden zu Beginn 2005 diese Tarife
verteuert. „Der Normaltarif beträgt für nichtkommerzielle
Veranstalter € 0,0005 pro Titel und Hörer oder alternativ
€ 0,00015 pro Minute und Hörer bei Abrufen aus Deutschland.
Die pauschale Mindestvergütung beträgt € 500,–
pro Jahr und Kanal“, liest man im Tarif der GVL. Zahlreiche
Hobby-Sender haben unterdessen dichtgemacht. Die GVL verteidigt
die Tarife unter anderem damit, dass ein Hobby schließlich
nicht umsonst sein muss (http://www.gvl.de/gvl-was-aendert-sich.htm),
andere seien das ja auch nicht. Man kann die Künstler, die
durch die GVL vertreten werden, ja verstehen. Kreative Leistungen
sind keine be- und abnutzbare Leistung, derer man sich beliebig
bedienen darf. In den Worten der GVL: „Zugegeben: Die Pauschale
ist nicht billig und kein ‚Schäppchen-Preis‘, aber
Hobbys sind im Allgemeinen nicht umsonst. Auch die Rechteinhaber
an den Songtiteln haben Anspruch auf ein angemessenes Entgelt, und
auch die Lieferanten des PCs, des Servers und der sonst zum Webcasting
notwendigen Hard- und Software machen keine ,Hobby-Preise‘,
sondern wollen für ihre Leistungen entgolten werden. Das wollen
die Rechteinhaber auch!“
Hobby-Sender mit Auftrag
Aber der Haken an der Sache ist, dass auf der anderen Seite gebührenfinanziertes
(Internet-)Radio von öffentlich-rechtlicher Seite steht. Es
ist ja nicht so, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk die
Künstler aus der eigenen Tasche finanziert, sondern es sind
die Gebührenzahler. In Zeiten, wo sich der öffentlich-rechtliche
Rundfunk selbst nur zur Abfunk- und Abdudelstation verwandelt, mutet
dies obsolet an, zumindest jedoch unfair. Sicher darf man die Mehrzahl
der Hobby-Sender nicht unbedingt als eine kulturelle Bereicherung
verstehen, sondern bloß als eine Verdopplung der öffentlich-rechtlichen
und privaten Funkstationen. Die Gefahr des Kulturverlustes droht
eher an der Rändern, da, wo Kultur noch entsteht und Dinge
in Bewegung setzen könnte.
Beispiel: Sie sind ein Enthusiast und wollen ein kleines Feature
über Bernd Alois Zimmermann für das Internet zusammenstricken.
Solange man nur Wort macht, im gegebenen Umfang Text zitiert, läuft
alles glatt. Aber mit dem ersten Einsatz eines Musikbeispiels beginnt
das Problem. Sowohl GVL und GEMA verlangen dafür Gebühren.
Das wäre alles noch im Rahmen, wenn man denn durch sein kleines
Feature selbst Geld verdienen wollte. Zumeist handelt es sich bei
den Produzenten solcher kleiner Kulturgeschichten aber um arme Enthusiasten,
die nur das, was sie sonst unter Freunden (privat, zu Hause) machen,
mehreren Menschen zugänglich machen wollen. Es geht ihnen nicht
um sich selbst, sondern den Künstler, eben Bernd Alois Zimmermann.
Die eine Form der Kreativität, das Feature, setzt die des Komponisten
und Künstlers voraus, dessen Werk bliebe aber ohne Verbreitung
stumpf und stumm. Einzig, wenn man beide in eine Wertschöpfungskette
überführte, wäre die Sache im Lot. Das Feature müsste
was kosten, damit es existieren kann – oder man hat geerbt.
Einen Kulturauftrag für Privatpersonen gibt es eben nicht.
Und momentan will auch niemand wirklich eine solche ungesteuerte
Aktivität. Es wird somit auch zu einer Kostenfrage, wer über
wen etwas senden kann. Ob das der Verbreitung gerade auch stiefmütterlich
vernachlässigter Kunst und der kulturellen Vielfalt im öffentlichen
Raum günstig ist, darf man durchaus bezweifeln.
Der stille Ton
Gerade weil Ton und Texte im Zeitalter des Schutzes von geistigem
Eigentum mehr wert sind, als sie Wert sind, bleibt vielen allein
der Übergang zum stummen Sprechen übrig. Damit ergänzt
man bestenfalls andere Angebote, die eine solche Institution sonst
vorhält. Die Berliner Philharmoniker halten es so, wenn sie
auf ihrer Website „Podcast“ mit Gesprächen zu Künstlern,
Werken und Veranstaltungen vorhalten (http://www.berliner-philharmoniker.de/de/podcasts/).
Diese abgefilmten Werkstattgespräche verlängern den sinnlichen
Arm der Programmhefte und der Programmierung von Veranstaltungen.
Hier ist dann auch die Grenze erreicht, an der man zwischen Modewelle
und sinnvoller Erweiterung von Öffentlichkeitsarbeit in den
Netzraum zu stehen kommt. Für die meisten heißt das Ende
der Fahnenstange dann freilich leider Videohobbythek. Do-It-Yourself,
Ikebana fürs Medienzeitalter und die dazu gehörigen alten
Männer, geniale Dilettanten bestenfalls.
Kanalsystem
Dann doch also lieber Selbstdarsteller an jeder Ecke des Netzes
und „professionelle“ Datenverwerter an der anderen?
Demokratische Partizipation kann man das nicht nennen und Ermutigung
zum Engagement auch nicht. Wie viel Wissen und Information dadurch
nie an die Helle des Tages gelangt, weiß niemand abzuschätzen,
aber in einem Land, das sich vor allem zugute hält, ein Kreativmotor
sein zu wollen, wird auf diesem Weg zum geteilten Land, das nur
scheinbar jedem jeden Zugang – eben nur theoretisch –
ermöglicht. Möglich wäre viel, machbar bleibt also
wenig. Es verwundert daher nicht, wenn immer häufiger Künstler,
Urheber und Autoren den Verwertungsgesellschaften wie GEMA und GVL
den Rücken kehren, denn diese vertreten nur die materiellen,
nicht die geistigen oder gesellschaftlichen Interessen. Anderes
ist möglich und wird auch praktiziert. Immer noch aktuell:
Janko Röttgers Beitrag über „Creative
Commons Lizenzen“, nmz 2003-7/8, Seite 13
Neue Kanäle tun sich jedoch unvermittelt auf, denn das Ganze
ist ein Geschäftsfeld wie der Handel mit Lizenzen oder „geistigem“
Eigentum. Mit der Software iTunes und seinem mobilen Musik- und
Videospeicher iPod hat die Firma Apple momentan die Marktmacht und
auch den Zeitgeist hinter sich. Eine ganze Generation von Multimedia-Publishern
nennt sich Podcaster. Dass das auch nur alter Wein in neuen Schläuchen
ist, verschwimmt hinter der Coolness der Bewegung. Mit der Software
Songbird (http://www.songbirdnest.com/)
versucht das Open-Source-Projekt um den Browser Mozilla (bekannter
durch Firefox) etwas entgegenzusetzen. Noch ist man in der Beta-Version,
noch ist man nicht so hübsch und funktional wie die Software
von Apple. Aber man ist wenigstens freier, weniger reguliert, weniger
patentiert, weniger bloß ein Wirtschaftsklops. Und im Videoland
macht sich mittlerweile der Suchmaschinen-Primus Google (http://video.google.com/)
breit. Hier liegen alle möglichen Formen der Aufzeichnung von
Amateurvideos bis zu künstlerischen Experimenten und komplett
durchsuchbar vor. Teilweise ist das Angebot kostenpflichtig. Damit
schließt sich der Kreis der Verwertungsketten erneut. Außen
vor bleibt, was anders sein könnte, es aber nie sein wird;
denn die Welt ist einfach nicht gut, so wie sie ist – auch
wenn sie zeitweilig viel Spaß macht.