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nmz-archiv
nmz 2006/05 | Seite 8
55. Jahrgang | Mai
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Der Mäzen
„Wenn es dieser Staat nicht bezahlen kann, dann bezahle
ich es eben selbst“, soll er manchmal gesagt haben, wenn die
Subventionen für die Musikhochschule, deren Direktor er war,
nicht im erwünschten Maß flossen. Und die Schlagzeuger
des städtischen Sinfonieorchesters erhielten auf die diskrete
Bemerkung, es fehlten ihnen für die bevorstehende Uraufführung
einige wichtige Instrumente, von ihm zur Antwort: „Warum haben
Sie das nicht schon bestellt?“ Wobei die Rechnung selbstverständlich
an ihn ging.
Märchen aus Tausendundeiner Nacht? Keineswegs, sondern Geschichten
aus dem musikalischen Alltag der Stadt Basel zu Lebzeiten von Paul
Sacher. Der Mäzen, Dirigent und Organisator, der in diesen
Tagen 100 Jahre alt geworden wäre, pumpte Millionen nicht nur
in das städtische Musikleben, sondern auch in das zeitgenössische
Komponieren.
Die Empfänger seiner Kompositionsaufträge waren Bartók
und Strawinsky, Honegger und Huber, Holliger, Rihm und viele andere.
Über 200 Werke hat er bezahlt und uraufgeführt. Das Geld
zweigte er von der Firma ab, die zu großen Teilen seiner Frau
und ihm gehörte, dem Chemiekonzern Hoffmann-La Roche. Mancher
nahm es gern und distanzierte sich zugleich diskret vom Spender:
Mit Chemie will ich meine Kunst nicht beschmutzen! Als vor zehn
Jahren das Basler Tinguely-Museum eröffnet wurde, sagte der
Neunzigjährige den Journalisten selbstironisch ins Mikrofon:
„Natürlich wird keiner die Firma Roche dafür loben,
dass sie mit der Finanzierung dieses Museums die Tradition der alten
Fürsten und Kardinäle weiterführt. Das ist höchst
unpopulär. Darum sag’ ich es jetzt wenigstens einmal.“
Seit sieben Jahren ist der milliardenschwere Mäzen tot. Seine
Nachfolger widmen sich der Förderung des Fußballs, seine
Impulse auf das Basler Musikleben haben sich verlaufen, Aufträge
vergibt die Sponsorenabteilung der Firma heute nur noch bei entsprechendem
Glamoureffekt. Einige seiner Kreationen wie die Paul Sacher Stiftung
mit ihrer Autographensammlung haben sich immerhin gut erhalten.
Das personelle und institutionelle Netzwerk, das Sacher –
zunächst lokal, dann international – meisterhaft zu knüpfen
wusste, hat Risse bekommen. Reste davon sind etwa in den Querverbindungen
zur Siemens-Musikstiftung noch zu besichtigen, wo er lange Kuratoriums-
und Ehrenvorsitzender des Stiftungsrats war. Auf ihn geht die Tradition
zurück, dass die Komponisten, deren Partituren seine Stiftung
aufbewahrt, bis heute mit schöner Regelmäßigkeit
auch bei Siemens zum Zug kommen. Die besten Namen sind längst
abgehakt – mit Ausnahme von Klaus Huber. Aber der ist wohl
zu politisch. Angesichts des bedeutenden Alterswerks des Komponisten
wäre Sacher heute wohl der Letzte, der sich einer solchen Ehrung
widersetzen würde – er hatte einen Blick für künstlerische
Qualität. Seinen Nachfolgern hingegen scheint der nötige
Mut zu fehlen.
Das hat der Mäzen den heute in der Kulturförderung dominierenden
„Beauftragten“, den stolzen „Delegierten“
und emsigen „Vertretern“ voraus: Er braucht vor niemandem
Angst zu haben, denn er handelt auf eigenes Risiko. Die heutigen
Funktionsträger in den Fördergremien müssen es im-mer
allen recht machen: dem finanziellen Träger respektive dessen
„Vertretern“, der Institution, die sie delegiert, den
ihrerseits in einem Interessengeflecht gefangenen Gremienkollegen,
der kritischen Öffentlichkeit. Selbstverständlich ist
dabei stets von der „völligen Unabhängigkeit der
künstlerischen Entscheidung“ die Rede. Und für die
(Fehl-) Entscheidungen ist letztlich keiner richtig verantwortlich.
Man kennt das aus Wirtschaft und Politik.
Am meisten Freiheit können sich noch diejenigen herausnehmen,
die als Vertreter einer potenten Institution oder ad personam –
als Honoratioren, verdiente Lehrer- und Künstlerpersönlichkeiten
– in ein Gremium berufen werden: Sie nutzen die Gelegenheit
zur zielgerichteten Förderung ihrer Schützlinge oder um
dem Favoriten ihres nächsten Festivals einen werbewirksamen
Vorab-Preis zuzuschanzen. Der Methode ist zumindest Zweckra-
tionalität nicht abzusprechen.
Aber wie soll ein Fördersystem, das sich als Ausdruck des
Willens bestimmter gesellschaftlicher Gruppen oder sogar der demokratischen
Allgemeinheit versteht, auch anders aussehen? Hier der Zwang zum
Einpegeln auf konsensfähige Mittelwerte, dort die nur schlecht
verhehlte Günstlingswirtschaft oder die Entscheidung auf der
Basis von Corporate Governance und Marktgesetzen. Ein Beigeschmack
haftet jeder Entscheidung an.
Da hat es der Mäzen einfacher. Selbstverständlich setzt
auch er auf seine persönlichen Favoriten oder die verschwiegenen
Empfehlungen seiner Gewährsleute. Aber es ist seine private
Angelegenheit, und darum ist er der Öffentlichkeit keine Erklärung
schuldig – umso mehr, als er seine Taten nicht an die große
Glocke hängen will. Manch eingefleischtem Demokraten mag das
als elitäre Anmaßung erscheinen.
Doch wie große Kunst immer nur von Einzelnen gemacht worden
ist, ist vermutlich auch die nachhaltigste Förderung immer
nur von Einzelnen ausgegangen. Der alte Sacher war dafür ein
Beispiel.