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nmz-archiv
nmz 2006/05 | Seite 39
55. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Die Zeit der Musik in der Sprache der Dichtung
Nach-Bemerkungen zum Symposion „Ingeborg Bachmann und die
Musik“ in Graz
Musik spielte für Ingeborg Bachmanns Schreiben in vielerlei
Hinsicht eine besondere Rolle. Ihre Literatur thematisiert Musik
genauso wie sie sie in Sprache verwandelt. Ihre musikalische Poetik
liefert ein kenntnisreiches Bild der Entwicklungen der Neuen Musik
der Nachkriegszeit und die Bedeutung ihrer Literatur für selbige
kann man nicht hoch genug einschätzen. Die österreichische
Dichterin, die am 25. Juni 80 Jahre alt geworden wäre, war
eine der zentralen Figuren für viele Komponisten der letzten
50 Jahre: darunter die Freunde Hans Werner Henze und Luigi Nono
oder später Giacomo Manzoni und Adriana Hölszky.
Ingeborg Bachmann und ihr Verhältnis zur Musik waren Thema
eines internationalen Symposions, das Anfang April in Graz stattfand.
Der erste und zugleich entscheidende Bezugspunkt für Bachmanns
musikalische Poetik, der Orpheus-Mythos, wird in ihrem Gedicht „Dunkles
zu sagen“ thematisiert. Schon dieser 1952 entstandene Text,
so Susanne Kogler (Graz), behandelt die für Bachmanns Poetik
charakteristische Doppeldeutigkeit der Musik: Sie ist Ausdruck des
Schmerzes, des Todes, des Verstummens und zugleich Erkenntnisquelle
in der Erfahrung dieses Schmerzes, Hoffnungsträger und utopisches
Moment. Ihr ist eine „positive“ Ambiguität zueigen.
Indem sie einerseits das Absolute zeigt, es andererseits aber nicht
dezidiert benennt, entstehen auf beiden Seiten, der Seite des Sagens
und der des begrifflosen Zeigens, Leerstellen, die dem Text einen
Bedeutungsüberschuss verleihen.
Vor diesem Hintergrund hebt Martin Zenck (Bamberg) die Sprechbarkeit
und Sprachfindung als schöpferischen Akt hervor. Dieser orale
Sinn eines Textes zeigt sich bei Bachmanns Lesungen der eigenen
Gedichte im Klang ihrer Stimme, wird aber zugleich in den Kompositionen
Nonos oder Manzonis in Musik übertragen. In seinen „Risonanze
erranti“ (1986), in denen Bruchstücke aus dem späten
Gedicht „Keine Delikatessen“ neu verteilt werden, übersetzt
Nono auch die Stimme der Dichterin mit. Manzoni hingegen hat das
letzte Gedicht aus dem Zyklus „Lieder von einer Insel“
in der Komposition „Finale e Aria“ (1991) für Sopran
und Orchester mit Streichquartett nicht wie Nono auf eine Grundaussage
reduziert, sondern den Text vollständig wiedergegeben. Allerdings
bekommt hier die Stimme im Sinne eines szenischen Auftritts Gewicht
verliehen, indem der Vokalteil quasi als Abgesang an die Orchesterkomposition
angehängt ist.
Auffällig an Manzonis Behandlung des Textes ist die klangliche
Seite der Stimme, die an den ausgehaltenen Stimmklang Bachmanns
erinnert, um dann vom Sopran melodisch gedehnt zu werden, über
die Sprache hinauszugehen und dort auf die Musik zu treffen. Das
Reflexionsniveau, das Nono oder auch Boulez mit ihrem Verfahren
der Fragmentierung und Neuzusammensetzung eines Textes erreichen,
sieht Zenck in Henzes eher spätromantisch-linearer Sprachbehandlung
nicht erreicht.
Christian Bielefeldt (Lüneburg) hingegen zeigt, dass Henze
musikalische Zeit nicht nur eindimensional verwendet, sondern auch
sprengt. Zwar ist die Semantik des Textes nie gefährdet, doch
gerade die musikalische Zeitdehnung etwa in den „Ariosi“
(1963), auf die sich Bachmann auch in ihrem dem Komponisten gewidmeten
Gedicht „Enigma“ bezieht, bricht die einfache Linearität
auf. Das Verfahren der Exaltation einzelner Worte in melismatischer
Umspielung wie es charakteristisch für Henzes Kompositionsweise
bis zur Mitte der 60er-Jahre ist, steht demnach in Verbindung mit
einem extatischen Hören und der Erregungsschrift der Dichterin.
Genauso kann man auch das Zitierverfahren Bachmanns, das gerade
in dem Roman „Malina“ Bezugspunkte zu Beethoven, Wagner
oder Schönberg herstellt, als weit mehr als nur einen Ausdruck
der Affinität zur Musik verstehen. Indem unterschiedliche Zitat-
und damit Zeitebenen parallel gesetzt werden, werden sie schöpferisch
zu etwas Neuem verarbeitet und die Dichtung letztendlich in Musik
verwandelt.