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nmz-archiv
nmz 2006/05 | Seite 41
55. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Ein Widerhall Schuberts schwingt sich empor ins Heute
Neues von Widmann, Reimann und Rihm zum Abschluss der Widmann-Trilogie
im Heidelberger Frühling
Acht Personen suchen einen Sonatensatz: Jörg Widmanns Oktett
in der Schubert’schen Besetzung hebt mit dem entsprechenden
Unisono an und erkundet von da an, welche Ausdrucksmöglichkeiten
in der Tonalität und an deren Rändern noch aufgehoben
sein könnten. Und setzt hinter die Ergebnisse Fragezeichen.
Vom
Erstellen einer höheren Ordnung: Die Geigerin Carolin
Widmann sortiert und interpretiert die drei Soloetüden
ihres Bruders Jörg. Fotos: Juan Martin Koch
Im ersten Satz folgt der langsamen Einleitung lediglich ein Sonatensatztorso;
im zweiten wird ein Scherzosignal kurz zerzaust; im dritten reichen
vereinzelte Kantilenen einander über die Stimmen verteilt die
Hand, einigen sich auf eine Art Fin-de-siècle-Abgesang, der
aber wieder ins Desolate zerbirst; vor den aus kontrapunktischer
Verzweigung herausgezwungenen Finalgestus ist ein volkstümelnder
Tanzsatz als Intermezzo geschoben. Eine kluge, nostalgiefreie Auseinandersetzung
mit der Tradition ist Widmann hier gelungen, die im Kontrast mit
seiner vor unerhörter Klangfantasie schier berstenden und doch
dramaturgisch so präzis gebauten „Hallstudie“ nur
umso stärker wirkte.
Eine Nacht der Gegensätze war es wahrlich, die Widmann ins
Zentrum seines Kammermusikwochenendes im Rahmen des Heidelberger
Frühlings gestellt hatte. Auf Weberns Liedminiaturen op. 18
folgte sein spätromantisch ausladendes Klavierquintett C-Dur,
Aribert Reimanns konzentrierter Hölderlin-Canzona „Singen
möchte ich von Dir“ war dessen behutsamer Mendelssohn-Kommentar
„…oder soll es Tod bedeuten“ gegenübergestellt,
beides von Julie Kaufmanns vokaler Finesse und Emphase erfüllt.
Hans Pfitzners wie aus einer anderen Welt hereintönendes Sextett
von 1945 schließlich wurde Prokoffiefs Ouvertüre über
hebräische Themen überraschend nahe gerückt.
Eine kluge Programmplanung, herausragende Werke, mit Hingabe und
Kompetenz gespielt von einem hörbar aufeinander eingeschworenen
Kreis jüngerer Interpreten: Widmanns Konzept für den Abschluss
seiner Heidelberger Trilogie war unmittelbar einleuchtend und bedurfte
weder eines an den Haaren herbeigezogenen Mottos noch einer wortreichen
Vermittlung, auch wenn Widmanns enthusiastische Einführung
so informativ wie sympathisch war. Hier sprach eine Musik für
sich, die einfach nur auf höchstem Niveau interpretiert werden
muss, um ein interessiertes Publikum zu erreichen. Leos Janáceks
Concertino etwa, ein zwischen Kammermusikaskese und konzertanter
Klavierbrillanz changierendes, hochoriginelles Werk (die wunderbare
Irene Russo zeigte hier, dass sie sich nicht nur auf Widmanns pianistische
Klopfzeichen versteht). Oder Janáceks Violinsonate, die Carolin
Widmann mit glühender Intensität jenseits geigerischen
Oberflächenglanzes auflud.
Sie war es auch, die das Notenmaterial für die drei Soloetüden
ihres Bruders erst von links nach rechts auf zahllosen Ständern
verteilte, um diese dann in entgegen gesetzter Richtung ohne Pause
zu bespielen; eine sinnfällige Dramaturgie, sind Widmanns Etüden
doch, der Entstehungsdaten zum Trotz, miteinander verzahnt. Wie
die Geigerin diesen Weg vom Fragmenthaften der ersten, über
den kantablen Gestus der zweiten hin zur Atemlosigkeit der dritten
Studie mit manueller Souveränität und gestalterischer
Weitsicht absolvierte, war atemberaubend. Hier wächst ein Zyklus
heran, den man eines Tages vielleicht Ligetis Klavieretüden
an die Seite wird stellen können (siehe auch die CD-Besprechung
auf S. 42).
Auch an Uraufführungen waren diese beiden unerhört dichten,
aber nie überladenen Heidelberger Tage reich. Aus der Komponistenwerkstatt
stachen Maria Bulgakovas konzentriertes Klarinettentrio und Johannes
Motschmanns Quintett heraus (das Minguet Quartett ging auf dieses
neue Werk ebenso kompetent und engagiert ein wie auf Wolfgang Rihms
„Quartettstudie“ von 2004). Der Rihm-Schüler lässt
die Klarinette zwischen den Klang- und Formenwelten der drei Streicher
auf der einen und des Klaviers auf der anderen Seite vermitteln,
bis diese sich auf ein postromantisches, am Ende freilich wieder
auseinanderbrechendes Idyll einigen.
Mit phasenweise fast Strauss’scher Opulenz und präzisem
Textbezug vertonte Rihm selbst in „Das Namenlose“ zwei
Musil-Gedichte, wobei die Klarinette sich immer wieder melismatisch
aus der klavierbegleiteten Gesangslinie herauslöst. Aribert
Reimann, dessen 70. Geburtstag das Abschlusskonzert gewidmet war,
wob in „ni una sombra“ ein Rückert- und ein Porchia-Gedicht
durch eine glasklare Struktur aus immer wieder neu besetzten Interludien
mit kunstvoller Strenge in-einander. Die Besetzung Sopran, Klavier
und Klarinette stellte er – im Gegensatz zum gleichfalls anwesenden
Rihm – als etwas von außen Gesetztes in den Fokus, ohne
dass die Form in bloße Konstruktion umschlug.
Widmann selbst hat für diese Besetzung vor einem Jahr seine
bemerkenswerten „Sphinxensprüche und Rätselkanons“
geschrieben, in denen die Strenge der Selbstbeschränkung im
Kanonischen von kryptischen Gesten und Aktionen ins quasi Theatrale
transformiert wird. Ein ebenso intelligentes wie sinnlich unterhaltsames
Stück Musik. In Schuberts „Hirt auf dem Felsen“,
dem Referenzpunkt dieser neuen Werke – erneut mit der überragenden
Sopranistin Mojca Erdmann, Widmanns sprechend tönender Klarinette
und Axel Baunis famosem Klavierspiel – rundete sich dieses
außergewöhnliche Festival.
Der Heidelberger Frühling sollte zusehen, wie er Widmann als
Interpreten, Komponisten und Programmplaner weiter an sich binden
kann. Etwas Kostbares ist hier entstanden, das nach Fortsetzung,
nach Kontinuität verlangt.