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nmz-archiv
nmz 2006/05 | Seite 38
55. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Rockmusik als kruder Erlebnispark
Wie Kaizers Orchestra das frühlingsgeküsste München
schrubbt
Die klapprige Wellblech-Arena ist voll; kein anderer Club als
das „Backstage“ dürfte die norwegische Kapelle
Kaizers Orchestra willkommen heißen. Nur dieses Ambiente passt.
Klein genug, atmosphärisch dicht und nostalgisch sowieso. 1998
starteten Jan Ove Ottesen (Gesang, Piano, Resonanzkörper),
Geir Zahl (Gitarre, Gesang), Terje Vintersto (Gitarre, Mandoline),
Rune Solheim (Schlagzeug, Perkussion), Helge Risa (Pumporgel, Piano)
und Jon Sjoen (Bass) in Bergen (Norwegen) ihr skuriles, eher ungewöhnliches
Orchester. Rockmusik trifft da auf russische Polka-Seele, Tom-Waits-artige
Destruktivität und auf unendliche Tanzbarkeit.
Jan
Ove Ottesen hat Gitarre, Band und Publikum im Griff. Foto:
Sven Ferchow
Im Jahr 2001 veröffentlichen sie ihr Debütalbum „Ompa
Til Du Dor“, das 2003 in Deutschland erscheint. Ein Jahr später
kommt der Nachfolger „Evig Pint“, ein düsteres
Rockalbum, und 2005 schließlich „Maestro“, der
klare Höhepunkt der Bandgeschichte. Dabei sehen die Norweger
eher aus, als kämen die frisch aus der DSDS-Show; die Anzüge
gebügelt, die Haare modisch bis trendy frisiert. Der Schein
trügt. Wahrscheinlich lügt er sogar. Den Beweis trat Kaizers
Orchestra am 21. März in München an. Furios und kannibalisch
legen sie los. Das Repertoire besteht aus den bisherigen Alben-Veröffentlichungen,
gleichzeitig kann man praktischerweise auf die bald anstehende Veröffentlichung
der Live-CD/DVD „Live At Vega“ (Universal) hinweisen.
Der Sound ist glasklar und angenehm laut. Die Gitarren kratzen
nebenbei ein wenig mit, hinter allem sitzt der man mit der Gasmaske,
die er während des gesamten Auftritts auch nicht abnimmt: Helge
Risa. Er bedient die Pumporgel oder das Akkordeon oder das Piano
und fertigt den unnachahmlichen, unikaten Kaizer‘s Orchestra-Sound.
Zur Schlagzeugunterstützung wird mit dem Brecheisen auf eine
Autofelge gedroschen, auf der Bühne stehen regentonnenartige
Resonanzkörper, die mit allem bearbeitet werden, was die Band
zur Hand hat. Schlicht ein Erlebnis, weil so angenehm vom herkömmlichen
Rockauftritt abweichend. Obendrein drischt Bassist Jon Sjoen, der
ausschließlich Kontrabass spielt, während seines Solos
mit Drumsticks auf seine Saiten und avanciert so zur personifizierten
Garantie für freie Gehörgänge. Sänger Jan Ove
Ottesen hat Band und Publikum im Griff, ohne sich aufzudrängen.
Keine peinlichen Ansagen, keine Verlegenheits-Animation. Wozu auch.
München tanzt den kompletten Auftritt durch; an manchen Stellen
des Konzerts spricht man scheinbar norwegisch, mitgesungen wird
prophylaktisch alles. Jan Ove Ottesen gibt den Rest freiwillig dazu:
eine saubere Stimme, die durch eine eigene Färbung und markante
Brillanz über den Songs steht. Ein Vergnügen wie unkompliziert
und gestenfrei Kaizers Orchestra durch den Abend schunkelt. Musik
muss wieder humorig und verrückt sein. Das wird allen klar
an diesem Abend. Dass man dazu ruhig ausgeflippte Ideen haben darf,
sich was trauen muss und gleichzeitig eine unbekümmerte Lockerheit
bewahren kann, das dürfte ein Fazit des Abends sein. Darum
gibt’s in Deutschland eben nur das Motto „Einer macht
es vor, die anderen hecheln hinterher“. Dazu passte der wohl
komischste Kauz an diesem ersten Frühlingsa bend: „Micka
from Sweden“ eröffnete das Konzert. Bewaffnet mit einem
Revolver, um Ratten auf der Bühne zu erlegen. Ausgestattet
mit einem spießig dekorierten Piano, auf dem ein grünes
Wahlscheiben-Telefon steht, daneben Bilder, ein Pokal und ein Kerzenleuchter
für drei Kerzen, die „Micka from Sweden“ huldvoll
anzündet, um alsdann sein Repertoire vorzustellen. Man könnte
ihn Singer/Songwriter nennen. Ohne Gitarre. Er spielt sich durch
fünf Songs, deren unaufgeregte Texte uns aber auch kaum Neues
vermitteln: „Life can be a mystery, life can be a whore“.
Die Pianobegleitung ist eine verknotete Mischung aus gehobener Western-Saloonmusik
und ausholenden Melodien, die gar nicht so subtil ständig an
die amerikanische Nationalhymne erinnern. Während der Songs
unterbricht „Micka from Sweden“, um einen Anruf des
schwedischen Königs entgegenzunehmen oder um eine Geschichte
seiner Frau zu erzählen, die einen Schuhtick hat, den er zum
Song verwurstet hat. Rein musikalisch ein verzichtbarer Auftritt.
Doch eigenbrötlerisch und verschroben und somit wieder perfekt
in den Kontext des Kaizers Orchestra passend.