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nmz-archiv
nmz 2006/05 | Seite 39
55. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Die Komik des Einfachen als Protest gegen den Weltlauf
Luca Lombardi verabschiedet sich mit seiner Oper „Prospero“
von kämpferischen Fortschrittstheorien
Der italienische Komponist Luca Lombardi (Jahrgang 1945) hat mit
seinen musikalischen Werken immer schon konkret gesellschaftlich
Stellung genommen. Schon in den vorangegangenen Opern, vor allem
in der Stalin-Schostakowitsch-Oper „Dmitri oder der Künstler
und die Macht“, ging es ihm um die Pervertierung von Idealen,
die im politischen Geschäft und in der Verfolgung von Herrschaftsinteressen
zerrieben wurden.
Richard
Kindley als König von Neapel in Luca Lombardis Oper
„Prospero“ am Staatstheater Nürnberg. Foto:
Marion Bührle/Staatstheater Nürnberg
Seine nun in Nürnberg uraufgeführte dritte Oper „Prospero“
nach Shakespeares „Sturm“ geht hier noch einen Schritt
weiter. Die kämpferischen Fortschrittstheorien, die auch Lombardi
als intellektueller italienischer Linker einst hatte, sind dahin.
Es bleibt allein der Sarkasmus der Analyse. „Prospero“
ist eine Komische Oper, aber die Komik ist allein Hülle für
eine desillusionierte Weltsicht. Am Schluss der Oper suchte er freilich,
die Motivation für das Werk ausführlich zu erklären.
Das ist immer schwierig, denn Oper erklärt nicht – oder
tut das allenfalls mit einem kühnen Schluss-Strich, wie er
Verdi im „Falstaff“ mit „Alles in der Welt ist
Spaß“ gelang. In dieser italienischen Tradition sieht
sich Lombardi, ausdrücklich nennt er auch Puccini (und Busoni,
Dallapiccola und Nono), den es unter Zeitgenossen neu zu werten
gelte. Da hat er zwar Recht, es sichert aber noch nicht das Gelingen.
Man muss etwas auf die Hintergründe blicken, allein schon
deshalb, weil sich Lombardi mit seiner neuen Oper radikal allen
Frust an der gesellschaftlichen wie musikalischen Gegenwart vom
Leibe schrieb. Schon Shakespeares Insel, auf der Prospero sein Reich
errichtete und wo er mit Hilfe des guten Geistes Ariel die einstigen
Feinde an die eigenen Gestade trieb, ist Reagenzglas. Was geschieht,
wenn im Sturm die installierten Machtverhältnisse zerrieben
sind? Emporkömmlinge drängen in die vakanten Positionen,
nicht um die Verhältnisse zu ändern, sondern um innerhalb
alter Strukturen bessere Plätze zu besetzen, selbst wenn moralisch
edlere Motive den Ausgang bildeten. Das Geschehen im und nach dem
Sturm ist ein Spiel, eine Versuchsanordnung. Die chemischen Elemente
werden durchgeschüttelt und man sieht zu, welch neue Formen
entstehen würden (allein Ariels überirdische Zauberkraft,
gelenkt vom Spielleiter Prospero, reguliert die Prozesse).
Und so gibt es in der Oper, die Shakespeares Modellanordnung als
Folie verwendet, viele Anspielungen auf ehemalige Klischees: Etwa
wenn das trunken machtgeile Paar, der Kellermeister Stefano und
der Hofnarr Trinkulo, die 68er-Parole „Freiheit für Caliban“
grölen oder wenn sich in den Liebesszenen zwischen Ferdinando
und Miranda Kitsch mit demonstriertem Schönklang mischt. Alles
ist nur Spiel, das verdeutlichen auch die Bezüge zur Commedia
dell’-Arte. Miranda steckt in einer Mischung aus Baströckchen
und harlekineskem Leibchen, Trinkulo kräht, wie es die ratlos
eifrigen Dottores oder Advokaten in den Komischen Opern tun, die
ehemaligen Machthaber, Alonso, der König von Neapel, oder der
Bruder von Prospero, Antonio, sind Clowns und Caliban poltert Holz
scheppernd in kräftig zerzausten tonalen Trivialmelodien herum,
denen ein quäkendes Fagott oder ein schnarrendes Kontrafagott
so etwas wie eine Basis gibt.
von
links im Bild: Hans-Christoph Begemann als Prospero und
Richard Kindley als König von Neapel. Foto: Marion
Bührle/Staatstheater Nürnberg
Aber auch Lombardi spielt. Die Musik in „Prospero“
schlägt allen ästhetischen Maximen der ehemaligen Avantgarde
gnadenlos ins Gesicht. Die Melodie, nicht umsonst verweist Lombardi
auf Puccini, wird mit geradezu frivoler Gelassenheit in alte Rechte
gesetzt, ein solistisch verwendetes, auf der Bühne seitlich
plaziertes Cello und klanglicher Partner von Prospero, darf Kantilenen
spinnen, die Flöte, Partner des in vier Frauenstimmen luftig
geführten Ariel, äfft lautmalerisch Windgeräusche
nach und gibt damit den materiellen Klangerweiterungsversuchen der
Moderne eins drauf. Der Klang des Orchesters ist dick geführt,
verdoppelt Stimmen und wartet mit grellbunten Farben auf. All dies
ist plastische Darstellung aus zweiter Hand, die kompositorische
Meisterschaft Lombardis freilich verhindert Momente des Eklektischen,
weil das Lapidare stets in Kippstellung zu den strengen und für
Lombardi ins Leere gelaufenen Maximen zeitgenössischer Musikästhetik
bleibt. Bruno Maderna, der große und weit unterschätzte
italienische Komponist, hat in den 70er-Jahren mit seinem skurrilen
Stück „Satyricon“ ähnliche Geister wachgerufen.
Die Lust am Hören ist so direkt, so gewaltsam geradlinig, dass
sie gezwungen wird, über die eigene Schulter zu gucken und
plötzlich das Hohle ihrer Präsenz erblickt. Lombardi knüpft
hier an, nicht allein aus der Lust am Gebrochenen heraus, sondern
weil die gesellschaftliche Macht des betäubenden Entertainments
längst alle Illusionen zwischen den Fingern zerbröselte.
Auch der Spaß ist bitter geworden.
All das ist mit souverän lockerer Hand in Szene und Musik
gesetzt, pluralistisch in den Mitteln, selbst in der Verwendung
verschiedener Sprachen für die unterschiedlichen Ebenen: Die
Gestrandeten kommunizieren italienisch, Prospero, Miranda und Caliban
(dem diese das Medium der Sprache erst beibrachten) agieren in Deutsch,
der ewige Inselgeist Ariel verharrt im Englisch von Shakespeare.
Das freilich ist nur formales Trennmittel, untereinander verstehen
sich die Protagonisten wie nach dem Pfingstwunder.
Doch man muss sich fragen, warum dann Lombardi noch einen Schritt
weiter zurückgeht und am Schluss so demonstrativ das Moment
des Allverzeihenden als Lösung in Szene setzt. Prospero wird
fast zur Christusfigur, der, bewogen von Mitleid, alle Schuld durch
Vergebung löst. Nun mag man sagen, dass dies bei Shakespeare
auch so ist, doch im „Sturm“ ist es eine Art finaler
Aufhebung der experimentellen Spielsituation. Hier in der Oper aber
wird es zur Apotheose, die viel von der Schärfe des Vorangegangen
bricht. Nicht nur Prospero verzeiht, auch, so macht es den Anschein,
Lombardi vergibt allen idealistischen Phantasten, die einst Musik
und Welt revolutionieren wollten. Hier aber zieht sich die Musik
selbst den Zahn, auf einmal wollen der schöne Klang, das Schwelgen
in Dur, das imitatorische Duett zwischen Cello und Flöte als
Aufhebung der Widersprüche wahrgenommen werden. Das Spiel ist
aus und alles wird nun gut. Man mag es nicht glauben und der Verlauf
der Oper hat hierfür keine Grundlage geliefert.
Die Leistung des Nürnberger Hauses freilich verdient hohe
Anerkennung. Zwar haben sich Regie und Bühne (Andrea Raabe
und Tobias Dinslage) weithin auf schlichte Ausstattung beschränkt,
aber das Orchester (unter Johannes Fritsch) und das Gesangsensemble
vermochten es, der Musik alle geforderte Plastik, Farbe und Glanz
zu verleihen. Die desillusionierende (und letzt-lich wieder idealisierende)
Abrechnung Lombardis wurde in scharfkantige Bühnenrealität
gesetzt.