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nmz-archiv
nmz 2006/05 | Seite 37-38
55. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Schlafmützige Justitia jagt gerissenen Judenjäger
Eine musikalische Groteske über den Nazi-Schergen Alois
Brunner: Alex Nowitz‘ „Bestmannoper“ in Osnabrück
Wie klingen Opern des 21. Jahrhunderts? Die Kammeroper auf Schloss
Rheinsberg unter der Leitung von Siegfried Matthus gründete
2002 die Rheinsberger Opernwerkstatt, um jungen Komponisten Gelegenheit
zu geben, mit ihren dort erarbeiteten Musiktheater-Stücken
auf die Frage zu antworten. Alex Nowitz‘ „Bestmannoper“
erlebte jetzt ihre Uraufführung.
Dritte
Szene: Der Gelbe Stern geht in Serie. Eva Schneidereit,
Kristine Larissa Funkhauser und Iris Marie Kotzian spielen
drei jüdische Frauen in Alex Nowitz‘ „Bestmannoper“.
Foto: Theater Osnabrück
Die Darstellung realer Unmenschlichkeit durch die Kunst, verbunden
mit der Absicht kritischer und moralischer Verurteilungen, gerät
oft schneller als beabsichtigt an Grenzen des überhaupt Darstellbaren.
Adornos Verdikt, nach Auschwitz könne man lyrische Gedichte
nicht mehr schreiben, mag deshalb unverändert gültig sein.
Niemand käme wohl auch darauf, Auschwitz mit Lyrik begreifen
zu wollen. Paul Celans „Todesfuge“ allerdings beweist
gleichsam kontrapunktisch die Legitimität, mit konzentrierter
Sprache das Grauen zu fassen, ohne es ästhetischer Glätte
auszuliefern. Der realistischen Darstellung des Grauens, der Gewalt,
der Barbarei in den künstlerischen Genres, dem Film, dem Theater,
der Bildenden Kunst und auch der Oper, sind Grenzen gezogen: Fie
Ausdrucksmittel der Kunst führen nur allzu leicht zu einer
oft gar nicht beabsichtigten Ästhetisierung des Geschehens.
Die blutige Schlacht wird zum „schönen Ölgemälde“,
das brutale Gemetzel zum heroischen Akt, das gemeine Verbrechen
zum spannenden Krimi. Die Distanz zwischen den wirklichen Vorgängen
und der künstlerischen Rezeption ist kaum zu überwinden.
Die Ausdrucksmittel der Kunst wirken, und werden sie noch so brutal
und scheinbar realistisch angewandt, wie eine unsichtbare, quasi
magnetisch aufgeladene Sperrwand zwischen den Sphären.
Die Problematik künstlerischer Bewältigung von Vergangenheit
(und natürlich auch von gegenwärtigen Ereignissen) tritt
umso stärker als Fatalität hervor, je näher die inkriminierten
Geschehnisse einer Gesellschaft und deren psychischer Verfassung
stehen. Theater, Kunst, Film können zum Nachdenken anregen,
zu Diskussion und emotionaler Anteilnahme. Die Wirklichkeit mit
all ihren Scheußlichkeiten heraufzubeschwören, scheint
unmöglich. Selbst alte Wochenschauen von Krieg und Greuel wirken
in ihrem schmutzig-körnigen Schwarz-Weiß irgendwie nur
noch dekorativ: eher als spannende Bilder aus der Vergangenheit.
Die Kunst, besonders der Film, hat immerhin ein Mittel entdeckt,
das Böse darzustellen und somit zu bekämpfen: die grimmige
Satire, die grelle Groteske, den tödlichen Klamauk. Ernst Lubitsch
führte auf diese Weise mitten im Zweiten Weltkrieg in „Sein
oder Nichtsein“ seinen bitterbösen Satirekrieg gegen
Hitler, der Kollege Charlie Chaplin hatte schon 1940 mit dem „Großen
Diktator“ die Abrechnung vorgenommen. Solche satirischen Abrechnungen
verfolgen nicht allein den Zweck, den verhaßten „Gegenstand“
zu treffen, sie dienen auch gleichsam als Selbstschutz, als Notwehr
der eigenen Psyche. Da Lachen töten kann, muss man es zuletzt
damit versuchen. Das schafft Distanz, auch Erleichterung für
die Seele, die es zu retten gilt.
Das alles muss hier etwas ausführlicher bedacht werden, wenn
man jetzt auf dem Musiktheater einer neuen Vergangenheitsbewältigung
begegnet. Das Theater Osnabrück setzte sich für Alex Nowitz’
und Ralph Hammerthalers „Bestmannoper“ ein. „Die
Bestmannoper“ beschäftigt sich mit der Figur des 1912
im Burgenland geborenen Österreichers Alois Brunner. Brunner
diente sich im Dritten Reich Adolf Eichmann an, der ihn als seinen
„besten Mann“ bezeichnete. Der „Fall Alois Brunner“
ist vor allem durch die Dokumentation von Georg M. Hafner und Esther
Schapira öffentlich gemacht worden, wobei sich der „Fall“
gleichsam in zwei Teile aufspaltet: Während des Dritten Reiches
treibt Brunner über 120.000 Juden in den Tod, nach dem Krieg
taucht er unter, entzieht sich geschickt allen Nachforschungen,
führt die Justiz an der Nase herum, versteckt sich hier und
da, zuletzt in Damaskus in Syrien, wobei allmählich offenkundig
wird, dass die Staatsanwälte die Verfolgung der Spuren recht
lasch betrieben. Außerdem wird Brunner auch politisch gedeckt,
von arabischen Machthabern, denen Brunners Judenhass keinesfalls
verwerflich erscheint, aber auch der amerikanische Geheimdienst
kann ihn nach dem Krieg zeitweilig gut gebrauchen. In der Bundesrepublik
lebt Brunner in den 50er- Jahren als Alois Schmaldienst in Essen,
arbeitet als Kellner, Bergmann und als Lastwagenfahrer für
die amrikanische Armee. Alte Kameraden aus SS-Zeiten, die es schafften,
wieder in Dienste der Bundesrepublik zu gelangen, besorgen ihm Pass
und Reisetickets, damit Brunner als Dr. Georg Fischer über
Ägypten nach Syrien gelangen kann.
Als die syrische Polizei dem Waffenschieber Fischer auf die Spur
kommt, gibt dieser sich als Judenjäger zu erkennen, worauf
ein Polizeibeamter ihm die Hand geschüttelt haben soll: Deine
Feinde sind auch unsere Feinde. Brunner wird beim syrischen Geheimdienst
„Experte für Judenfragen“. Bei einem Anschlag verliert
er ein Auge, später zerfetzt ihm eine Briefbombe des israelischen
Geheimdienstes die linke Hand. Alois Brunner übersteht alles
und wird nicht gefasst.
Die Darstellung dieser Verfolgungsjagd ohne Ergebnis könnte
noch um zahlreiche abenteuerliche Details fortgeführt werden,
und wären da nicht die Verbrechen im Dritten Reich, so würde
die Aneinanderreihung der Vorgänge in einem schnelllaufenden
Film ein hinreißendes Stummfilmkino ergeben: Wie ich die Polizei
foppte. Mit Alois Brunner als ein anderer Buster Keaton. Schmächtig
war Brunner ja auch. Aber da sind die toten Menschen, die unschuldigen
Kinder, die Brunner noch bis zuletzt in den Tod schickte.
Wie lässt sich das auf die Bühne bringen und mit der
bundesdeutschen Justizfarce, die sehr ärgerliche, bösartige
Züge trägt, verbinden?
Alex Nowitz als Komponist und Ralph Hammerthaler als Librettist
gingen ein hohes Risiko mit ihrer „Bestmannoper“ ein:
Noch eine Betroffenheitsbekundung? Die Autoren erkannten, dass nur
knappe, präzise Szenen, eine ebenso knappe, gemeißelte
und rhythmisierte Sprache, eine sprunghafte Zeitstruktur für
die Handlungsabläufe und eine gehärtete, griffige Musiksprache,
die den brutalen Effekt eben-so beherrscht wie die ironisch-zynische
Verfremdung, dem Komplex Brunner auf der Bühne beizukommen
vermögen. Brecht und Weill scheinen im Aufriß der Szenen
herein, aber Nowitz und Hammerthaler treiben in der makabren Zuspitzung
und absurden Übersteigerung mancher Szenen die Vorgänge
sehr nahe an unsere gegenwärtigen Nerven heran. Hinter den
oft grotesk gezeichneten Figuren und Vorgängen dringt immer
wieder die Realität durch: Nichts ist frei erfunden, auch wenn
alles wie ein Albtraum erscheinen will. Die Verhaftungsszene des
jüdischen Vaters, der seinen Sohn zwingt, sich im präparierten
Kleiderschrank zu verstecken, nimmt einem fast den Atem. Die Wirtshausszene
zu Beginn (auch die NSDAP begann im Bierkeller) geriet ein wenig
länglich, mit der Musique concrete aus Gläserklirren,
Stühleschieben und Rülpsern. Der Kindertransport mit idyllischer
Spielzeugeisenbahn signalisiert nur den Zynismus, der sich hinter
allem verbarg. Die Szenen, die nach dem Krieg spielen – Bestmann
und sein Double Doppler unter Tage sich verbergend, die Neu-Maskierung
beim Friseur, die Flucht nach Damaskus, das Andienen an das dortige
Regime und dazwischen eingeblendet eine apathisch-träge deutsche
Justiz – sie wirken überzeugend, weil dahinter eine unheilvolleWirklichkeit
steht. Die Osnabrücker Aufführung gewinnt aus Genauigkeit
der Beobachtung und gestischer Präzision eine große Dichte:
Regie Immo Karaman, Ausstattung Timo Dentler und Okarina Peter.
Das Orchester unter Till Drömann agiert klangscharf und engagiert.
Großes Engagement auch bei den Sängern: Mark Bowman-Hester
als Bestamann, Genadijus Bergorulko als Doppler und Christoph Nagler
als Jaccuse ragen hervor. Die Zusammenarbeit der Osnabrücker
Oper mit der Rheinsberger Opernwerkstatt bescherte dem Musiktheater
ein wichtiges Werk für eine aktuelle Zeitoper.