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nmz-archiv
nmz 2006/05 | Seite 41
55. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Novitäten-Reigen mit mehr als dreißig Uraufführungen
„Via nova“ organisiert die 7. Weimarer Frühjahrstage
für zeitgenössische Musik
In Sachen Werbung und Marketing macht den Organisatoren der Weimarer
Frühjahrstage für zeitgenössische Musik so leicht
niemand etwas vor. Die Festivalfarbe, ein kräftiges Orange,
prägt das gesamte Stadtbild, ob in Form von großformatigen
Bannern oder von Plakaten, die jedes Konzert des Festivals gesondert
ankündigen. Das Programmbuch, immerhin 100 Seiten stark, ist
kostenlos zu haben, um die Schwelle des Konzertbesuchs herabzusetzen.
Alle Mitarbeiter, ob an der Abendkasse, bei Instrumententransporten
oder am Mischpult tragen orangefarbene T-Shirts mit dem Aufdruck
des Vereinsnamens und beim Abschlusskonzert wird jedem Besucher
eine Blume überreicht – mit den Daten des Festivals des
kommenden Jahres. Farbe: natürlich orange. Über mangelnden
Zuspruch konnten die Veranstalter in diesem Jahr nicht klagen. Die
meisten Konzerte im allerdings kleinen Saal der Weimarer Musikschule
waren gut besucht, fast durchwegs von einem jungen Publikum.
Foto:
Martin Demmler
Die Weimarer Frühjahrstage, organisiert vom Verein „Via
Nova“ in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Komponistenverband,
Landesverband Thüringen, befinden sich auf Expansionskurs.
Nicht nur quantitativ, auch qualitativ hat sich das Festival in
den letzten Jahren nach vorne entwickelt, meint Johannes Hildebrand,
der künstlerische Leiter des Unternehmens. Mehr als 30 Uraufführungen
konnten in diesem Jahr realisiert werden, von der elektronischen
Miniatur bis zum ausgewachsenen Orchesterstück. Eine stattliche
Zahl für ein Festival, das gerade einmal fünf Tage dauert.
Daneben ist auch eine zunehmende Internationalisierung zu beobachten.
Neben einheimischen Musikern waren diesmal auch Ensembles aus der
Schweiz und Tschechien eingeladen. Den Veranstaltern ist es gelungen,
eine Vielzahl von Förderern und Sponsoren einzubinden, was
den künstlerischen Spielraum enorm erweitert. Wie bereits in
den vergangenen Jahren genießt ästhetische Offenheit
oberste Priorität in Weimar. Keine Strömung soll ausgegrenzt
werden, sondern man möchte ein möglichst vielseitiges
und undogmatisches Abbild dessen aufzeigen, was heute kompositorisch
möglich ist. Deshalb gibt es bei den Weimarer Frühjahrstagen
auch kein Generalthema, denn das würde den Rahmen des Spektrums
unnötig einengen, so Hildebrand.
Einen Schwerpunkt der Arbeit bilden die Aufführungen von Werken
junger Komponisten, die in Thüringen leben und arbeiten. Dass
nicht jede dieser Premieren hielt, was sich die Veranstalter wohl
davon versprachen, ist nur natürlich. Die Bandbreite des Gebotenen
war in der Tat erstaunlich und reichte von elektronischer Musik,
neuen Werken für Kinder und Jugendliche, die von Schülern
und Lehrern der Weimarer Musikschule dargeboten wurden, bis hin
zu sinfonischer Musik im traditionellen Abschlusskonzert der Staatskapelle
Weimar oder avantgardistischen Experimenten wie der skurrilen gemeinschaftlichen
Schrei-Performance „Roots“ von Gerhard Stäbler
und Peter Köszeghy, die in Weimar ihre Uraufführung erlebte
(siehe unser Bild unten). Wenn Peter Köszeghy am Ende der Performance
in Rock und BH mit lippenstiftverschmiertem Gesicht neben dem Flügel
barbarische Schreie ausstößt und Gerhard Stäbler
unter den Stühlen des Publikums hindurch robbt und dabei seltsame
Klänge von sich gibt, fühlt man sich stark an entsprechende
Events aus den siebziger Jahren erinnert. Das Stück polarisierte
wie kein anderes in diesem Jahr, und das Publikum, das es mit Humor
nahm, fühlte sich angeregt, seinerseits durch Bei- und Missfallskundgebungen
an der Performance zu partizipieren.
Gegenüber diesem halbstündigen Event wirkte vieles im
diesjährigen Programm ausgesprochen brav. Das aus Prag angereiste,
junge Ensemble MoEns präsentierte überwiegend Arbeiten
von Mitgliedern des Ensembles, die in ihrer musikantischen, mitunter
auch neoromantisch gefärbten Sprache nur wenig überzeugen
konnten. Auch die Beiträge des Instituts für Computermusik
und Klangtechnologie der Hochschule für Musik und Theater in
Zürich glichen zumeist eher zurückhaltenden, unfertigen
Studien als vollgültigen Werken, abgesehen von dem raffinierten
Spiel mit Sein und Schein in „Real-Unreal, true-false“
für Stimme, Tonband und Live-Elektronik der Zürcher Komponistin
und Saxophonistin Karin Ernst.
Einer der Höhepunkte der Frühjahrstage war das Konzert
des phänomenalen Schlagzeugduos Marta Klimasara und Jürgen
Spitschka. Mit diesen beiden Musikern kam es nicht nur zu einer
fulminanten Interpretation von Georg Katzers Schlagzeugstück
„Herz“, sondern auch zu einer Wiederbegegnung mit einem
Klassiker der Minimal-Musik: Steve Reichs „Marimba Phase“
von 1980.
Ergänzt wurde der Reigen der Konzerte durch Workshops und
Symposien. Vor allem in der Veranstaltung zur Geschichte der elektroakustischen
Musik in der DDR staunte das überwiegend jugendliche Publikum
nicht schlecht, als Lothar Voigtländer und Georg Katzer berichteten,
wie schwierig es noch vor 20 Jahren war, im Osten Deutschlands geeignetes
Zubehör zu beschaffen, um halbwegs professionell produzieren
zu können.
Durchweg interessante Werke bot die Finalrunde des Kompositionswettbewerbs
der Klangwerkstatt Weimar. Vier Werke wurden eingeladen und im Konzert
vorgestellt. Den ersten Preis erhielt in diesem Jahr Sebastian Stier
für sein Stück „hin her“ für Klarinette,
Violoncello und Akkordeon. Der zweite Preis ging an Sven-Ingo Koch
für „domes“ für Klarinette, Violoncello und
Akkordeon. Den dritten Preis teilten sich Susanne Stelzenbach und
die junge Koreanerin Ji-Young Oh.
Im Abschlusskonzert mit der Staatskapelle Weimar unter der souveränen
Leitung von Fabrice Bollon hatte allerdings ein Altmeister die Nase
vorn. Denn neben „exeo“ für Orchester von Pascal
Dusapin waren es vor allem „Les Idées fixes“
von Mauricio Kagel, die den Werken der jüngeren Komponisten
die Show stahlen.