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nmz-archiv
nmz 2006/05 | Seite 28
55. Jahrgang | Mai
Jeunesses Musicales Deutschland
Den Klang der Seele hörbar machen
Kinderkompositionskurs der JMD – Spannendes Abschlusskonzert
mit Internetkommunikation
Weikersheim/Wittenberg. „Von Drin- nen Nach Draußen“
hieß der Titel des Experiments, das jetzt mit zwei Konzerten
zum Abschluss kam. Die Jeunesses Musicales Deutschland hatten einen
Kompositionskurs für Kinder angeboten – einen Kurs mit
dem Ziel, das, was drinnen in der Seele klingt, auch nach außen
hörbar zu machen.
Keine
„verrückten Querköpfe“, sondern kreative,
sehr junge Komponisten. Fotos: JMD
Die Weikersheimer Kompositionskurse waren schon für manchen,
der nicht nur ein Instrument erlernt, sondern dabei immer wieder
über das hinausgeht, was normale Hörerfahrung ist, schlechthin
die Rettung. Endlich zu erfahren, dass man nicht einfach nur ein
verrückter Querkopf ist, der den Ansprüchen von Klavier-
oder Geigenlehrer nicht gerecht wird, sondern dass ein besonderes
Talent sein kann, was oft so quer zur Hörerfahrung durch den
Kopf spukt – welch eine Befreiung.
Die Zwangslage des musikalischen Konformismus dürfte sich
für die 17 Kinder und Jugendlichen aus Weikersheim und Wittenberg,
die sich jetzt ein halbes Jahr mit der neuen Welt der Komposition
auseinandergesetzt haben, gar nicht erst entstehen. 10 bis 14 Jahre
alt sind die Teilnehmer, die sich auf das Abenteuer Komposition
eingelassen haben. Ihren jeweils ganz spezifischen Blick brachten
sie mit, Instrumentalkenntnisse auf recht unterschiedlichem Niveau,
dazu eine riesengroße Neugier.
Die Kunstinsel, auf der kreativer Umgang mit dem Klang zum ganz
normalen Alltag gehört, hatte drei Zentren: In Weikersheim
die Jeunesses Musicales und Kursbetreuerin Eva-Magdalena Ammer,
in Wittenberg die Musikschule und Klaus Vogelsang – und im
Internet die von Dirk Hangstein betreute Meeting-Seite, über
die sich die jungen Komponisten regelmäßig miteinander
und mit den beiden Kursleitern Astrid Schmeling und Matthias Kaul
in Verbindung setzen konnten.
Die elektronische Community wurde durch „do IT“, die
IT- und Medienoffensive Baden-Württemberg, gefördert.
Unterstützung kam auch von der PWC-Stiftung Jugend, Bildung,
Kultur und vom Verein der Freunde der Jeunesses Musicales Deutschland.
Die Förderung ermöglichte, mit Matthias Kaul und Astrid
Schmeling hochkarätige Dozenten für die 17 jungen Kompositionsschüler
zu engagieren, in Weikersheim und Wittenberg je einen großen
Kompositionsworkshop für alle Teilnehmer anzubieten –
und die beiden Abschlusskonzerte zu organisieren.
Arne Präger (Jahrgang 1995, im Bild vorn rechts) macht
mit Luft Musik. Die Geige wird geklopft, die Gitarre gestrichen,
ein Ventilator setzt das Backförmchen-Windspiel in
Bewegung Der Titel der Komposition: „Musik liegt in
der Luft“.
Die gerieten jetzt zum spannenden Ereignis, klanglich wie optisch.
Gleich reihenweise Welturaufführungen hat „Von Drinnen
Nach Draußen“ hervorgebracht. Es hat, wie JMD-Geschäftsführer
Ulrich Wüster einführend bemerkte, doch manches für
sich, auf dem eigenen Instrument noch nicht ganz so virtuos zu sein:
Das macht es leichter, sich auf ganz neue Klänge einlassen
zu können, den Exkurs in die Welt eigenständigen Komponierens
schlicht als Abenteuer zu erleben.
Erstaunlich ist die Vielfalt, mit der sich die jungen Komponisten
der Herausforderung Klang stellten. Die reicht von der Duo-Kompositions-Serie
der Schwestern Franziska und Julia Lei-meister, die die Weikersheimer
Schloßpfauen beobachteten, sie am Morgen, bei der Fütterung,
in der Nacht und beim Schlaf portraitierten, über das Wechselbad
der Gefühle, das Felix Koglin (Jahrgang 1992) in „My
Bittersweet Symphony“ am Flügel umsetzte bis hin zum
„Waldbrand“ für großes Ensemble vom 1996
geborenen Lukas Ammer.
Lara Franke und Charlotte Stenz komponierten mit „Ways of
Meeting“ den Konzertauftakt. Acht Spieler in Bewegung –
tiefer Trommelklang aus dem Hintergrund der Stadthalle, helle Klänge,
die ihnen von der Bühne her begegnen. Die Spieler wanderten
aufeinander zu, kamen einander nah, das Publikum erlebt Klangbegegnung
ganz direkt.
Amüsant geriet Joseph Hangsteins (Jahrgang 1994) „Spion
1“, eine Klangkollage mit dem Spielzeugauto, bei der die Trommel
mit dem Zollstock geschlagen und gerieben wurde, Töne aus Sand
und Wasser zu rieseln schienen; mit präpariertem Klavier, Geigenbogen
am Fahrradreifen – der Bogen wurde zum Instrument, das auf
dem Kopf stehende Fahrrad zum Bogen –, verfolgt Steve Oswald
(Jahrgang 1993) den „Spion 2“; Liam Ruske (Jahrgang
1996) konzipierte gleich einen kompletten Kriminalfall klanglich
– vom Autoklau über die Verfolgung bis hin zum Unfall.
Wer sagt, dass die Tasten des Flügels nur mit den Fingern
angeschlagen werden dürfen? Max Kiefner (Jahrgang 1992) wollte
dichte Cluster für sein Feuerwerk der Farben, forderte einen
über die Tastatur gerollten Ball – und großes Ensemble.
In fünf Sätzen führte Philip Hillig mit Flöte,
Trompete, Klavier und Percussion durch den Schultag. Die Sätze:
Sport, Musik, Mathematik, Kunst und Physik. Wie, bitte schön,
soll man nur Mathe oder Physik in Klang umsetzen? Es geht, die Zuhörer
sind erstaunt. Physik etwa forderte mit ihrem Spiel der Kräfte
Rhythmik, Power und verhalten eingesetzte, gebändigte Energie;
die Kunst ging spielerischer zu Werk, formulierte am Klavier jazzige
Improvisation. Ganz frisch ging Tilmann Stolte (Jahrgang 1992) in
New-Old-Friends zu Werk, entfaltete ein wahres Furioso am Schlagzeug,
mit raschen und scharrenden Klängen auf dem Marimbaphon akzentuierte
Cillian Groll (Jahrgang 1996) vier kunterbunte Tierstücke.
Mit Marimba und Blockflöten regiert Caruso die Hennenschar,
der Falke brauchte für seine spektakulären Flugmanöver
Blockflöte, Violine, Viola und einen Schneebesen, die Speiklapperkobra
kam mit Flöte solo aus, und der Delphin benötigte nicht
nur Posaune und Klavier, sondern auch eine Wassertute und Sprechgesang.
Beeindruckend war Arne Präger (Jahrgang 1995), der für
acht Spieler „Musik liegt in der Luft“ komponierte,
dazu ein Klangmobile aus Ausstechformen baute, einen Ventilator
einsetzte, dazu die Glasharfe – und wirklich, da war sie,
die Musik in der Luft. Zoe Biedermann (Jahrgang 1996) und Juliane
Schmidt (Jahrgang 1995) hatten sich gemeinsam einer Herausforderung
gestellt: „Deutschland sucht das Superwetter“. Sie setzen
Sprechgesang als Bannspruch gegen Regenwetter ein – und Vogelstimmen,
Lochstreifen-Spieluhr, Trommelschlegel im Klavierbauch, Glasharfe
und, ja, wirklich, eine echte Dusche, die zögernd tropfte,
dann lief, laut rauschte. Hoppla, das ist doch schon ein echter
Herbstorkan mit ganz gewaltigem Niederschlag... Annette von Droste-Hülshoffs
Ballade vom „Knaben im Moor“ gab Julia Sattelberger
die Inspiration. Mit Flöte, Violine, Violoncello, Gambe, Flügel,
Gitarre und Percussion produzierte sie eine ungeheure Darstellungsintensität,
in der die Sägegeige ganz und gar nicht fehl am Platz ist.
Sind das jetzt alles angehende Komponisten? Mal schaun, mal sehn,
mal weiterhören. Zumindest haben 17 Kinder Türen aufgestoßen,
sich auf Klangwelten eingelassen, die völlig jenseits der traditionellen
Unterscheidung in U- und E-Musik stehen. Sie haben ausprobiert,
getestet und notiert. Wie viel der Umsetzung den beiden Dozenten
aus Winsen an der Luhe, wie viel den Kursbegleitern aus Weikersheim
und Wittenberg zu danken ist, ist fürs Publikum schwer einzuschätzen.
Die Notationen sind zum Teil ein eigenes Abenteuer, erscheinen dem
Laien eher als Gemälde denn als Notenblatt. Dennoch, so die
Dozenten, ist reproduzierbar, was die Kids notierten. Zumindest
das haben sie mit den beiden Konzerten in Wittenberg und Weikersheim
unter Beweis gestellt.