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nmz-archiv
nmz 2006/05 | Seite 32
55. Jahrgang | Mai
Jugend musiziert
Notorisch im Dialog mit allen Musikschaffenden
”Jugend musiziert“ hat eine beachtliche Integrationskraft
– auf hohem musikalischen Niveau
In wenigen Wochen beginnt der 43. Bundeswettbewerb ”Jugend
musiziert“. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Aber
auch wenn sich das Augenmerk im Moment auf organisatorische Details
richtet, so steht der gesellschaftliche Auftrag des Förderprojektes
zu keiner Zeit infrage und kann gar nicht groß genug gefasst
werden. Denn von ”Jugend musiziert“ soll sich jeder
und jede angesprochen fühlen, in jedem Lebensalter, welcher
Nationalität und Herkunft auch immer. Dem Prinzip „kleine
Ursache, große Wirkung“ wird vertraut und das heißt,
dass es unter diesem Gesichtspunkt keine Rolle spielt, ob man aktiv
musiziert oder dem Musizierenden lauscht. Ob man auf oder hinter
der ”Jugend musiziert“-Bühne beschäftigt ist.
Es handelt es sich bei diesem Förderprojekt also keineswegs
um eine elitäre Veranstaltung gut situierter deutscher Staatsbürger.
Aseel
Osama aus Alexandria erhielt 2003 als erste Teilnehmerin
der Deutschen Schulen im Ausland einen 1. Bundespreis der
Kategorie „Gesang“. Foto: E. Malter
Wer bei ”Jugend musiziert“ mitmacht, den Mut hat, allein
auf einer Bühne zu stehen und vor einer Jury 20 Minuten zu
musizieren, der hat zumindest schon Omas ersten Merksatz begriffen:
„Von nichts kommt nichts.“ Denn das zeichnet die ”Jugend
musiziert“-Teilnehmer vor allem aus: ein vergleichsweise strukturierter
Tagesablauf. Selbst die Ferien werden nicht mit Rumhängen verbracht.
Hier mögen Eltern tatsächlich Vorbild gewesen sein, erzwingen
können sie solch ein Verhalten auf Dauer nicht, sie können
nur überzeugen.
Insofern also zugegeben: ”Jugend musiziert“ kann nicht
alle Kinder aus allen Bevölkerungsschichten zu Teilnehmern
machen, weil der Wettbewerb selbst voraussetzungsreich ist, auf
die Beherrschung bestimmter Fähigkeiten setzt, darauf aufbaut
und sie weiter zu entwickeln hilft.
Auch sind die Bedingungen des Förderprojektes nicht dazu
geschaffen, auf direktem Wege allen Kindern aus der Perspektivlosigkeit
zu helfen. Über indirekte Wege aber eben doch. Und nicht zuletzt
verändert auch ein engagierter Musikpädagoge den Horizont
seiner Schüler – und umgekehrt.
Bei ”Jugend musiziert“ wurden die Parameter so formuliert,
dass statt Ellenbogen- und Konkurrenzdenken zunächst einmal
Raum für Vergleich, für Begegnung und Austausch ist. Ein
Raum, der freundlich dazu auffordert, ihn zu betreten, von Kindern
aller Gesellschaftsschichten, aller Nationen. Es mag für den
einen oder anderen überraschend klingen, aber: bei ”Jugend
musiziert“ sind auch Migrantenkinder längst angekommen.
Beweise finden sich am Anfang des Wettbewerbsjahres ebenso wie an
dessen Ende. Anfang der 90er-Jahre hatte der Beirat des Projektes
”Jugend musiziert“ beschlossen, die Berechtigung zur
Teilnahme zu lockern. Bis zu diesem Zeitpunkt musste ein Jugendlicher
ein Jahr in Deutschland gewohnt haben. Künftig konnte mitmachen,
wer am Stichtag 1. Dezember einen ersten Wohnsitz in der Bundesrepublik
hatte, gleichgültig ob eine Familie erst Tage zuvor aus dem
Ausland zugezogen war.
Der Beweis heute ist der Blick auf die Ergebnislisten im Bundeswettbewerb.
Dort teilen sich Kinder, deren Eltern aus Korea, der Ukraine, China
oder Bottrop stammen, die ersten, zweiten und dritten Bundespreise.
Das Musizieren im Ensemble, dessen Attraktivität die Wettbewerbs-Strategen
auszubauen sich vorgenommen hatten, hat sich mittlerweile zum Selbstläufer
entwickelt und befördert die Integration noch weiter: Beim
Bundeswettbewerb ”Jugend musiziert“ 2006 werden von
den 2.060 Teilnehmern beinahe 50 Prozent in Ensemblewertungen antreten
und alle eint eine einzige Verabredung: Ich bin bereit, die technisch-musikalischen
Bedingungen des Wettbewerbs, so wie sie in der Ausschreibung formuliert
sind, zu akzeptieren. Basis für alle sind Musikwerke verschiedener
Epochen und Schwierigkeitsgrade, die ein bestimmtes technisches
Können erfordern. Wer es beherrscht, der musiziert als Solist
oder mit anderen im Ensemble, sei er nun aus Istanbul oder Garmisch-Partenkirchen.
Indem der Wettbewerb zu Beginn der 80er-Jahre bis an die Deutschen
Schulen im europäischen Ausland ausgedehnt wurde (siehe dazu
nmz 02/06), öffnete er sich noch einmal. Wie weit dieser formale
Rahmen tatsächlich reicht, wie viel kreativen Spielraum er
für das eigene Musikmachen lässt, kann man im Programmbuch
von ”Jugend musiziert“ nachlesen oder im Preisträgerkonzert
beim Bundeswettbewerb hören. Wie innig und selbstverständlich
sang im Jahr 2003 eine 16-Jährige aus Alexandria im Rahmen
ihres 20-minütigen Wettbewerbsprogramms Mozarts „Abendempfindung“,
darauf ein arabisches Volkslied und schließlich Kurt Weills
Ballade von Surabaya-Johnny! Diese Performance, die die Werke des
sogenannten Abendlandes zusammen mit der Musik ihres Heimatlandes
so meisterhaft präsentierte, lässt nicht nur die E- und
U-Musiktheoretiker ins Grübeln geraten. Das Beispiel zeigt
auch, wie leichtfüßig Grenzen überschritten werden
können, weil die künstlerische Qualität das Maß
der Dinge ist und nicht die Herkunft eines Musikstückes. Ähnliche
Klang-Beispiele gibt es von den „Jugend musiziert“-Teilnehmern
der Deutschen Schulen in Finnland, Rumänien oder Portugal.
Dies alles ist übrigens kein Grund, sich auf den gesammelten
Lorbeeren auszuruhen. „Jugend musiziert“ ist notorisch
im Dialog mit Musikschaffenden, -lehrenden – und auch auf
der Hut. Mag sich der Wettbewerb nach allen Regeln der Kunst ausdehnen,
die Ansprüche an die musikalischen und technischen Fertigkeiten
der Teilnehmer sind gesetzt. Das gilt für neue Instrumente
ebenso wie für die Kernkompetenz im Bereich der „Klassischen
Musik. ”Jugend musiziert“ ist weder ein Allheilmittel
noch eine Allzweckwaffe.