[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2006/05 | Seite 8
55. Jahrgang | Mai
Magazin
Das leidige Jammertal gibt es in Bremen nicht
Ungewöhnliches Konzept, gelungene Premiere: zur neugegründeten
Jazzmesse „jazzahead!“
Am fehlenden Publikum lag’s nicht, dass es zur spontan einberufenen
Jam-Session dann doch nicht kam; es mangelte schlicht an Musikern,
willens, sich in der einstündigen Pause zwischen zwei samstagabendlichen
Festivalkonzerten ein paar Standards um die Ohren zu hauen. Eine
schöne Sache hätte das werden können: Hochschuljazzer
und die Heroen vom German Jazz Meeting auf einer Bühne, aber
viel-leicht ahnten die schon, dass sich eine solch traditionsbehaftete
Spielart inmitten dieser ausdrücklich nach vorne blickenden
Veranstaltung ein wenig merkwürdig ausgenommen hätte.
Foto:
Juan Martin Koch
Nein, nicht jenes leicht nostalgisch auf Kontinuität setzende
„Keep swinging“ gab den Ton an in Bremen, „jazzahead!“
war vielmehr Titel und Motto eines Wochenendes, das wahrlich ein
in die Zukunft gerichtetes Ausrufezeichen setzte. Mit „Jazzmesse“
wäre es frei-lich auch nur unzureichend umschrieben gewesen,
obwohl die Ausstellung selbst sich durchaus schon sehen lassen konnte.
Labels und Veranstalter, Instrumentenhersteller und Agenturen, Jazzorganisationen,
Musikhochschulen und Verlage: Insgesamt 80 Aussteller vermittelten
einen durch-aus repräsentativen Eindruck von dem, was man mit
ein wenig Selbstbewusstsein den Wirtschaftsfaktor Jazz bezeichnen
könnte.
Für den Bremer Messechef Hans Peter Schneider steht als bekennender
Jazzfan, Initiator und Antreiber dieser ersten „jazzahead!“
fest, dass es sich in einer so klar umrissenen Szene schnell herumsprechen
wird, welchen Achtungserfolg man beim Start erzielt habe: „In
drei Jahren wird die Bude so voll sein, dass man sich am Samstag
ärgern wird, nicht schon am Freitag gekommen zu sein.“
Das ist in etwa der Zeitraum, in dem Schneider die „jazzahead!“
in den Bereich führen will, wo es für die Messegesellschaft
auch wirtschaftlich interessant zu werden beginnt. Zunächst
investiert man, und das erfreulicherweise in Inhalte. In einer Zeit,
da die Frankfurter Messe sich von solchen zu verabschieden scheint,
umso erfreulicher.
Denn der Bremer Clou bestand darin, es nicht beim Jazz als Wirtschaftsfaktor
zu belassen, sondern diesen Aspekt einerseits um eine überraschende
Facette zu bereichern und andererseits den künstlerischen Bereich
und das Thema Ausbildung konsequent mitzudenken. So machten sich
zum einen in einem separat abgehaltenen Management-Seminar Businessmenschen
darüber Gedanken, wie Strukturmerkmale des Jazz gewinnbringend
in die Führung eines Unternehmens miteinbezogen werden könnten.
Und so sorgten zum anderen die weiteren „Module“, Symposium,
Festival und German Jazz Meeting (GJM), dafür, den vorgegebenen
Rahmen mit Substanz zu füllen.
Gerade das GJM erwies sich als der entscheidende Identität
stiftende und integrierende Bestandteil der „jazzahead!“.
Hier trafen alle Interessen gebündelt zusammen: die der Musiker,
die schon lange auf ein Forum warten, sich für internationale
Auftritte empfehlen zu können; die ihrer Agenten und Produzenten;
die der gut 60 geladenen Veranstalter aus 27 Ländern und die
des Publikums, das schnell erkannte, dass dies eine höchst
attraktive Konzertform sein kann.
Vorausgesetzt, die Künstler nehmen die Vorgabe eines nur
20-minütigen Auftritts als Chance und nicht als Einschränkung
an. Und hier schlug nun die Stunde großartiger Musiker und
Bands, die sich dieser Herausforderung allesamt mit Bravour stellten,
darunter das Florian Ross Trio, Nils Wograms „Root 70“
oder der faszinierende Michael Schiefel, der Thärichens Tentett
und der Formation „Jazzindeed“ seine Stimme verlieh.
Alle konnten sie auf ihre jeweils ganz eigene Weise einen kurzen,
aber intensiven Bogen spannen, der ihr Potenzial klar erkennbar
machte. Das waren zweimal vier Stunden, die unterhaltsamer, informativer
kaum hätten ausfallen können.
Auch das abendliche Festival machte mit dem Bobo Stenson Trio,
Bugge Wesseltoft oder der umjubelten Maria João einen recht
weiten Bogen um den Mainstream herum. Von John Scofields Ray-Charles-Hommage
und Randy Breckers Mitwirkung am Engstfeld/Weiss-Quartett abgesehen,
war das ein klar auf den europäischen Jazz fokussierendes Programm,
das Uli Beckerhoff, künstlerischer Leiter der „jazzahead!“,
da zusammengestellt hatte. Und genau dorthin, nach Europa, will
sich die Bremer Messegesellschaft auch entwickeln. Projektleiterin
Sybille Kornitschky hat schon die Planungen für das European
Jazz Project im Blick, das sich mit dem GJM im Zweijahresturnus
abwechseln wird: „Für den Antrag an die Europäische
Kommission haben wir schnell fünf Partnerländer gefunden:
Finnland, Schweden, Norwegen, Ungarn und Italien. Es können
aber natürlich weitere hinzukommen, die Musiker nach Bremen
schicken und die im Gegenzug deutsche Bands einladen werden.“
Im Wechsel mit dem GJM sei dies eben jenes gegenseitige Geben und
Nehmen, das einen echten Austausch ausmache.
Entscheidend für den Erfolg der „jazzahead!“
2007 wird sein, inwieweit die Gastspiele an die Attraktivität
des GJM werden anknüpfen können. Und ob es gelingt, die
Musikhochschulen und deren Klientel besser anzusprechen und zu integrieren.
Bei der Premiere hatten sich nur diejenigen Institute zu einem Stand
durchringen können, die auch die Möglichkeit hatten, sich
in den Vormittagskonzerten der Dozenten und Studierenden zu präsentieren.
Weder dieser Termin noch die von der Ausstellung im Kongresszentrum
doch einigermaßen isolierte zweite Halle waren dazu angetan,
bei den Hochschulvertretern Euphorie auszulösen.
Die keineswegs beratungsresitent wirkenden Macher zogen schon am
zweiten Tag Konsequenzen aus der unbefriedigenden räumlichen
Trennung und verlegten kurzerhand sämtliche Diskussionsrunden
in die bis dahin recht verwaiste Halle. Korrekturbedarf besteht
wohl auch beim Symposium selbst, das dem Motto „starttalkingjazz!“
noch kein rechtes Leben einzuhauchen vermochte. Natürlich saßen
da interessante und kompetente Gesprächspartner zusammen, aber
es erwies sich als relativ spannungsarm, dass jeweils vier Clubbetreiber,
Festivalmacher oder Radioredakteure unter sich blieben.
Über mehr oder weniger angeregte Plaudereien kam das oft nur
dann hinaus, wenn sich einmal eine Stimme aus dem Auditorium erhob
und den Blickwinkel änderte. Als Informationsbörse für
die ursprünglich als Zielgruppe anvisierten Jungjazzer auf
dem Sprung ins Business dürften die Veranstaltungen ebenfalls
wenig ergiebig gewesen sein, vielleicht kann auch hier ein von mehreren
Seiten vorgeschlagener Thementag in Zukunft Abhilfe schaffen. Mancher
Geburtswehen zum Trotz: Wenn der Eindruck nicht täuscht, dann
war diese erste „jazzahead!“ das bemerkenswerte Eröffnungskapitel
einer Erfolgsgeschichte, die sich dem Mut verdankt, dort neue Wege
einzuschlagen, wo sonst gerne das Jammertal angesteuert wird. Die
streckenwei-se geradezu euphorische Zustimmung der Aussteller, der
Musiker und der insgesamt etwa 3.500 Besucher sollte den Machern
Ansporn sein, die „jazzahead“ mit allen Beteiligten
nun konsequent weiterzudenken und zu einer Institution zu machen.
Der Anfang ist gemacht, oder wie Wolfram Knauer, Leiter des Jazzinstituts
Darmstadt, es formulierte: „Alles fängt klein an, und
dafür, dass das hier klein angefangen hat, war es schon ziemlich
groß.“
Text und Foto: Juan Martin Koch
Optische und akustische Eindrücke von der jazzahead! unter:
http://media.nmz.de