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Ausgabe 2006/05
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nmz 2006/05 | Seite 6-7
55. Jahrgang | Mai
Magazin

Frühkindliche Bildung – Treibstoff fürs Leben

Vortrag von Asmus J. Hintz beim Yamaha Symposium auf der Musikmesse Frankfurt 2006

(…) Das Thema Bildung steht endlich wieder auf der Agenda der Reformdebatte in Deutschland, gleichrangig mit Themen wie Arbeit, Gesundheit und Rente. Notwendig ist eine grundlegende Bildungsreform, die unter dem Motto „Früh investieren statt spät reparieren“ eine umfassende Neuorientierung der frühkindlichen Bildung bewirkt.

Deutschland, einst Exportweltmeister in Sachen Bildung, hat dieses Thema seit Ende der 70er-Jahre dramatisch vernachlässigt. In unserem Land ist die Abhängigkeit der schulischen Leistungen der Kinder von der sozialen Stellung der Familien erschreckend ausgeprägt. Kein anderes Bildungssystem in Europa ist sozial ungerechter als unseres.

Bild vergrößernDiskutierten auf der Frankfurter Musikmesse über „Musikalische Erziehung als Frühförderung“ (v.li.): Theo Geißler, nmz-Herausgeber, Björn Tischler, Studienleiter am Kieler Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen, Eckart Altenmüller, Leiter des Instituts für Musikphysiologie der Hochschule für Musik und Theater Hannover und Hans Bäßler, Vizepräsident Deutscher Musikrat und Professor für Musikpädagogik an der HMT Hannover. Das vollständige Gespräch sowie der (hier leicht gekürzt wiedergegebene) Vortrag von Asmus Hintz sind unter http://media.nmz.de als Videostream abrufbar. Fotos: Juan Martin Koch

Je früher Menschen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft an Bildung teilhaben können, desto mehr Chancengerechtigkeit wird es geben. Wenn Kinder eine Entwicklungschance und damit unsere Wissensgesellschaft eine Überlebenschance haben sollen, ist eine rasche und deutliche Verbesserung der frühkindlichen Bildung in Deutschland unumgänglich. Sie ist die Basis für eine Entwicklung, an deren Ende wieder eine vorbildliche Schul- und Hochschulausbildung steht, die unseren wirtschaftlichen Fortschritt sichert und den Ruf Deutschlands als Wissenschafts- und Kulturnation neu begründet. (…)

Entscheidend für die Kinder ist, welche Anregungen sie in den ersten Jahren ihres Lebens erhalten. Man kann ein Menschenwesen voll entfalten oder zerstören. In diesem Zusammenhang kann die Bedeutung der Kindergärten als erste öffentliche Sozialisationsräume nicht hoch genug eingeschätzt werden – immerhin verbringt ein Kind dort rund 4.000 Stunden.

Die Investitionen der Gesellschaft in die Bildung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland verteilen sich derzeit wie folgt: 5.000 Euro jährlich in ein Kleinkind, 6.000 Euro jährlich in einen Schüler, 11.000 Euro jährlich in einen Studenten. Umgekehrt wäre es richtig, denn die Förderung der Kleinsten bringt dem Staat und den Sozialsystemen langfristig mehr, als sie kostet – zum Beispiel weil dann die Nachqualifizierung arbeitsloser Jugendlicher, die kaum lesen und schreiben können, nicht mehr nötig wäre. Zentrale Erkenntnisse sind:

  • Bildung beginnt nicht erst in der Schule. Sie beginnt mit der Geburt und wird fortgesetzt in der Krippe, in der Kindertagesstätte, die mit eigenen Leistungsprofilen auf unterschiedliche Begabungen eingeht, ohne dem Selektionsdruck der Schule ausgesetzt zu sein.
  • Frühkindliche Bildung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie stellt höchste Ansprüche an die Aus- und Weiterbildung der Erzieherinnen und Erzieher sowie an die Qualität des Bildungsangebots. Dies gilt insbesondere bei der Sprachförderung sowie bei der Vermittlung musischer und mathematisch-naturwissenschaftlicher Kenntnisse.
  • Je früher und besser sogenannte bildungsferne Schichten integriert werden, desto wirksamer kann die Ausprägung verschärfender sozialer Gegensätze in unserer Gesellschaft vermieden werden.
  • Frühkindliche Bildung erfordert zusätzliche Investitionen in Milliardenhöhe.
  • Bildung und damit die Befähigung künftiger Generationen zu kreativer Leistung ist die Voraussetzung für Innovation, Wachstum und Wohlstand.

Lernen als Zumutung

Kindertagesstätten müssen als Bildungseinrichtungen gefördert und anerkannt werden. Kindergärten sind für die Bildungskarriere ebenso wichtig wie Schulen. Wir brauchen ein neues Verständnis von Kindheit und von der Stellung von Kindern in unserer Gesellschaft. Kindergärten sind keine Verwahranstalten, in denen Kinder nur betreut und aufbewahrt werden, bis die Eltern sie wieder abholen.

Bild vergrößernAsmus J. Hintz, General Manager Yamaha Music Education

Viele Eltern befürchten, ihre Kinder könnten schon vor der Schule einem Lern- und Leistungsdruck ausgesetzt sein, der den Spieltrieb und die natürliche Neugierde der Kinder einschränkt. Tatsächlich jedoch wird in den Elternhäusern kaum noch erzogen. Der Staat muss mehr denn je den Mangel an Erziehung in den Familien durch entsprechende Aktivitäten in Kindergärten und allgemein bildenden Schulen kompensieren.

Die Denkweise „mit der Schule beginnt der Ernst des Lebens“ ist symptomatisch für die Einstellung der Deutschen zum Thema Bildung: Lernen bedeutet Arbeit, Schweiß, Mühsal; nicht Spaß, Freude oder Chance. Diese Einstellung ist fundamental falsch! In Deutschland wird Kindheit als ein Schonraum gesehen, der von Anforderungen möglichst freigehalten werden soll. Wir wollen den Kindern vor der Schule möglichst keine Lernerfahrungen zumuten. Der Versuch, „den Kindern ihre Kindheit zu lassen“, hat in Wirklichkeit zur intellektuellen Vernachlässigung von Kindern geführt.

Wir sprechen davon, dass Lernen und Anstrengung eine Last sind. Wir sprechen lieber von frühkindlicher Betreuung statt von Bildung. Dass wir Kindern durch Anstrengung und Förderung zum Glück verhelfen können, ist in Deutschland derzeit nicht akzeptiert. Bildung und persönliche Leistungsbereitschaft werden nicht mehr als Grundlage für Wohlstand verstanden. Konsum und Spaß lauten stattdessen die Leitmotive. Wir müssen unsere Kinder ernst nehmen:

  • Vertrauen wir auf die kindliche Neugier und die natürliche Lernbereitschaft.
  • Ermöglichen wir Lernen ab der Geburt und nicht erst in der Schule.
  • Verstehen wir die frühkindliche Bildung als einen wichtigen Teil der Bildungsgeschichte eines Menschen.
  • Schaffen wir gemeinsam Kinderkrippen und Kindergärten, die den notwendigen Bildungsaufgaben gerecht werden. (…)

Die beiden primären Forderungen lauten: Erstens: Mehr Kinder in die Kitas! Zweitens: Mehr Chancengerechtigkeit für Schwache! Die dritte Forderung: Höherqualifizierung von Erzieherinnen und Erziehern! In Deutschland kümmern sich zur Zeit rund 375.000 Fachkräfte, darunter 240.000 Erzieherinnen und Erzieher, täglich um die Betreuung unserer Kleinsten. Wir wissen: Die Arbeit der Erzieher ist schwierig, anstrengend und in vielerlei Hinsicht herausfordernd. Jeder Grundschullehrer braucht in Deutschland ein Hochschulstudium. Erzieherinnen und Erzieher brauchen das bei uns nicht, erfüllen aber eine ebenso anspruchsvolle Aufgabe.

Sollen Kindertagesstätten Bildungseinrichtungen sein und nicht nur Betreuungsfunktionen erfüllen, dann muss die Ausbildung des Personals deutlich verbessert werden. Der Beruf muss für engagierten Nachwuchs insgesamt attraktiver gemacht werden und auch in der Öffentlichkeit mehr Anerkennung finden.

Bildungsinvestitionen

Gezielte Fortbildung für Erzieher sollte den Bachelor-Abschluss anstreben. Ein Weiterbildungscurriculum, das ständig neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Entwicklungspsychologie, der Neurobiologie, der Medizin, der Soziologie und der Pädagogik mit Schwerpunkten in Musik, Sprachförderung und Naturwissenschaften angepasst wird, muss die Grundlage aller künftigen Aus- und Fortbildung von Erziehern werden.
Kultur, Bildung und Wissenschaft sind eindeutige Stärken Deutschlands im globalen Wettbewerb. Diese Stärken dürfen nicht vernachlässigt werden. Es gibt kaum eine bessere Investition in die Zukunft eines Staates als die in Bildung. Allzu häufig wird in diesem Zusammenhang von Kosten gesprochen. Kosten sind in der Regel schlecht. Investitionen sind gut. Erfolg hat, wer in die Bildung von Menschen investiert. (…)

Der Übergang von der Produktionsgesellschaft zur Wissensgesellschaft hat bereits begonnen. Die Arbeitswelt ist geprägt von Begriffen wie Flexibilität, die Produktion erfolgt „just in time“ und „on demand“, die Arbeitswelt verändert sich in immer kürzeren Intervallen, die Halbwertszeit heutigen Wissens beträgt nicht mehr wie im 20. Jahrhundert bis zu 50 Jahre, sondern nur noch 5 Jahre. Nicht das Vorhandensein von Produktionsmitteln und natürlichen Rohstoffen entscheidet über den Erfolg einer Nation. Wissen, technologisches Know-how und Kreativität sind die wichtigsten Güter. Noch vor wenigen Jahrzehnten u u wurde der Wert einer Werkzeugmaschine größtenteils durch ihren Materialwert und ihre Produktionskosten bestimmt, heute nur noch zu etwa 20 Prozent. Den größten Teil des Wertes bilden Entwicklung oder Software und Design, also Wertschöpfungsfaktoren mit hoher Wissensintensität. Wissen wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor für jede Gesellschaft im globalen Wettbewerb. Bildung ist in diesem Zusammenhang die volkswirtschaftlich wichtigste Investition. Wer nicht investiert, fällt zurück und nimmt Verluste in Kauf. Das Ergebnis ist zunehmende Verarmung, wie wir sie heute schon beobachten können.

Die Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen sind:

  • Kinder sind vollwertige Menschen.
  • Jedes Kind hat von Geburt an große Entwicklungspotenziale.
  • Kinder haben eine natürliche Lernbereitschaft und Lernbegierde.
  • Kinder wollen etwas leisten und gefordert werden.
  • Je früher Kinder gefördert werden, desto mehr Potenziale können sie entwickeln.
  • Wir brauchen ein System frühkindlicher Bildung in Deutschland, das den unterschiedlichen Begabungen der Kinder gerecht wird und ihnen Chancen gibt, sich auszuprobieren und ihr Potenzial voll zu entwickeln.
  • Veränderungen sind notwendig und machbar.
  • Mehr Kinder, vor allem aus sozial benachteiligten Verhältnissen, müssen von besser ausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern frühzeitig an die Wunderwelt des Wissens herangeführt werden.

Wir dürfen nicht zögern, diese Erkenntnisse in die Tat umzusetzen. Es geht um die Entwicklung unserer Kinder. Nehmen wir in unseren Gemeinden die Dinge selbst in die Hand. Es liegt auch an uns, ob zukünftig in Deutschland alle Talente gefördert werden.
Etwas anderes sollten wir nicht zulassen.

Asmus J. Hintz

 

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