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nmz-archiv
nmz 2006/05 | Seite 12
55. Jahrgang | Mai
Nachschlag
Ins Offene
Silvio Berlusconi staunt. Da besitzt er hammerhart in Italien
das Meinungsmonopol und ist in seinen kapitalistischen Positionen
nicht aus dem Sessel zu drängen und wird dennoch von den windelweichen
demokratischen Strukturen ausgehoben. Dass er das nicht akzeptieren
möchte, verwundert nicht. Und von seinem Freund Bush hat er
gelernt, dass Wahlen durchaus auch im eigenen Sinne umzubiegen sind.
Aber auf dem einfachen Weg des Nochmal-Zählens (oder Verzählens)
scheint es ihm nicht zu gelingen. Doch hinter der Bühne werden
gewiss schon neue Hebel angesetzt.
Es ist eine Frage der Kultur, Niederlagen anzuerkennen. Die aber
hat Berlusconi, dem Machtstrukturen der Mafia stets vertrauter waren
als kulturelle Belange, nicht. Mit einem Besitz von etwa zwölf
Milliarden Dollar ist er der reichste Mann Italiens, er ist Mehrheitsaktionär
bei zwei der wichtigsten Verlagshäuser Italiens, nämlich
von Mondadori und Einaudi, er beherrscht (zu 90 Prozent) das italienische
Fernsehen und wusste fast stets, seine Interessen unter Umgehung
der Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen. Seine Partei „Forza
Italia“ wurde als Bastion gegen die „kommunistische
Gefahr“ aufgebaut, sie ist bewusst führerorientiert (also
auf ihn zugeschnitten) und soll den Staat lenken, wie ein großer
Betrieb zu lenken sei: das heißt in erster Linie auf Mehrwert,
nicht auf Interessen der Bevölkerung ausgerichtet.
Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 verstieg sich
Berlusconi zu folgenden Verlautbarungen: „Wir müssen
uns der Überlegenheit unserer Zivilisation bewusst sein, die
aus Prinzipien und Werten besteht, die einen breiten Wohlstand für
die Allgemeinheit gebracht haben. Der Westen wird weiterhin Völker
erobern, so wie es ihm gelungen ist, die kommunistische Welt und
einen Teil der islamischen Welt zu erobern, aber ein anderer Teil
davon ist um 1.400 Jahre zurückgeblieben. Die westliche Gesellschaft
hat Werte wie Freiheitsliebe, die Freiheit der Völker und des
Einzelnen, die sicherlich nicht zum Erbgut anderer Zivilisationen,
wie der islamischen, gehören ...“ Unter seiner Ägide
ist das kulturelle Leben Italiens grauer geworden. Wieder einmal
bestätigt sich, wie eng das politische Leben mit dem kulturellen
verknüpft ist. Kultur freilich heißt nicht, den angeblichen
Highlights von Events zu frönen, heißt nicht die Verhängung
des schlechten Seins mit den Lamettaschnüren von Glamour und
Entertainment. Kultur heißt vielmehr Vielfalt der Denkansätze,
Sensibilisierung, Austausch, Vorurteilsfreiheit, heißt Gang
ins Offene. Sie ist der kritische Stachel, der das Leben bereichert
und stärker macht, weil die Lüge keinen Platz hat. Ein
solches Kulturverständnis ist Berlusconi fremd, ja er wittert
hier sofort linksinfiltrierte Einflüsse. Und mit seiner medialen
Macht hat er dieses Kulturverständnis immer weiter ausgegrenzt
und an den Rand gedrängt. In dieses Vakuum vorzustoßen,
dürfte eines der vordringlichsten Aufgaben Romano Prodis sein.
Wenn er in erster Linie auf politische Mechanismen und vordergründige
Mehrheitsstrukturen setzt, dürfte er bald scheitern (da ist
Berlusconi versierter). Kulturelle Offenheit aber ist ein schöner
Raum. In ihm wachsen Kräfte, die vielleicht nicht plump an
einem Strang ziehen, die aber in ihrer sich gegenseitig befruchtenden
Vielfalt Energien wachrütteln, die den Geist lüften und
die Betäubung vertreiben. Denn in einer wachen Gesellschaft
haben die dumpfen Strukturen der „Forza Italia“ keine
Chance.