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nmz-archiv
nmz 2006/05 | Seite 47
55. Jahrgang | Mai
Bücher
Vom verstellten Blick auf die Gegenwart
Ein etwas anderer Beitrag zum Mozart-Jahr: Zeitgenossen im Schatten
des Wolfgang Amadé
Das wissen wir freilich alle. Mozart war zu seinen Lebenszeiten
keine ganz zentrale Erscheinung im europäischen Musikleben.
Aber was sind zentrale Erscheinungen? Gewiss haben Komponisten in
Amt und Würden größeren Einfluss, genügen mehr
den Erwartungen der (damals adeligen) Öffentlichkeit. Es sind
die Komponisten, die sich besser anpassen konnten an den Erwartungsdruck,
der sich (wie heute) am Event, am repräsentativen Auftreten
ausrichtete. Das Große gedeiht nicht mit unumschränkter
Förderung durch die maßgeblichen Stellen, die in der
Regel ästhetisch um Meilen hinterher rücken (Haydn war
da wohl ein Glücksfall, denn „sein“ Fürst
war offener, ließ das qualitative Experiment zu). Und so saßen
in den Schaltpositionen des Musiklebens zur Zeit Mozarts Musiker,
die heute längst, teils mehr, teils weniger, aus dem Bewusstsein
gedrängt sind.
Wolfgang Antesberger stellt eine fraglos subjektive Liste zusammen:
Johann Adolf Hasse, Giovanni Battista Martini, Niccolo Jomelli,
François-André Philidor, Tommaso Traetta, Johann Christian
Bach, Vicente Martin y Soler, Joseph Martin Kraus, Adalbert Gyrowetz
und Joseph Eybler (die Liste beginnt also mit Komponisten, die zwei
Generationen älter sind als Mozart und deren Lebensläufe
sich vielleicht nur zwei Jahrzehnte mit dem Mozarts schneiden; eine
größere Konzentration auf wirkliche Zeitgenossen hätte
wohl besser getan). Nun geht es ihm freilich keineswegs in erster
Linie um eine Ehrenrettung dieser durchaus verdienstvollen Persönlichkeiten,
von denen zumindest einige eine ganz eigene Physiognomie der musikalischen
Sprache vorweisen. Noch weniger geht es ihm darum, so etwas wie
eine Ebenbürtigkeit zu Mozart nachzuweisen. Das Urteil, das
die Geschichte gesprochen hat, ist hier durchaus gerecht. Aber Antesberger
verweist auf den verstellteren Blick, mit dem jede Gegenwart auf
ihre Zeitgenossen schaut. Denn zu Mozarts Lebzeiten genossen diese
Komponisten (und man könnte noch eine ganze Reihe anderer nennen)
eine zu Mozart durchaus ebenbürtige Wertschätzung oder
wurden, vielleicht regional bedingt, über ihn gestellt. Denn
fraglos war Mozart ästhetisch und künstlerisch weit unbequemer,
was man damals (wie heute) mit „geschraubter Stil“ oder
mit „künstlichen Kompliziertheiten“ brandmarkte
(gewiss: der wirklich musikalische Beobachter erkannte die Ausnahmeerscheinung
Mozarts). Das Buch ist eine Draufsicht auf eine Gegenwart, die sich
selbst ganz anders sah als wir das heute tun.
Wolfgang Antesberger: Vergessen Sie Mozart! – Erfolgskomponisten
der Mozart-Zeit, Piper, München 2005, 381 S., Abb., €
22,90, ISBN 3-492-04782-3