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nmz-archiv
nmz 2006/05 | Seite 44
55. Jahrgang | Mai
Rezensionen
Tönende Köchelverzeichnisse und Video-Clips
Neue CD- und DVD-Editionen schicken sich an, Mozart Ehre zu machen
Wir haben Mozart-Gedächtnisjahr und schon in seinem ersten
Viertel laufen die Mozartfreunde Gefahr, im Blumenmeer seiner Musik
unterzugehen, das sich über die ganze Musikwelt erstreckt und
immer neue Blüten treibt. Auch wenn das Köchelverzeichnis
mit 626 „echten“ Nummern eine große Vielfalt verzeichnet
– manches kam inzwischen noch dazu –, so zeigen sich
im großen und oft wenig inspirierenden Einerlei der vielen
Silberscheiben mit dem Wolfgangerl-Konterfei auf dem Cover doch
jetzt schon ein paar besonders gelungene und fesselnde Produktionen.
Sie seien hier vorgestellt.
Zunächst bietet Brillant Classics seine Gesamtausgabe aller
bekannten Mozartwerke – bereits früher für 2.000
Euro auf 170 CDs veröffentlicht – wieder an, diesmal
in dünnen Hüllen und alle in einem einzigen Schuber für
einen unschlagbaren Preis unter 100 Euro. Die ursprüngliche
Edition wurde in den nmz-Ausgaben 10/02 und 5/03 besprochen (Brilliant
Classics/Foreign Media 92540).
Naxos hat sich ebenfalls große Mühe gegeben und einen
schweren gelben Mozartschuber herausgebracht mit zwei CDs und einem
dicken Buch mit 367 (!) Seiten, in dem Eckhardt van den Hoogen –
ein alter Kämpe aus der Zunft derer, die über Musik schreiben
– in flüssigem und auch amüsantem Stil alles Wichtige
über Mozart, seine Umgebung, sein Leben und seine Bedeutung
berichtet. Das Buch enthält – zur Freude der Mozartliebhaber
– auch das komplette Köchelverzeichnis, dazu eine lange
Namensliste vieler Zeitgenossen, die zu Mozart in irgendeiner Verbindung
stehen, und jeder der fast 180 hier Genannten wird mit einem kurzen
prägnanten Text vorgestellt. Schließlich gibt es noch
ein Glossar mit über 130 musikalischen Fachbegriffen, die mit
wenigen Worten illustrativ erklärt werden. Auf den beiden CDs
finden sich, geschickt ausgewählt, aus Mozarts Schaffen 31
Beispiele quer durch sein ganzes Leben, von KV 15kk bis KV 626,
auf der ersten aus Kammermusik und Konzert, auf der zweiten aus
geistlichen und Bühnenwerken. Als stabiler Schuber, der ins
CD-Regal passt, ist dies ein gelungenes Kompendium des Wichtigsten
und Amüsantesten aus Mozarts Leben und Werk, das neugierig
machen soll, kann und wird (Naxos 8.551233-45).
Zwei besonders schöne Orchideen im Mozartgarten dieses Frühjahrs
zeigen sich als DVD-Videos. Bei Edel erschien „Ich hätte
München Ehre gemacht“, ein Spielfilm, der schon in der
ARD lief. Er orientiert sich in geschickter Chronologie an den wiederholten
Besuchen Mozarts in München, vom ersten mit sechs Jahren 1762
über die weiteren 1774/75, 1777, 1778, 1781 bis zum letzten
1790 im Vorjahr seines Todes, und entwickelt eindrucksvoll an diesen
Fixpunkten Mozarts Leben und Wirken. Graf Seeau wird dabei als intriganter
homophiler Fiesling dargestellt, ein gleichaltriger Gastwirtssohn
Carl als lebenslanger Freund – sein Gastwirtsvater wird von
Konstantin Wecker gespielt – und die adelige, meist überhebliche
Hofhaltung als ein oft intrigantes Spiel: solche Ingredienzien machen
einen Film erst richtig spannend (Edel 0169838SERE).
Eine der umfangreichsten und prachtvollsten Produktionen versteckt
sich in der ebenfalls bei Brillant Classics veröffentlichten
DVD „Mozart Interaktiv“ von Titus Leber. Wer die Silberscheibe
in den Computer steckt – verlangt wird Windows-Software von
2000 aufwärts, auf Windows 95 oder 98 läuft sie nicht
– oder sie sich über den DVD-Player im Fernseher anschaut,
muss viel Zeit mitbringen, wenn er allen Verzweigungen folgen und
dabei alles lesen und anhören will, was die DVD an Informationen
und Musik bietet, nämlich nicht nur 130 Minuten „interaktiver
Navigation“ durch ein Feuerwerk von etwa 80 Klassik-Videoclips,
dazu siebeneinhalb Stunden schönster Mozart-Musik und Einführungen
zu 20 Mozart-Opern, meist mit Tonbeispielen. Der Mozartfreund sieht
sich einer solchen Fülle von filmclipanimierten Berichten gegenüber,
die sich an wichtige Stichworte als weiterführende Links anschließen,
dass eigentlich nichts Wichtiges aus Mozarts Leben und über
seine Musik ausgespart bleibt. Die neue medienwirksame Vermittlungstechnik
der Video-Clips – erkennbar auf junges Publikum abgestellt
– verkürzt zwar die Aussagen oft auf ein Minimum, doch
kann man mit der Maustaste oder der Fernbedienung nach größeren
und zusammenhängenderen Schilderungen suchen. Die Musikbeispiele
bewegen sich leider nur in Einzelsätzen aus den bekannten Schlachtrössern,
die allerdings als ganzes Stück abgehört werden können,
wenn sie im Lauftext nur als Hinweis erklingen (Brilliant Classics
/ Foreign Media 92839).
Nachdem die von Harmonia Mundi vor einigen Jahren veröffentlichten
„interaktiven“ CD-ROMS (etwa zur „Matthäuspassion“)
wohl zu früh kamen, dürfte diese Art der Präsentation
mittlerweile ihr Publikum finden. Denn wo sonst könnten so
viele musikalische und historische Informationen so amüsant
und kurzweilig angeboten werden?