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nmz-archiv
nmz 2006/05 | Seite 45
55. Jahrgang | Mai
Noten
Flotte Bienen und andere Piecen
Für vier bis sechzehn Hände am Klavier
Der Verlag Helm & Baynov in Kempten hat sich in seinem Notenangebot
mit besonderer Aufmerksamkeit Klaviermusik für mehr als einen
Spieler zugewandt. In der Besetzung reichen Varianten von vier bis
sechzehn Händen an einem oder zwei Klavieren. Zahlenmäßig
deutlich an erster Stelle liegen die Stücke für sechs
Hände an einem Klavier. Der jüngste Verlagskatalog nennt
in dieser Gruppe mit 31 Komponisten 53 Werktitel. Einige wenige
nur sind Bearbeitungen. Die uns in einer Auswahl vorliegenden Noten-
ausgaben vermitteln einen Einblick in das durchaus auf Abwechslung
bedachte Angebot des Verlags in dieser sechshändigen Klaviersparte.
Ch. Henri Felix: Danse Campagnarde pour les petits enfants, HB
1015
Das in klassischer Tonsprache angelegte Stück mit einfachsten
Melodiestrukturen pendelt liebevoll konfliktfrei zwischen G-Dur
und verwandten Moll-Tonarten. Es ist auf Anfänger zugeschnitten,
die die Begren- zung des Fünftonraums hinter sich gelassen
haben. Manchmal könnte ein Fingersatz hilfreich sein.
Carl Czerny: Fantasie de A. Delasseurie sur un air suisse op. l7,
HB 1017
Unter acht Werken Czernys, die in dieser Besetzung im Verlagskatalog
angegeben sind und, soweit es nachzuprüfen war, als Originale
im sechshändigen Metier zu gelten haben, wird hier ein Beispiel
vorgestellt. Die Fantasie ist ein musizierfreudiges Stück,
das den Spieler in der Mitte, Secondo, spürbar zum Lenker
des musikalisch-strukturellen Geschehens macht, während Primo
im hohen Diskant virtuos herausgehoben schnellste Schleifen am
Klavierhimmel zieht. Der Dritte im Bunde unterstützt im Wesentlichen
die Klangunterfütterung im Bass. Der oft zu Unrecht an den
Pranger gestellte Etüden-Meister hat hier ein spielenswertes
Stück geschaffen. Gekoppelt an die Tempovorgabe liegen die
technischen Anforderungen bei mittelschwer (Terzo), schwierig
(Secondo) und sehr schwierig (Primo). Bei den Angaben zur Pedalisierung
war der Herausgeber einige Male etwas zu vorsichtig.
Charles Jean-Baptiste Steiger: Quatre Petites Pieces, HB 1024
Der 1919 verstorbene Komponist steht ebenfalls in der Tradition
des 19. Jahrhunderts. Die vier Stücke sind in der Notenausgabe
als zwei Suiten mit jeweils zwei kurzen Sätzen ausgewiesen:
Gebet (Prière) und Tarantella, Glockenspiel (Carillon)
mit Tyrolienne. Diese Stücke eignen sich für Schüler
im Unterstufenbereich. Sehr leicht ist die Partie für Terzo.
Heinz Benker: Marcia Festiva, HB 1014
In seiner eigenen Charakterisierung trifft der Komponist sehr
gut, was es von den Spielern zu realisieren gilt, dass der Marsch
„mit einem lustigen Augenzwinkern zu verstehen“ sei
und in seinem rhythmischen Impetus „verwandtschaftliche
Bezüge zum Jazz“ zeige, „also nicht marschiert,
sondern getanzt werden“ soll. Und wenn das Tempo nach den
angegebenen schon respektablen Metronom-Angaben „nach Lust
und Laune“ – besser: nach Lust und Können! –
noch beschleunigungsfähig sein könne, dürfte der
technische Anspruch sicher bei „schwierig“ liegen.
Siegfried Burger: Drei flotte Bienen, HB 1012
Mit dieser Überschrift und entsprechenden Untertiteln in
der dreisätzigen Folge: Allegro, Andante (doch schaut, so
zart sind wir) und Toccata (aber bei uns beißt ihr auf Granit),
wird die Phantasie der Spieler in Richtung Programmmusik gelenkt.
Im ersten Allegro summen die Bienen sehr eindrucksvoll auf zwei
pentatonischen Klangschienen. Da könnte eine bei Piano-Spiel
auf den Tasten geschickte dichte Pedalisierung (Die Pentatonik
macht es möglich!) den Eindruck des
Bienensummens unterstreichen. Für alle Spieler ist die Schwierigkeit
in den drei Stücken unterschiedlich, „leicht“
(Terzo im Andante „sehr leicht“) bis „schwierig“.
Karl-Heinz Pick: Suite zu Dritt, HB 1045
Polonaise, HB 1046
Die beiden Werke des Leipziger Musikers verinnerlichen quasi
eine Momentaufnahme aus der Zeit von vor 20 Jahren in der früheren
DDR mit Einblick in klavierpädagogische Arbeit. Die Entstehung
der Suite und deren Uraufführung durch eine Schülergruppe
1986 in Leipzig hat offensichtlich den Auftrag zur Polonaise ausgelöst,
die zwei Jahre später bei einem Musikschultreffen in Magdeburg
zum ersten Mal erklang. Vier hübsche Zeichnungen der Tochter
des Komponisten auf der ersten Seite des Notenbandes zu den kurzen
Stücken der Suite, „Katzenbär“, „Lied
ohne Worte“, „Tanz der Vogelscheuchen“ und „Pinocchio“
unterstreichen das auf entsprechende Zielgruppen gerichtete Anliegen
von Pick. Erstaunlich bei einem Vergleich mit den Komponisten
der vorausgegangenen Stücke aus Bayern und Württemberg
(Die Jahrgänge der drei Musiker liegen dicht beieinander!)
ist zu beobachten, dass der Leipziger in seiner musikalischen
Ausdrucksweise unkonventioneller und freier erscheint als die
Süddeutschen. Positiv zu bewerten ist auch einmal der Druck
in Partiturform, zum anderen das Vorhandensein von Einzelstimmen,
die auf dem Notenpult nebeneinander gestellt werden können,
ohne dass sie während eines Stückes gewendet werden
müssen. Die technischen Anforderungen liegen im Übergangsbereich
zu mittelschwer.
Zur Polonaise: Pick nennt sie „Hommage à Frédéric
Chopin“. An die berühmte Polonaise in A-Dur wird –verfremdet
– an einer Stelle erinnert. Im Übrigen lässt Pick
seine Inspiration in jeder Hinsicht eigene Wege gehen. Das Stück
erfordert fortgeschrittene Spieler.
Tomislav Baynov: Metrorhythmia I, HB 1031
Mag am Ende des kompositorischen Prozesses und einer entsprechenden
Interpretation eine künstlerische Botschaft vernehmbar werden,
so richtet sich bei diesem Klavierstück der Ruf an drei technisch
höchst geschulte Spieler, die zuerst, jeder einzeln, ihre
Partien quasi in sportlichem Training auf Höchstleistung
bringen müssen, um in einer zweiten Phase zu einem perfekten
Zusammenspiel mit den Partnern kommen zu können. In Anbetracht
der virtuosen Kompositionsstrukturen mit häufigem Unisono
von zwei oder allen drei Spielern zusammen stellt sich diese conditio
sine qua non unabdingbar für Werk und seine Realisierung.
Metrorhythmia lebt von Anfang bis zum Schluss von rein motorischen
Abläufen gespeist von kleinsten Elementen, die aufgrund ihrer
Kürze kaum Motive genannt werden können. Daneben wird
eine girlandenförmige Figur in Achteln mitbestimmend, die
in der Coda als Ostinato neunmal mit den sechs Händen unisono
beeindruckende Schlusssteigerung erfährt, um im zehnten Durchgang
plötzlich abzureißen und so zu enden.