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nmz-archiv
nmz 2006/05 | Seite 45
55. Jahrgang | Mai
Noten
Liebesgesänge für Wandervioline
Rilke-Vertonungen für ein ungewöhnliches Ensemble
Drei wunderschöne Vertonungen der Liebenden von Rainer Maria
Rilke, des blauen Schmetterlings von Hermann Hesse und des Einmal
von Heinz-Albert Heindrichs. Dass es sich um einen Zyklus mit zielgerichtetem
Ablauf der drei Texte handelt, geht bereits aus dem sich über
die ganze Komposition stetig verdichtenden Notenbild hervor. Doch
auch in jedem Gesang findet eine final ausgerichtete Verdichtung
(Entwicklung?) statt, sodass sich zudem der gesamte Ablauf aller
drei Gesänge gegen Ende nochmals verdichtet und sich als eine
Einheit mit innerer Logik erweist. Selbst die Pausen zwischen den
Gesängen sind, was die formale Konzeption angeht, nicht dem
Zufall überlassen. Der Meta-Ablauf über alle drei Gesänge
ist trotz aller Freiheiten wie Rahmennotation und veränderbarer
Spielmodelle für die Wandervioline exakt vorgegeben. So weit
eigentlich nichts Besonderes, so etwas machen ja heutzutage viele
Komponisten. Doch nimmt sofort bei der ersten oberflächlichen
Übersicht die keineswegs übliche Beherrschung des kompositorischen
Metiers für sich ein. Bojidar Dimovs großer Einfall ist
die „Wandervioline“. Ihr Einsatz macht den ganzen Raum,
die Bühne und den Zuhörerraum zum Aufführungsraum,
der auch als solcher vom Publikum erlebt wird. Der Geigenklang wird
während der Aufführung des Zyklus einmal um den Block
der Zuhörer einschließlich der Sängerin und ihrem
Pianisten herumgetragen. Da passt man nicht nur auf die Spieler
auf, sondern auch auf den Raum und die Geräusche des Publikums.
Die kann keiner komponieren. Komponieren kann man bis zu einem gewissen
Grad die Improvisationsmodelle, die der Wanderviolinist in Tempo,
Dichte, Klangfarbe und Dynamik fortwährend verändern soll,
indem er auf den Gesangs- und Klavierpart sensibel reagiert. Auch
aufs Publikum? So eine Aufführung kann für alle eine spannende
Sache werden. Bojidar Dimov stammt aus Lom an der Donau in Bulgarien,
studierte in Sofia bei Mara Petkova und Wesselin Stoyanov Klavier
und später in Wien bei Karl Schiske und Hanns Jelinek Komposition.
Seit 1968 lebt und wirkt er in Köln, gründete 1970 das
Ensemble für Neue Musik „trial and error“, konstituierte
das Praktikum für Neue Musik und das Jugendensemble an der
Rheinischen Musikschule, leitete dort eine Klasse für Komposition
und lehrte an der Robert-Schumann-Musikhochschule in Düsseldorf.
Im Mittelpunkt seiner pädagogischen Tätigkeit sowie seines
umfangreichen künstlerischen Schaffens stand immer das musikalische
Experiment. Die gelungene Edition mit klaren Ausführungsangaben
zur Ausführung und Gestaltung des Werkes eignet sich in hervorragender
Weise für die Kategorie „Besondere Besetzungen“,
„Neue Musik“ für den Jugend-musiziert-Wettbewerb,
Altersgruppe VI und VII.
Bojidar Dimov (geboren 1935): EINMAL und andere Liebesgesänge
(1992/93) für Sopran, Wandervioline und Klavier. Edition
Dohr 95208